Mitch McConnell trug sein übliches Pokerface, als er am Montagnachmittag an den Büsten verdienter Vizepräsidenten vorbei von seinem Büro im ersten Stock des US-Kapitols zum Senats-Sitzungssaal schritt. "Es ist Zeit, dass der Kongress handelt", hatte der 81-jährige Minderheitsführer der Kammer einige Stunden zuvor noch gesagt. Als ihn nun ein Reporter im Vorbeigehen fragte, ob er dem 118 Milliarden Dollar schweren Paket zur Sicherung der US-Grenze und Unterstützung der Ukraine zustimmen würde, blieb der Republikaner ungerührt: Er antwortete nicht.

Mitch McConnell
Mitch McConnell hatte sich mit Donald Trump überworfen – aber nun scheint er in seinem Kampf gegen den Ex-Präsidenten kapituliert zu haben.
EPA/MICHAEL REYNOLDS

Kurz darauf war klar, weshalb der eiskalte Machtpolitiker – er hatte den Aufstieg von Donald Trump ermöglicht, sich nach dem Sturm auf das Kapitol am 6. Jänner 2021 aber mit dem abgewählten Präsidenten überworfen – so eisern geschwiegen hatte: Der Mann, den sie wegen seines Habitus "die Schildkröte" nennen, hatte sich vor dem wahren Parteiboss Trump gleichsam auf den Rücken geworfen und kapituliert. In einer Fraktionssitzung hinter verschlossenen Türen am Abend ermunterte er kritische Parteifreunde offen, das überparteiliche Gesetzesvorhaben abzulehnen.

Damit war klar: Das 370-seitige Paragrafenwerk, das je ein Senator der Republikaner und der Demokraten sowie eine parteilose Senatorin in monatelanger Arbeit zur Überwindung der politischen Totalblockade ausgehandelt hatten, ist nur zwei Tage nach seiner Vorlage de facto tot. Schon an diesem Mittwoch im Senat wird es höchstwahrscheinlich scheitern. Dort haben zwar die Demokraten eine hauchdünne Mehrheit von 51 zu 49 Sitzen – aber für eine Billigung des Kompromisses wären 60 Stimmen erforderlich. Selbst wenn diese Mehrheit zustande käme, würde der Vorstoß im republikanisch dominierten Repräsentantenhaus beerdigt.

"Atemberaubend"

"Das ist atemberaubend", zeigt sich nicht nur der demokratische Senator Brian Schatz überwältigt von der Wucht der republikanischen 180-Grad-Wende: "So etwas habe ich noch nicht erlebt. Sie (die Republikaner, Anm.) haben eine bestimmte Politik gefordert und sie bekommen, um sie dann scheitern zu lassen."

Tatsächlich enthält das Sicherheitspaket schmerzhafte Zugeständnisse der Demokraten: Um die isolationistischen Republikaner zur Bewilligung weiterer Ukraine-Gelder zu bewegen, hatte die Partei von Präsident Joe Biden einer Verknüpfung dieser Militärhilfen mit einer drastischen Verschärfung des US-Asylrechts und der finanziellen Unterstützung für Israel zugestimmt. So bündelt das Paragrafenwerk inhaltlich völlig unzusammenhängende Bestimmungen. Materiell umfasst es 60 Milliarden Dollar weitere Ukraine-Hilfen, 14 Milliarden Dollar für Israel, zehn Milliarden Dollar humanitäre Unterstützung für die Palästinenser und 20 Milliarden Dollar zur besseren Absicherung der US-Grenze und zur Errichtung von Abschiebezentren.

Inhaltlich mussten die Demokraten den Republikanern in der Einwanderungspolitik weit entgegenkommen. Angesichts des massiven Migrationsdrucks sieht das Paragrafenwerk eine komplette Schließung der US-Südgrenze vor, wenn wöchentlich mehr als 5.000 Migranten und Migrantinnen ins Land kommen. Außerdem sollen die Asylanträge künftig von Grenzbeamten und nicht mehr von Richtern entschieden sowie die Dauer der Verfahren auf sechs Monate verkürzt werden.

"Kein besserer Deal"

Eindringlich hatte nicht nur das konservative "Wall Street Journal" die Republikaner aufgefordert, dem Paket zuzustimmen, da sie nie "einen besseren Deal" bekommen würden. Auch Spitzenvertreter der US-Wirtschaft, die Gewerkschaft der Grenzschützer und Präsident Biden unterstützten den Kompromiss.

Doch dann intervenierte Trump, dem ein Berufungsgericht am Dienstag übrigens strafrechtliche Immunität in seinen Prozessen absprach. Die Ukraine-Hilfen lehnt der Putin-Bewunderer ohnehin ab. Doch im Zentrum der amerikanischen Innenpolitik steht die Einwanderung: Trump verlangte eine Ablehnung des Gesetzes, das "eine raffinierte Falle" der Demokraten sei. Reihenweise fielen daraufhin die Republikaner im Kongress um. Am Montag knickte McConnell ein, obwohl Trump ihn regelmäßig als "alte Krähe" verspottet und seine aus Taiwan in die USA emigrierte Ehefrau übelst rassistisch beleidigt hat.

Donald Trump
Donald Trump walzt auch in der eigenen Partei jeden Widerstand nieder.
REUTERS/RONDA CHURCHILL

Die Konsequenzen aus dem Scheitern des mutmaßlich letzten Versuchs, die lähmende politische Blockade in einem Wahljahr aufzubrechen, kann man mit Händen greifen: Die Republikaner werden die Migrationspolitik zu ihrem zentralen Kampagnenthema machen. An der Grenze ziehen ihre Gouverneure schon in Eigenregie Nationalgarden zusammen, um Einwanderer mit Gewalt abzuwehren. Am Dienstag wollte die Partei zudem im Parlament einen Amtsenthebungsantrag gegen Heimatschutzminister Alejandro Mayorkas einbringen. Der wird zwar im Senat scheitern, garantiert aber populistische Schlagzeilen.

Die Chancen für neue Ukraine-Hilfen werden von Beobachtern derweil als minimal eingestuft. "Auf Trumps Befehl lassen die Republikaner im Kongress (...) Amerikas Verbündete in der Ukraine im Stich", kommentierte die von den Trumpianern geschasste republikanische Ex-Abgeordnete Liz Cheney bitter: "Trump und die GOP (Grand Old Party, Anm.) verlieren den Krieg absichtlich. Das ist ein unentschuldbarer Verrat, der Amerikas Feinde für Jahre stärken wird." (Karl Doemens aus Washington, 6.2.2024)