Moritz Karlhuber ist im Guest Service des Hotel Sacher tätig. Dieser umfasst inklusive Lohndiener, Wagenmeister und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Telefonzentrale 23 Personen.
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Zwei Stunden vor dem Einlass zum Wiener Opernball stand der Gast plötzlich da und sagte, er habe seine Anzugschuhe vergessen. "Größe 47!" Das sind die Situationen, in denen Moritz Karlhuber, Chief Guest Service Manager des renommierten Hotel Sacher, zur Höchstform aufläuft. Sofort organisierte er die Privatnummer eines Herrenausstatters, der wiederum umgehend in sein Geschäft fuhr – und dort tatsächlich welche in passender Größe fand. "Der Gast war begeistert!", erzählt Karlhuber, auch wenn er in der Früh nach dem Tanzen vielleicht Schmerzen hatte. "Aber lieber in der Früh Blasen an den Füßen als am Abend beim Einlass keine Schuhe."

Eine Verkleidung fürs Hotel

Karlhuber ist gerade erst 25 Jahre alt geworden und hat in der Telefonzentrale des noblen Hauses angefangen, wo Tag und Nacht das Telefon läutet und er sehr schnell sehr viel lernte: "Weil man ja am Telefon schon über alles ausgefragt wird: Die Torte? Die Zimmer? Die Bar?" Dieser Job – "eine glückliche Fügung!" – war aber nur sein Anzugschuh in der Türe des Sachers. Schnell arbeitete er sich über die Rezeption, "wo ich es vor dem Gemälde der Anna Sacher ganz gut gemacht habe", in den Guest Service vor, der inklusive Lohndiener, Wagenmeister und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Telefonzentrale 23 Leute umfasst.

Seinen ersten Opernball-Einsatz absolvierte Karlhuber freiwillig als Page (mit dem berühmten Kapperl), weil er unbedingt dabei sein wollte. "Das war ein super Erlebnis!", schwärmt er noch heute davon, dass er die "Sacher-Fächer" an die Damen verteilte und auch sonst überall mit anpackte: "Jeder hilft an diesem Tag den anderen!", denn nur so kann das Hotel bei vollem Betrieb innerhalb von nur zwei Stunden umgestaltet werden. "Es sieht danach ganz anders aus", erzählt er aus der Welt der Heinzelmännchen.

"Hilfe, ich habe meine Anzugschuhe vergessen" – hier laufen auch am Abend vor dem Opernball die Anrufe zusammen.
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Die Gäste des Hauses freilich sind oft die gleichen. Stammkunden, die am Tag nach dem Ball (und dem Katerfrühstück) gleich wieder für das nächste Jahr buchen, weil sie das alles unbedingt noch einmal erleben oder nie wieder missen wollen. Das sind die Routiniers, die meist auch ihre Anzugschuhe mit dabei haben und wissen, wo die Oper steht: genau gegenüber nämlich. Manche "Frischlinge" aber haben in der "versunkenen Kiste", wie das Opernhaus früher verächtlich genannt wurde, auch schon einmal den Bahnhof erkannt und wären ohne Limousine, die an diesem Abend quasi ständig im Kreis fährt und die Sacher-Gäste die paar Meter zum Eingang hinüberbringt, erst gar nie dort angekommen.

Im Jogger mit Ballfrisur

Das können junge Amerikanerinnen sein, die über den Insta-Account von Kim Kardashian vom Opernball erfahren und "the whole package" buchen – "da gehört das Sacher einfach dazu!", sagt Karlhuber, der dann auch manch internationalem Gast das Mascherl korrekt binden muss. Dafür hat er auch heuer wieder beim Kleidermacher Jungmann & Neffe um die Ecke einen Auffrischungskurs absolviert. Und falls die original Sacher-Torte an den Tagen davor, an denen die meisten Gäste bereits da sind, zu stark angeschlagen hat, ist die Näherin im ganzen Haus unterwegs und nimmt letzte Adjustierungen vor. Stylisten- und Friseurtermine werden ab dem Vormittag auf den Zimmern wahrgenommen, sodass man im Hotel den ganzen Tag über Damen mit hochgesteckten Frisuren, aber noch leger im Jogginganzug sehen kann.

