Eine Teilnehmerin einer Demonstration gegen Gewalt an Frauen im italienischen Mailand Ende November.
Eine Teilnehmerin einer Demonstration gegen Gewalt an Frauen in Mailand Ende November. Die EU hat sich auf ein Gesetzespaket im Kampf gegen Gewalt geeinigt.
AP/Luca Bruno

Es waren große Worte, die Frances Fitzgerald, Verhandlungsführerin des Europaparlaments, am Dienstag wählte: "Heute machen wir den ersten Schritt, um Europa zum ersten Kontinent der Welt zu machen, der Gewalt gegen Frauen beseitigt." Der Grund für ihren Optimismus: Unterhändler:innen von Europaparlament und EU-Staaten haben sich am Dienstag in Straßburg auf ein Gesetz geeinigt, das schärfere Strafen für sexualisierte und häusliche Gewalt vorsieht – und eine Vereinheitlichung innerhalb der EU-Staaten.

Straftaten wie Zwangsheirat, weibliche Genitalverstümmelung (FGM) und Cybergewalt stehen künftig in der gesamten EU unter Strafe. Unter Cybergewalt fällt etwa die Weitergabe intimer Bilder ohne Zustimmung der Betroffenen, Cyberstalking, Cybermobbing und Aufstachelung zu Gewalt oder Hass im Internet.

Zudem müssen die EU-Staaten eine nationale Hotline einrichten, die Gewaltopfer rund um die Uhr und kostenlos erreichen können. Auch präventive Maßnahmen zur Verhinderung von Gewalt gegen Frauen sind vorgesehen: Sie sollen mehr Bewusstsein dafür schaffen, welche Formen von Gewalt gegen Frauen es gibt, und schädliche Geschlechterstereotype bekämpfen. Die neuen Vorgaben müssen noch vom Parlament und von den EU-Staaten abgesegnet werden, was aber als mehr oder weniger gesichert gilt.

Fehlende Definition

Die Sozialdemokratin Evelyn Regner, Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, sprach in einer Reaktion auf X, vormals Twitter, von einer Verbesserung für Frauenrechte in der EU und einem "wichtigen Zwischenschritt". Zugleich kritisierte sie, dass konsensbasierte Vergewaltigung als Straftatbestand von rechtskonservativen und liberalen Regierungen verhindert worden sei.

Ähnlich äußerte sich auch Monika Vana, Delegationsleiterin der österreichischen Grünen im Europaparlament: "Die Richtlinie liefert als erste ihrer Art eine rechtliche Grundlage, um Gewalt gegen Frauen und Mädchen auf EU-Ebene wirksam bekämpfen zu können", hieß es in einer Stellungnahme. Als "Wehrmutstropfen" bezeichnete sie die Streichung der Definition von Vergewaltigung nach dem Konsensprinzip.

Auch Verhandlungsführerin Fitzgerald kritisierte, dass bei der Definition von Vergewaltigung keine Einigung gefunden werden konnte. Das sei "wirklich eine große Enttäuschung – gerade wenn man auf die hohen Zahlen von Gewalttaten in Europa schaut". In Österreich erlebt jede dritte Frau im Erwachsenenalter sexualisierte Gewalt.

"Unpassende Rechtsgrundlage"

Die EU-Kommission hatte im März 2022 einen Vorschlag für die "Richtlinie zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt" vorgelegt, der zunächst auch die Forderung nach einer gemeinsamen Definition von Vergewaltigung enthalten hatte. Das EU-Parlament forderte eine Regelung nach dem Prinzip "Nur Ja heißt Ja" – sexuellen Handlungen müsste also zugestimmt werden. Im Juni vergangenen Jahres hat der EU-Rat diesen Aspekt abgelehnt, ein entsprechender Artikel hat es also nicht ins Gesetz geschafft.

Mehrere Länder in der EU, darunter Deutschland und Frankreich, waren dagegen; unter anderem mit dem Argument, dass es für eine solche einheitliche Regelung keine rechtliche Grundlage im Europarecht gebe. Die EU überschreite ihre Kompetenzen, wenn sie den Tatbestand der Vergewaltigung EU-weit angleiche, hieß es etwa vom deutschen Justizminister Marco Buschmann (FDP): "Das kann man bedauern (...). Aber das europäische Primärrecht ist nun einmal so, wie es ist." Der deutsche Juristinnenbund hält hingegen eine Ausweitung des EU-Rechts für möglich. Mehr als 100 prominente Frauen forderten Buschmann in einem offenen Brief auf, die Blockade aufzugeben.

Auch aus Schweden kam Skepsis, weil für die Richtlinie die Rechtsgrundlage zu "sexueller Ausbeutung und Menschenhandel" gewählt wurde. Vergewaltigung habe dem schwedischen Justizminister Gunnar Strömmer zufolge aber mit "Menschenhandel" nichts zu tun. Helena Dalli, Kommissarin für Gleichstellung der EU, hielt dem entgegen, dass diese Rechtsgrundlage auch für eine Richtlinie für sexualisierte Gewalt gegen Kinder herangezogen worden sei.

Auch Regner kann dem Argument einer unpassenden Rechtsgrundlage nichts abgewinnen, vielmehr fehle der politische Wille. Wie ernst könne man ein "Gewaltschutzpaket nehmen, wenn es eine der häufigsten Formen von Gewalt, die der Vergewaltigung, schlichtweg nicht thematisieren" wolle, kritisierte Regner schon im Juni.

Was ist Konsens?

Die Unterschiede in der Definition von Vergewaltigung zeigen sich vor allem in der Art der Gegenwehr und der Auffassung von Konsens bei sexuellen Handlungen. 2016 traten sowohl in Deutschland als auch in Österreich Reformen des Sexualstrafrechts in Kraft. Nun zählt nicht mehr nur körperliche Gegenwehr, sondern auch verbale: Nein heißt Nein. Ein sexualisierter Übergriff ist dann strafbar, wenn die Handlung gegen den erkennbaren Willen einer Person ausgeführt wird.

Oft steht bei sexualisierten Übergriffen noch immer im Fokus, wie sich das Opfer verhalten hat. Eine Ausstellung im deutschen Flensburg thematisierte 2022 die "falsche Opferschuld".
IMAGO/Willi Schewski

Viele europäische Länder sind seither einen Schritt weitergegangen: In Dänemark, Griechenland, Kroatien, Slowenien, Schweden und Spanien wurden Gesetze nach dem Grundsatz "Nur Ja heißt Ja" verabschiedet. Sexuelle Handlungen ohne Zustimmung sind also strafbar, Betroffene müssen nicht mehr dokumentieren, dass sie sich gewehrt haben oder sie Gewalt erfahren haben.

Das Prinzip soll vom Fokus auf das Abwehrverhalten eines Opfers weggehen und sich auf den Konsens aller Beteiligten fokussieren. Im Zentrum soll nicht stehen, wie und ob sexuelle Handlungen ausreichend abgewehrt wurden. Stattdessen müssten mutmaßliche Täter erklären, wie und ob eine Zustimmung zum Sex gegeben wurde – verbal oder nonverbal. Regner fordert nun, dass dieses Prinzip bei der Überarbeitung des EU-Gewaltschutzgesetzes in fünf Jahren schließlich umgesetzt werden soll. (Noura Maan, Beate Hausbichler, 7.2.2024)