Frauen, Männer, politische Einstellung
Junge Frauen haben laut Forschenden ein stärkeres Unrechtsbewusstsein, was das Geschlechterverhältnis betrifft, als junge Männer – und sehen sich wesentlich häufiger als Feministinnen.
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Wenn Lisa Meier über Politik spricht, wird ihre Stimme energisch. "Es ist erschreckend, wie viele junge Menschen rechte Kommentare auf Instagram oder Tiktok verbreiten", sagt die 19-Jährige, die in der Nähe von Wien wohnt. Was sie besonders störe: dass gerade junge Männer den Begriff Feminismus oft falsch benutzen würden. "Manche glauben, dass dadurch Männer unterdrückt und Frauen höhergestellt werden." Stattdessen gehe es um Gleichstellung, von der auch Männer profitieren würden.

Rund 150 Kilometer weiter zieht sich Martin Eppler an einer Klimmzugstange hoch. Eppler – breite Hände, großgewachsen – packt gern an: bei dem alten Moped in der Garage in Niederösterreich, das er selbst repariert hat, beim Bretterverlegen auf der Terrasse seiner Eltern oder wenn er in der HTL mit Klassenkollegen an neuen Modellautos tüftelt. Im Großen und Ganzen sei es mit der Gleichstellung im Land schon ziemlich weit, sagt der 18-Jährige. "Jeder kann bei uns alles machen, was er will."

Wachsende Kluft

Eppler und Meier, die eigentlich anders heißen, gehören beide zur sogenannten Generation Z: jenen Menschen, die zwischen 1997 und 2012 geboren sind. Was ihre politischen Einstellungen betrifft, leben sie jedoch in zwei verschiedenen Welten.

Einige Forschende sehen darin einen größeren Trend. Eine wachsende Kluft innerhalb einer Generation. Nicht zwischen Stadt und Land, Akademikerinnen und Nichtakademikern oder Reich und Arm, sondern zwischen den Geschlechtern. Eine Schere zwischen links und rechts, die besonders beim Feminismus und bei Genderthemen aufgehe. Eine Spaltung, die sich laut Forschenden bald nicht nur bei Wahlen, sondern auch im Privatleben zeigen könnte.

Feminismus diskriminiere Männer

Laut einer Studie des Marktforschungsunternehmens Ipsos aus dem vergangenen Jahr bezeichnen sich 29 Prozent aller Männer in Österreich als Feministen, während dies bei Frauen 39 Prozent tun, allen voran junge Frauen der Generation Z. Knapp die Hälfte der Männer ist der Meinung, dass die Gleichstellung von Frauen bereits so weit gefördert ist, dass dadurch Männer diskriminiert werden.

Er fühle sich als Mann teilweise unfair behandelt, sagt Eppler. "Als Mann muss ich Bundesheer oder Zivildienst machen, als Frau nicht." Dafür gebe es keine wirkliche Begründung. Auch sei es als Junge viel schwieriger, in Discos hineingelassen zu werden, als als Mädchen. Dass neuerdings so viel gegendert werde, halte er für übertrieben.

Meier kann das nicht nachvollziehen. "Ich finde es schön, auch als Frau angesprochen zu werden." Deshalb sei Gendern wichtig. Außerdem sei es aufwendiger, sich über das Gendern aufzuregen, als ein paar Buchstaben mehr dranzuhängen. Das Argument, dass sich Frauen nicht beschweren sollen, weil es ihnen in Österreich eh schon so gut gehe, höre sie gerade von gleichaltrigen Männern immer wieder. "Natürlich können wir uns unglaublich glücklich schätzen, als Frauen in Österreich zu leben. Aber es ist nicht so, als gäbe es hier nicht auch noch viele Probleme."

Ungleiche Erfahrungen

Sie selbst sei bereits mehrmals mit Sexismus konfrontiert gewesen, sagt Meier. "Da heißt es dann: Du bist ein Mädchen und kannst eben nicht so gut Autofahren. Oder: Ich brauche ein paar starke Männer, die mir beim Tragen helfen."

Laut einer Studie aus dem Jahr 2020 fühlte sich knapp die Hälfte aller Frauen in Österreich in den letzten drei Jahren diskriminiert, wobei Sexismus als häufigster Grund genannt wurde. Mädchen und Frauen zwischen 14 und 25 Jahren waren mit mehr als 60 Prozent besonders häufig von Diskriminierung betroffen. Männer machen hingegen kaum Sexismuserfahrungen.

Stärkeres Unrechtsbewusstsein

Diese Unterschiede können sich auch in den politischen Einstellungen widerspiegeln. "Junge Frauen sind durchaus das tolerantere Geschlecht, sie sind meist kosmopolitischer, politisch eher links und weniger anfällig für Populismus", sagt Judith Goetz, Politikwissenschafterin und Genderforscherin an der Universität Innsbruck. Das haben Studien in den vergangenen Jahren immer wieder gezeigt. Viele junge Frauen haben ein stärkeres Unrechtsbewusstsein, insbesondere was das Geschlechterverhältnis betrifft.

