Demonstrant in Dakar vor einer brennenden Barrikade.
Die Verschiebung der Wahl im Senegal sorgte für Unruhen in der Hauptstadt Dakar.
AFP/SEYLLOU

Aminata Touré hatte am Sonntag kaum ihr Auto verlassen, da kamen die Polizisten schon auf sie zu. Sie sei verhaftet, teilten sie der ehemaligen Premierministerin mit. Touré war in Dakar zu Protesten anlässlich der ersten Wahlverschiebung in der 64-jährigen demokratischen Geschichte des Senegal gefahren, hatte die Versammlung mitorganisiert. Einen Grund für die Verhaftung nannte ihr niemand. Erst am Abend, nach mehreren Stunden in Gewahrsam, wurde sie freigelassen.

Touré, 61, gehört zu den prominentesten Personen, die am 25. Februar eigentlich bei den Wahlen um die Nachfolge von Amtsinhaber Macky Sall konkurrieren wollten. Sie hatte die Demokratierückschritte der vergangenen Jahre mit Sorge beobachtet, den Flirt von Sall mit einer verfassungswidrigen dritten Amtszeit, die zunehmende Repression der Opposition. Aber was in diesen Tagen passiert, das hätte sie nicht für möglich gehalten: "Das ist ein Massaker an der Demokratie", sagte Touré am Telefon. "Mir hat geholfen, dass mich die Leute kennen. Tausende andere bleiben ohne Angabe von Gründen in Haft."

Das Whatsapp-Telefonat kommt nur zustande, weil sie in ihrem Haus einen festen Internetanschluss hat. Das Kommunikationsministerium ließ das mobile Internet in Dakar abstellen, mit Verweis auf Volksverhetzung, die in den Netzwerken zirkuliere. Eine Maßnahme, die in Afrika längst fester Bestandteil des Lehrbuchs autokratischer Staatenlenker während politischer Krisen ist.

Aminata Touré, die ehemalige Premierministerin des Senegal, wurde nach einer Protestkundgebung vorübergehend verhaftet.
AFP/JOHN WESSELS

Wut gibt es tatsächlich reichlich, und das aus verständlichen Gründen: Das von Salls Regierungskoalition dominierte Parlament beschloss am Montag, die Wahlen gleich um ein knappes Jahr zu verschieben, auf den 15. Dezember. Sall hatte die Maßnahme mit einem Streit zwischen der Nationalversammlung und dem Verfassungsrat über die Ablehnung einiger Kandidaten begründet.

Unter anderem war der bei der Jugend populäre Kandidat Ousmane Sonko, von der Regierungskoalition als Salafist gebrandmarkt, nicht zugelassen worden – er sitzt wegen Anstiftung zum Volksaufstand im Gefängnis. Auch Karim Wade, Sohn eines Ex-Präsidenten, wurde von der Liste gestrichen. Er habe entgegen den Bedingungen für eine Kandidatur neben der senegalesischen auch die französische Staatsbürgerschaft, hieß es. Letztere aber hat Wade aufgegeben. Entsprechend hatte er besonders lautstark für eine Verschiebung der Wahlen plädiert, um den Vorwurf zu entkräften.

Militär ohne Machthunger

In die wachsende Gruppe autokratischer Länder in Westafrika passt der Senegal eigentlich nicht. Viermal gab es weitgehend friedliche demokratische Machtwechsel. Kurz nach der Unabhängigkeit von Frankreich im Jahr 1960 versuchte sich ein Politiker an einem zaghaften Putschversuch, der aber rasch scheiterte. Anders als die Armeen in vielen anderen Sahelstaaten hat das Militär nie politischen Machthunger entwickelt. Das moderate muslimische Land, in dem der Sahelterrorismus nie Fuß fassen konnte, gilt als Leuchtturm der Demokratie – einer, der aktuell besonders unverzichtbar erscheint: Seit dem Jahr 2020 gab es in Afrika acht Putsche, die meisten davon in Westafrika.

Im Senegal konnte man sich entsprechend sehen lassen, zumal sich vor der Küste exportbereites Erdgas befindet. Es war das erste afrikanische Land, das der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) besuchte. Er warb im Frühjahr 2022 für die Umsetzung gemeinsamer Energieprojekte und "für eine Welt, in der internationale Regeln" gelten: "Deutschland zählt dabei auf den Senegal", so Scholz.

In diesen Tagen kommen aus dem Auswärtigen Amt in Berlin ganz andere Töne. "Wir beobachten die Entwicklungen in Senegal mit Sorge und großer Aufmerksamkeit", teilte ein Sprecher mit. "Die Senegalesinnen und Senegalesen haben ein Recht, den Wahlprozess fortzusetzen und ihre politische Führung demokratisch zu bestimmen." Die Regierung stehe in der Verantwortung, transparente und inklusive Wahlen unter Achtung rechtsstaatlicher Standards zu ermöglichen.

Touré hat das Statement gelesen – und findet es in seinem aus ihrer Sicht recht scharfen Ton angemessener als jenes von Frankreich. Die einstige Kolonialmacht betonte weniger drängend, der Senegal solle die Präsidentschaftswahl "so bald wie möglich" und "unter Wahrung der Rechtsstaatlichkeit" abhalten. Sall gilt geopolitisch als Paris-Verbündeter, in seinem Land sind französische Truppen stationiert, beide Armeen halten regelmäßig gemeinsame Militärübungen ab. Und französische Unternehmen sind in Schlüsselsektoren der senegalesischen Wirtschaft aktiv.

Nachsicht in Frankreich?

Für Touré drängt sich der Verdacht auf, dass bei einer solchen Konstellation demokratische Rückschritte vom sonst in Westafrika nach wie vor eher polternd auftretenden Frankreich mit einer gewissen Nachsicht beobachtet werden – wie es zuletzt schon bei der verfassungswidrigen Machtübernahme von Mahamat Déby im Tschad der Fall war.

"Frankreich glaubt, dass die Opposition gegen Paris ist", sagt die Politikerin. "Das ist keineswegs der Fall, wir sehen Frankreich als einen gleichberechtigten Partner von vielen. Es gibt dort immer noch die Erwartung, dass man sich ihnen völlig unterwerfen muss. Diese Zeiten sind vorbei." Sie vermutet, dass der nach zwei Amtszeiten widerwillig aus dem Amt scheidende Sall die Wahlen schlicht verschoben habe, weil der Kandidat seiner Regierungspartei, Amadou Ba, in Umfragen schlecht abgeschnitten habe.

Doch im Senegal brodelt es schon länger. Unter Sall ist die Zufriedenheit mit der Demokratie im Senegal stark zurückgegangen. Laut Afrobarometer, einem renommierten Meinungsforschungsinstitut, waren im Jahr 2013, kurz nach seinem Amtsantritt, mehr als zwei Drittel der Senegalesen ziemlich oder sehr zufrieden mit der Demokratie. 2022 waren es weniger als die Hälfte.

Am Dienstagvormittag hat Touré Klage vor dem Verfassungsgericht gegen die Wahlverschiebung eingereicht. Sie hofft weiter auf die Widerstandsfähigkeit der senegalesischen Demokratie. Doch in den vergangenen Tagen kam ihr ein Gedanke, der lange schlicht undenkbar war: "Im Moment haben die Proteste ein Ausmaß, das kontrollierbar ist", sagt Touré. "Aber wenn wir uns einem völlig chaotischen Level nähern sollten, dann wird die Armee eingreifen." Bei diesem Szenario hält sie also auch den ersten Putsch in Senegals Geschichte für nicht mehr völlig ausgeschlossen. (Christian Putsch, 8.2.2024)