Das Zeitalter der Fusionsenergie ist nahe. Zumindest heißt es seit Jahrzehnten scherzhaft, dass es bis zur kommerziellen Stromgewinnung aus Kernfusionsreaktoren keine 30 Jahre mehr hin ist. Tatsächlich hat sich auf diesem Gebiet zuletzt einiges getan. Den bislang größten Erfolg konnte das Lawrence Livermore National Laboratory in Kalifornien verbuchen. In seiner Forschungseinrichtung National Ignition Facility verkündeten Physikerinnen und Physiker im Dezember 2022, dass es ihnen gelungen war, mit ihrem Fusionsreaktor erstmals mehr Energie zu gewinnen, als hineingesteckt wurde.

Laser, Fusion
Damit es zu einer Fusionsreaktion kommen kann, wird die mit einem Gasgemisch aus Deuterium und Tritium gefüllte winzige Kapsel mit hochenergetischen Laserstrahlen beschossen.
Illustr.: Lawrence Livermore National Laboratory

Allerdings betrifft dieses Energieplus nur den Kernbereich der Fusionsreaktion. Die gesamte Anlage verbraucht nach wie vor deutlich mehr Strom, als man gewinnen konnte. Dennoch sprechen die beteiligten Wissenschafter von einem Meilenstein, der, um tatsächlich als solcher gelten zu können, auch sorgfältig von unabhängiger Seite überprüft werden muss. Diese Untersuchungen, die nun zu einem vorläufigen Abschluss kamen, bestätigten den verkündeten Durchbruch.

Gesteigerter Energiegewinn

Mehr noch: Wie aus einer Reihe von in den Fachjournalen "Physical Review Letters" und "Physical Review E" präsentierten Studien hervorgeht, haben die Forschenden den Energiegewinn im letzten Jahr sogar gesteigert. Aus dem experimentellen Reaktor in Livermore konnte insgesamt fast doppelt so viel Energie herausgeholt werden, wie investiert worden war.

Die Methode, mit der die Fachleute dort arbeiten, nennt sich "Trägheitsfusion". Vorbild dafür ist die Sonne, die den Hauptanteil ihrer Energie aus der Verschmelzung von Wasserstoff zu schwereren Elementen bezieht. Doch um die extremen Bedingungen wie im Inneren unseres Heimatsterns auf der Erde zu replizieren, ist größter technischer Aufwand notwendig. Vor allem die enormen Druckverhältnisse sind nur schwer zu erreichen, weshalb man sich darauf konzentriert, in der Anlage besonders hohe Temperaturen zu erreichen.

Pellet, Hohlraum, Fusion
Schematische Darstellung eines zylindrischen Hohlraums, in dem sich die Kapsel mit dem Deuterium-Tritium-Gemisch (hier als Ablator bezeichnet) befindet. Die Grafik rechts oben zeigt die Gesamtlaserleistung in Abhängigkeit von Zeit und Strahlungstemperatur.
Grafik: Lawrence Livermore National Laboratory/Mark Meamber

Zustände wie in der Sonne

Konkret packen die Wissenschafterinnen und Wissenschafter bei der Trägheitsfusion 220 Mikrogramm der Wasserstoffisotope Deuterium und Tritium in ein winziges Pellet. Diese Kapsel kommt in einen reiskorngroßen Behälter, einen sogenannten Hohlraum, und wird vereinfacht gesagt für kurze Zeit mit 192 energiereichen Lasern beschossen. Das Gasgemisch wird dadurch extrem komprimiert und auf rund 150 Millionen Grad Celsius erhitzt.

Diese infernalischen Bedingungen führen dazu, dass die Atomkerne mit hoher Geschwindigkeit aufeinanderprallen. Die Kerne kommen sich nahe genug, dass die Starke Kernkraft wirksam wird: Die Partikel gehen eine Bindung ein, bilden Heliumkerne und setzen dabei Energie frei – und zwar in Summe deutlich mehr, als zuvor per Laser in die Pellets geschossen wurde, wie in den Studien nun belegt werden konnte.

"Höhepunkt von über fünf Jahrzehnten Forschung"

Bei dem bahnbrechenden Experiment im Dezember 2022 wurden mit Lasern 2,05 Megajoule (MJ) Energie in die Deuterium-Tritium-Pellets transferiert. Herausgekommen sind schließlich 3,15 MJ. Es wurde also etwa 1,5-mal mehr Energie durch die Reaktion erzeugt, als in den Brennstoff geschossen wurde. In den neuen Arbeiten berichten die Wissenschafter, wie es ihnen gelungen war, die Schwelle zur Fusion zur überschreiten und die Energieausbeute weiter zu steigern.

In mehreren Experimenten im vergangenen Jahr haben die Forschenden aus demselben Energieinput von 2,05 MJ sogar bis zu 3,88 MJ Energie gewonnen. Das entspricht dem 1,9-Fachen der in die Pellets investierten Energie. Verantwortlich dafür war unter anderem ein Effekt, bei dem die Fusion zu einer Wiederaufheizung des Hohlraums auf höhere Energien führte, als die Laser hätten liefern können. "Dieser Erfolg ist der Höhepunkt von mehr als fünf Jahrzehnten Forschung und beweist, dass die Fusion im Labor auf der Grundlage grundlegender physikalischer Prinzipien möglich ist", berichten Teammitglieder der Indirect Drive ICF (inertial confinement fusion) Collaboration.

Video: Erfolgreiche Trägheitsfusion
Lawrence Livermore National Laboratory

Energiehungrige Laser

Theoretisch verspricht die Kernfusion damit eine, wenn auch nicht unerschöpfliche (die Gewinnung des unersetzlichen Tritiums ist aufwendig und benötigt Lithium), so zumindest einigermaßen saubere Energie für eine Zukunft jenseits fossiler Brennstoffe. Doch bis es so weit ist, werden noch einige Jahre ins Land ziehen, die Laborreaktoren sind weit von einer kommerziellen Anwendungen entfernt.

Denn auch wenn die Reaktionen selbst bereits eine positive Energiebilanz aufweisen, die gesamte Anlage, insbesondere zum Betrieb der enormen Laser, ist äußerst stromhungrig. Damit das Ganze auch als Energiequelle sinnvoll nutzbar wird, müsste mehr als zehnmal so viel Energie aus der Reaktion gewonnen werden, als per Laser in die Pellets eingebracht wird. Bis man dies erreicht hat, müsse noch ein weiter Weg zurückgelegt werden, meinen die Fachleute. (Thomas Bergmayr, 6.2.2024)