Die insbesondere von Frauen geforderte Veränderung und Erweiterung der Männerrolle wird lächerlich gemacht und als unmännlich markiert.
Die insbesondere von Frauen geforderte Veränderung und Erweiterung der Männerrolle wird lächerlich gemacht und als unmännlich markiert.
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Es gibt wenig, an dem gegenwärtig so heftig gerüttelt wird wie an der Rolle des Mannes: kümmern, kämpfen, aufopfern, Selfcare, Härte, Zartheit. Überall scheint der moderne Mann zu wenig, immer soll es noch ein bisschen mehr sein. Je nach Bedarf soll er streicheln oder zuschlagen, zur Vorsorge gehen oder die Zähne zusammenbeißen, 80 Stunden die Woche arbeitsmäßig durchballern oder sich um die Kinder kümmern. Wobei sich dieses Oder für Männer mittlerweile eher wie ein UND anhört: alles gleichzeitig, wohldosiert, und wehe, du machst einen Fehler.

Soft Skills sind zwar unbedingt wichtig, aber er sollte schon auch alles mitbringen, was nach der 666-Regel der US-amerikanischen Datingwelt gefordert ist: 6 feet, 6 inches, 6 figures. Mindestens 183 cm groß, mindestens 15 cm Penislänge, mindestens sechsstelliges Jahreseinkommen. Das ist insofern bemerkenswert, als das selbst Männer, die "nur" die 666-Regel erfüllen können, rar gesät sind. Zum Vergleich: Der durchschnittliche US-Amerikaner verdient jährlich zwischen 50.000 und 60.000 Dollar, sein erigierter Penis hat eine Länge von etwas mehr als 13 cm, und er kratzt knapp an 181 cm Körperlänge. Der große, gutbestückte Besserverdiener ist also schon selten genug. Jetzt soll er auch noch trösten, pflegen, mitfühlen, präsent und achtsam sein. Unnachgiebig und verzeihend. Belastbar und empfindsam. Abgeklärt und aufgeschlossen.

Einfache Rezepte

Und als wäre das nicht als Ausgangslage schon schwierig genug, gibt es jeden Tag mehr Arschlöcher auf der Welt, die die daraus resultierende Überforderung von Männern für ihre eigenen Zwecke ausnutzen. Sie machen Meinung, Politik oder schlicht und ergreifend Geld mit männlicher Verunsicherung. Sie schielen auf Zustimmung, Wählerstimmen oder Rendite. Stellen krasse Thesen auf, gründen rechte Parteien, schreiben Bücher und geben Workshops. Mit so unfassbar banalen Slogans wie "Wähl nicht die Grünen, geh raus an die Frische Luft, steh zu dir".

Das mittlerweile sehr Übliche eben: Halt dich gerade, mach dein Bett. Mach dich krass, und hör auf, im November zu masturbieren. Das Rezept ist denkbar einfach. Die insbesondere von Frauen geforderte Veränderung und Erweiterung der Männerrolle wird lächerlich gemacht und als unmännlich markiert. Weibliche Kronzeuginnen des "So sind echte Männer gar nicht" sind gerngesehen, und gemeinsam zeigt man dann mit dem Finger auf progressive, junge Frauen, die mit ihren angeblich oder tatsächlich überfordernden Ansprüchen an junge Männer "alles kaputtmachen". Irgendwas mit links, grün, feministisch, kommunistisch ist schuld. Sie wissen schon. Am Ende schaut man dann auf eine nahezu globale Entwicklung, bei der junge Männer im Schnitt immer rechtskonservativere Ansichten vertreten und junge Frauen immer liberalere, während sich die Beteiligten gegenseitig dafür verantwortlich machen.

Tatsächlich ist es deutlich komplizierter. Mit Blick auf die Emanzipation der Männer herrscht seit Jahrzehnten ein unfassbarer Reformstau. Die durch das Internet und die sozialen Netzwerke beförderte Epoche der Gleichzeitigkeit türmt die Versäumnisse der Männerpolitik auf einen riesigen, schier unüberwindbaren Haufen und leuchtet ihn so unvorteilhaft und grell wie möglich aus. Während sie ihm beispielsweise zu Recht klarmachen will, dass "mithelfen" im Haushalt nicht ausreicht, weil es nun einmal auch sein verdammter Haushalt ist und er keine Aushilfskraft im gemeinsamen Leben sein sollte, denkt er ebenfalls zu Recht, dass er ja immerhin schon angefangen hat, etwas zu verändern und mitzuhelfen, im Gegensatz zu den meisten seiner Kumpel. "Wie wenig will er eigentlich noch machen" versus "Was will sie eigentlich noch alles".

Stück für Stück

Beide Wahrnehmungen entsprechen der Realität. Deswegen lässt sich das Ganze auch kaum entwirren. Trotzdem sollte man nicht der Versuchung erliegen, diesen gordischen Knoten zu zerschlagen. Wir alle sind in ihm verschlungen und nehmen dadurch Schaden. Wir werden tun müssen, was notwendig ist, Stück für Stück und Schritt für Schritt. Für Männer heißt das, Veränderungen herbeizuführen, ohne dafür Lob und Anerkennung zu fordern, sondern einfach weil das Ergebnis solidarischer, gerechter und besser für alle ist. Für Frauen bedeutet das, die Verzweiflung darüber, dass für die Erfüllung von Minimalanforderungen an Männer anhaltende Beifallsstürme erwartet werden, nicht in unerfüllbare Maximalforderungen zu transformieren.

Gleichberechtigung ist und bleibt Schwerstarbeit. Packen wir es an. (Nils Pickert, 8.2.2023)