Im Leben des Tucker Carlson gibt es zwei Pole, die sich in Auftritten zusammenfassen lassen. Der eine ereignete sich im Jahr 2009 auf der US-amerikanischen Konservativen-Konferenz CPAC. Polittalker Carlson, damals vom liberalen TV-Sender MSNBC wegen fehlender Einschaltquoten eben erst gefeuert, tritt ans Podium. Er liest seinen Zuhörern die Leviten. Es gebe eine "harte Wahrheit", mit der sich Konservative befassen müssten. Wer ein Medium gründe, dessen Ziel es nicht sei, akkurate Fakten zu liefern, werde scheitern. Die "New York Times" seien ideologisch fehlgeleitet, "aber sie kümmern sich darum, die Namen von Leuten richtig zu schreiben", sagt er. Konservative sollten ähnliche Medien gründen, empfiehlt er noch, bevor das Publikum aufbegehrt. Buh-Schreie sind zu vernehmen.

Tucker Carlson bei der CPAC 2009
RightWingWatchdotorg

Pol zwei: Rund zehn Jahre später ist es ein Auftritt vor Gericht, den Anwälte im Namen Carlsons absolvieren. Dieser ist wegen Rufschädigung angeklagt. Er hatte in seiner Sendung auf Fox News rufschädigende Behauptungen über Frauen aufgestellt, die Donald Trump der Vergewaltigung bezichtigt hatten. Diese Behauptungen hatte er mit den Worten unterstrichen, es hätte sich um "unbestrittene Fakten" gehandelt. Allein: Es handelte sich nicht um Fakten. Carlsons Anwälte argumentierten, dass "angesichts Herrn Carlsons Reputation jeder vernünftige Zuseher seinen Behauptungen mit Skepsis begegnen wird".

Tucker Carolson hat sich mit seinem Stil eine Reihe fanatischer Fans geschaffen. Unter ihnen ist auch Donald Trump. Die Begeisterung beruht auf Gegenseitigkeit.
REUTERS/CAITLIN O'HARA

Niemand nehme Carlson ernst, er könnte daher auch niemanden verleumdet haben. Die Verteidigung, die österreichischen TV-Zusehern in ähnlicher Form bekannt sein mag, funktionierte vor Gericht. Carlson hatte es mit seiner politischen Debatten-Sendung "Tucker Carlson Tonight" zu einer Art inoffiziellem Pressesprecher Trumps gebracht – genauso faktenarm in seinen Argumenten wie der ehemalige Präsident, aber auch genauso angriffslustig und brutal gegen alle, die er als politische Gegner ausmachte.

Zu Gast bei Orbán und Putin

Mittlerweile wurde Carlson auch von Fox News entlassen. Teure, weil klagbare Behauptungen über die angeblich gestohlene US-Präsidentenwahl 2020 sowie interne Mails, in denen er über Fox-News-Manager herzieht, sollen im April 2023 der Grund für die Trennung gewesen sein. Seine einst ventilierte Begeisterung für akkurate Berichte scheint seither vollends erloschen. Eine Show im sozialen Medium X, "Tucker on X", läuft weitgehend faktenfrei, lebt dafür aber von erfundenen Verschwörungserzählungen über Covid, über die Wahl 2020 – und besonders über den Ukrainekrieg. Diesen begründete der Moderator schon seit seiner Zeit bei Fox News mit der angeblich unkontrollierten Erweiterung der Nato nach Osten. Die Verteidigung Europas müsse die USA nicht interessieren, man solle sich um die Grenze zu Mexiko kümmern. Das war Carlsons Argument – schon bevor Donald Trump es sich öffentlich zu eigen machte und lange bevor die Republikaner es als ihre Politik übernahmen.

Ob Strategie, Schielen auf die Quote, journalistische Überlebenstaktik oder eigene Meinung: Der Dank ist der schnelle Aufstieg Carlsons in politisch ernstzunehmende Kreise – wenn auch solche mit bestimmter ideologischer Färbung. Im August durfte er den ungarischen Premier Viktor Orbán weitgehend beipflichtende Fragen zu dessen Ukraine-Politik stellen. Nun ist es das Interview mit Russlands Präsident Wladimir Putin, das Carlson zurück auf die ganz große mediale Bühne bringt. Es ist das erste eines westlichen Journalisten seit Beginn des Ukrainekrieges. Wie es dazu kam, bleibt offen. Carlson selbst behauptet, er habe als Einziger angefragt. Der Kreml aber widersprach in seltenem Einklang mit westlichen Medien wie der BBC und CNN. Anfragen habe es viele gegeben, aber man suche sich eben aus, mit wem man rede. Zu sehen sein soll das Interview in der Nacht zum Freitag.

Jon Stewart zu Gast

Dass es Carlson einmal auf diese Art auf die Weltbühne schaffen würde, wäre anhand seiner Karriere bis vor kurzem schwer zu erahnen gewesen. Für den Journalismus entschied sich der 1969 geborene Sohn eines politisch gut vernetzten Medienmanagers erst auf dem zweiten Karriereweg. Nach seiner Schulzeit, die er ohne Glanz absolviert hatte, suchte er einst um die Aufnahme bei der CIA an, was diese allerdings ablehnte. Bei seinen ersten Gehversuchen, unter anderem bei der "Arkansas Democrat-Gazette" und dem konservativen Magazin "Weekly Standard" war er eher als Mainstream-Konservativer in Erscheinung getreten, als guter Schreiber und als durchaus sympathischer Kollege mit Humor, wie es in einem Porträt für die "Columbia Journalism Review" heißt.

Jon Stewart bei Tucker Carlson
Secular Talk

Allerdings wird in dem Porträt auch festgehalten: Eine gewisse Nähe zu seiner heutigen Vorliebe, aus einer insinuierten Verteidigungshaltung heraus als konservativer, weißer Mann gegen liberale und linke Ideen zu hetzen, die wurde auch in seinen damaligen Geschichten schon sichtbar. Später, bei der CNN-Sendung "Crossfire", machte er es zu seinem Markenzeichen. Die Idee war es, einen konservativen und einen liberalen Moderator gegeneinander argumentieren zu lassen, jeweils mit einem Gast. Unter Carlson und seinem damaligen Co-Moderator Paul Begala war von einem Diskurs-Ideal wenig übrig. Sie lieferten sich gegenseitigen Beschimpfungen zum Gaudium des Publikums. Bis 2004 ein Gast auftauchte, dessen Intervention die Sendung zur Einstellung und Carlson zur vorübergehenden Begeisterung für die Fakten brachte: Komiker John Stewart warf Carlson in seiner Sendung vor, zum Ruin von Demokratie und Debattenkultur in den USA beizutragen – und erntete dafür massive Zustimmung. Es ist der dritte Pol, der die Karriere des Moderators bestimmen sollte. Allerdings, wie man heute weiß, nur vorübergehend. (Manuel Escher, 8.2.2023)