Rennradfahrer bei der AlUla Tour in Saudi Arabien.
Mit der Alula Tour – vormals Saudi Tour – präsentiert sich Saudi-Arabien als Radsportdestination. Jetzt will es offenbar mehr.
AFP/ANNE-CHRISTINE POUJOULAT

Der Kalender der Rennradsaison folgt einer schier unverrückbaren Dramaturgie: Von den epischen Frühjahrsklassikern und dem Giro d'Italia hin zur Klimax der Tour de France im Juli, ehe nach einem kurzen Durchatmen Weltmeisterschaft und Lombardei-Rundfahrt das Peloton in die Winterruhe verabschieden. Dass sich daran wirklich etwas ändern könnte – in der konservativen Welt des Radsports jenseits der Vorstellungskraft.

Doch manche Dinge scheinen oft so lange unmöglich, bis jemand kommt und sie macht. Im gegenständlichen Fall könnte diese Rolle die SRJ-Sports-Investment-Gruppe übernehmen, ein saudi-arabisches Investmentvehikel, das sich zum Ziel gesetzt hat, den Wachstum des Sportmarkts im eigenen Land sowie im ganzen Nahen Osten und in Nordafrika voranzutreiben. Glaubt man Berichten, die in den vergangenen Monaten gehäuft durch die einschlägigen Portale flatterten, plant SRJ nicht weniger als eine "Super League" des Radsports – eine Konkurrenzveranstaltung zur traditionellen World Tour des Weltradsportverbands UCI. Losgehen soll es 2026.

Der Radsport lebt von seinen Traditionen: Im Bild das seit 1896 ausgetragene Rennrad-Monument Paris-Roubaix.
Der Radsport lebt von seinen Traditionen: im Bild das seit 1896 ausgetragene Rennradmonument Paris–Roubaix.
IMAGO/Panoramic International

250-Millionen-Euro-Budget?

250 Millionen Euro will Saudi-Arabien für das Projekt in die Hand nehmen, berichtete vor wenigen Tagen Reuters unter Berufung auf mehrere – namentlich nicht genannte – Quellen. Im Vergleich zum Fußball – 2023 wechselten Stars wie Neymar, Cristiano Ronaldo oder Sadio Mané auf die Halbinsel – sind das bescheidene Summen. Doch sie würden reichen, um den Radsport gehörig umzukrempeln. Zumal das Projekt die Unterstützung großer World-Tour-Mannschaften genießen soll, unter anderem Visma-Lease-a-Bike, das Team des amtierenden Tour-de-France-Siegers Jonas Vingegaard, oder Ineos Grenadiers.

Ein neues Geschäftsmodell für den "schlafenden Riesen"

Visma-Lease-a-Bike ließ Reuters wissen, die Idee einer Super League werde analysiert, "genauso wie viele andere Ideen für ein nachhaltiges Geschäftsmodell für den Radsport der Zukunft". Bereits im Herbst hatte Teamchef Richard Plugge gesagt: "Es ist offensichtlich, dass der Radsport ein schlafender Riese ist, der ein verbessertes Geschäftsmodell verdient. Der einzige Weg dahin führt über Kooperation." Nicht mit von der Partie sein sollen Tour-de-France- und Vuelta-Veranstalter Aso oder die italienische RCS, die den Giro d'Italia organisiert.

Worum es geht, ist unschwer zu erraten: Geld. Wie die Aussagen Plugges andeuten, sind die Teams unzufrieden mit den aktuellen Vermarktungsmöglichkeiten. Ein saudi-arabisches Engagement käme zudem nicht aus dem Nichts. Seit 2020 richtet die französische ASO im tiefen europäischen Winter die Saudi Tour – mittlerweile Alula Tour – in der Wüste aus. Die saudische Tourismusdestination Al-Ula ist seit 2023 Co-Namenssponsor des Teams Jayco-Alula. Eine eigene Rennradliga – analog zur Liv-Tour im Golf, die 2022 mit Geld des saudischen Staatsfonds als Konkurrenz zur PGA-Tour aus dem Boden gestampft wurde – wäre nur der nächste Schritt. Auch weil die gesamte Region mit Rennen wie der UAE Tour oder der Tour of Oman sowie von den Emiraten oder Bahrain finanzierten World-Tour-Teams im Radsport bereits zur festen Größe geworden ist.

Sportswashing als Staatsprojekt

Womit auch klar sein dürfte, was neben Geld die zweite Triebfeder hinter der Liebe der Golfstaaten zum Radsport ist: Sportswashing. Das eigene Image soll als Gastgeber und Sponsor von Events, Teams und Einzelsportlern einen medialen Glanz bekommen, der über Berichte zu Menschenrechtsverletzungen und Erdölförderungen kaum zu erreichen ist. Die saudische SRJ ist demzufolge eingebettet in die "Vision 2030", die das Königshaus ausgerufen hat, um das eigene Land vom Tropf des Erdöls loszubekommen, das 2021 23,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmachte.

Die SRJ will sich nicht beschränken, saudisches Erdölgeld in Events zu pumpen. Sie will nach eigenen Angaben den Sport selbst mitgestalten und als "aktiver Investor" auftreten. Sie will "die Narrative des Sports neu definieren", um auf sich verändernde Ansprüche des Publikums zu reagieren. Und sie will in technologische Lösungen investieren, um das Fan-Engagement zu erhöhen.

Tour de France, Col du Galibier
Die Organisatoren der Tour de France sollen nicht in die Super-League-Pläne involviert sein. Derzeit konzentriert sich die Aufmerksamkeit der breiten Masse und der Sponsoren auf die Frankreich-Rundfahrt im Juli.
IMAGO/ZUMA Wire

Bruch mit den Traditionen

Dazu, wie eine neue Super League des Radsports konkret aussehen könnte und mit welchen Rennformaten man das Rad neu zu erfinden gedenkt, sickert vorerst nichts durch. Eine Bewertung, was eine Konkurrenzserie zur World Tour für den Sport bedeuten würde, bleibt daher schwierig. Der Radsport lebt maßgeblich von seinen Traditionen, den alten Rennen und klassischen Rennformaten. Die These, der Sport müsse sich verändern, um für ein junges Publikum interessant zu bleiben, klingt schlüssig, darf aber nicht unhinterfragt bleiben. Die ARD meldete für ihre Übertragung der Tour de France 2023 Einschaltquoten von insgesamt 11,6 Prozent. Bei den 14- bis 49-Jährigen lag die Quote mit 11,1 Prozent nur wenig darunter. Dazu hat Netflix im Vorjahr mit der Dokumentation "Tour de France: Im Hauptfeld" einen Weg gefunden, die Faszination des Rennradsports ins nichtlineare Videozeitalter zu übersetzen.

Doch beide Beispiele zeigen auch, wie sehr die Ökonomie der Aufmerksamkeit dem großen Trubel der Tour de France in die Karten spielt, während andere Rennen wie der Giro oder die Frühjahrsklassiker vor allem Eingeweihte ansprechen. Zudem ist der Rennradsport noch immer ein primär europäisches Phänomen. Neue Publikumsgruppen und neue Fahrerinnen und Fahrer insbesondere vom afrikanischen und vom asiatischen Kontinent könnten den Zirkus diversifizieren. Oder, um in der Sprache des Geldes zu sprechen: neue Märkte eröffnen. Das wissen auch die Saudis. (Michael Windisch, 7.2.2024)