Moritz Karlhuber vom Hotel Sacher muss vor dem Opernball schon einmal Ballschuhe für die Gäste auftreiben oder ihr Smokingmascherl binden.
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Spätestens für das Dinner um 18 Uhr aber sind alle perfekt aufgemascherlt. "Da wird es in der Lobby richtig eng, und wir gehen mit Schildern und Glöckchen durch, mit denen wir die Gäste zu Tisch bitten", erzählt Karlhuber. Danach geht für jeden einzelnen Gast der Vorhang auf, durch den hinaus er vom Türsteher verabschiedet wird in eine hoffentlich glanzvolle Ballnacht, während der Guest Service mit der Rückgestaltung der Räume beginnt, in denen ab Mitternacht bis sieben Uhr Früh die zurückkehrenden Gäste mit Snacks wie Gulaschsuppe oder – selbstverständlich! – Sacherwürsteln verwöhnt werden.

Der Problemlöser

Schräg gegenüber im Hotel Bristol, wo man um die gleiche Zeit den Gästen die gleichen Würstel anbietet, bekleidet ein vergleichsweise alter Hase die überaus anspruchsvolle Position des Concierge: Dieter Ludewig (55) absolvierte das Fremdenverkehrskolleg in Bad Gleichenberg und kam nach dem Bundesheer nach Wien. Auf eine erste Bewerbung hin wurde er in Evidenz gehalten, ein Jahr später rief man ihn an: "Wir hätten jetzt eine freie Stelle!" Nun ist er also seit 29 Jahren als Concierge hier tätig, "am Opernball-Tag übernehme ich heuer den Mittagsdienst." Weil er nämlich am Abend zum dritten Mal auch selbst hinübergehen wird zum Tanzbeinschwingen. Und weil die Termine beim Friseur Strassl in den Ringstraßen-Galerien, wohin sie traditionell ihre Gäste empfehlen, an jenem Tag längst ausgebucht sind, hat er sich schon im Vorfeld façonnieren lassen.

Dieter Ludewig, seit 29 Jahren Concierge im Hotel Bristol, hat sogar einen "Notfallkoffer" mit Manschettenknöpfen.
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Mit passender Frisur wird Ludewig dann also am Tag vor der Nacht der Nächte tun, was er immer tut: umsichtig sein und Probleme erkennen. "Denn der Concierge ist ein Problemlöser", fasst er seine Tätigkeit zusammen, und als sehr guter Concierge trägt er "Les Clefs d’Or", die goldenen Schlüssel, als Zeichen der Zugehörigkeit zur 1885 gegründeten gleichnamigen Conciergen-Vereinigung, deren District Governor in Wien er ist. Wenn er abends durch seine Stadt nach Hause geht, dann schaut er, ob er vielleicht irgendwo ein neues Anzugschuhgeschäft erspäht, das er seinen Gästen empfehlen kann. "Die Gäste brauchen uns", sagt er. "Nicht wie die Luft zum Atmen. Aber es wäre schade, wenn wir nicht da wären."

Oder wenn er sein Notfallköfferchen irgendwo vergessen würde, in dem er von Manschettenknöpfen über Hosenträger bis hin zum weißen Mascherl für den "Vatermörderkragen" des Frackhemdes alles mithat. Die weiße Nelke freilich, an der man den nicht dekorierten (ohne Orden) männlichen Bristol-Gast beim Opernball erkennt, bringen andere während des abendlichen Turn-down-Services (Abdecken der Betten) auf die Zimmer. "Der Legende nach war es Edward der VIII., Prince of Wales und gerngesehener Gast im Haus, der sich vor dem Ball immer eine solche aufs Zimmer bringen ließ", erzählt er.

Für das abendliche Menü (Hauptspeise: österreichisches Wagyu-Filet mit Erdäpfeltorte, Trüffel und Lauch) müsste auch ein Prinz heuer 335 Euro hinlegen, pro Person. Danach schießt eine Fotografin in der Lobby noch Fotos von den Gästen und gestaltet über Nacht eine Fotowand als Erinnerung. An der können sie – wenn sie das wollen! – bei ihrer Rückkehr aus der Oper den Unterschied zwischen ihrem Gesicht am Abend davor, als sie losgezogen sind, und dem nach der langen durchtanzten Nacht erkennen. Die meisten Gäste aber, versichert Ludewig, kämen nicht derangiert, sondern bestens gelaunt zurück. Und über Gegenteiliges würde er sowieso nie etwas erzählen, weil die herausragendste Eigenschaft des Concierge nun einmal sein Hang zur Verschwiegenheit ist. (Manfred Rebhandl, 7.2.2024)