"Junge Frauen und Männer nehmen Politik zum Teil sehr unterschiedlich wahr", sagt auch Flavia Enengl, Wissenschafterin am Wiener Institut L&R Sozialforschung, die vor kurzem eine Untersuchung zum politischen Interesse junger Frauen durchgeführt hat. Dabei spielen auch Geschlechterstereotype eine Rolle. Während sich junge Frauen tendenziell eher für Gesundheit, Familie, Bildung und Gleichstellung interessierten, seien für junge Männer eher Wirtschaftsthemen relevant. Viele junge Frauen vermissten weibliche Vorbilder in der Politik, während fehlende Vorbilder für junge Männer kaum ein Thema seien.

Differenzen noch nie so groß

Dieser Trend zeigt sich auch im Ausland. Laut einer Studie des Soziologen Ansgar Hudde, der an der Universität Köln forscht, ist die Schere im Wahlverhalten bei Männern und Frauen in Deutschland in den letzten Jahren immer weiter auseinandergegangen – gerade bei jüngeren Menschen. "Die politischen Differenzen zwischen jungen Männern und Frauen waren noch nie so groß", sagt Hudde.

Während junge Frauen zwischen 18 und 24 Jahren immer häufiger links wählen, tendieren junge Männer zur Mitte oder nach rechts davon. Junge Frauen wählen überdurchschnittlich häufig die Grünen, unter jungen Männern ist vor allem die FDP beliebt, die wegen ihrer wirtschaftsliberalen Ausrichtung eher Mitte-rechts zu verorten ist.

"Eine Erklärung dafür könnte sein, dass Frauen eher jene Parteien wählen, die sich stark mit Gleichstellung und Feminismus assoziieren", sagt Hudde. Bei jungen Männern wiederum seien vor allem die Themen Digitalisierung und Modernisierung relevant. "Ich kann mir vorstellen, dass es unter jungen Männern eine gewisse Frustration gibt, dass sie sich gerade nicht als die Gewinner der gesellschaftlichen Entwicklung sehen."

Einfluss durch soziale Medien

Für Goetz spielt auch der gesellschaftliche Druck im Hinblick auf Geschlechterrollen eine Rolle. Dieser sei bei jungen Männern ein anderer als bei jungen Frauen. Während jungen Frauen schon in der Erziehung mehr Spielraum geboten werde, auf ihre Gefühle zu hören und auch versagen zu dürfen, seien die Anforderungen an junge Männer immer noch häufig, erfolgreich sein und Karriere machen zu müssen.

"Konservative und rechte Ideologien bieten vor allem jungen Männern ein attraktives Angebot, indem sie ihnen Orientierung geben", sagt Goetz. Da heißt es dann, dass es naturgegeben sei, wie Männer sich verhielten und welche Rolle sie in der Gesellschaft hätten. Der Status quo einer privilegierten männlichen Gesellschaft werde als etwas Positives betrachtet, ebenso die "natürliche Männlichkeit". Soziale Medien und die Filterblasen, die diese bilden, haben diesen Einfluss auf junge Männer und deren Identitätsbildung noch verstärkt, sagt Goetz.

"Männliches Empowerment"

Darauf deuten auch Studien aus dem Ausland hin. Demnach haben Personen wie der US-amerikanisch-britische Unternehmer und Influencer Andrew Tate großen Einfluss vor allem auf junge Männer, wie eine aktuelle Umfrage aus Großbritannien zeigt. Tate wurde mit frauenfeindlichen Slogans zum Internetstar. Viele junge Männern lobten ihn dafür, "männliches Empowerment" zu fördern. Der Ex-Kickboxer steht derzeit in Rumänien vor Gericht, ihm werden Menschenhandel, organisierte Kriminalität und Vergewaltigung vorgeworfen.

Dennoch hat jeder fünfte Mann im Alter von 16 bis 29 Jahren eine positive Einstellung zu Tate, heißt es in der britischen Studie – dreimal mehr als Frauen in diesem Alter. 16 Prozent der befragten Männer der Generation Z gaben zudem an, dass Feminismus mehr Schaden als Nutzen gebracht hat.

Andrew Tate
Trotz – oder gerade wegen – seiner frauenfeindlichen Aussagen kommt Andrew Tate gerade bei vielen jungen Männern gut an.
EPA/ROBERT GHEMENT

Bruch durch MeToo

Auf der anderen Seite des Atlantiks sitzt Daniel Cox in seinem Büro in Washington und bereitet eine neue Umfrage zur politischen Haltung junger Männer und Frauen vor. Seit vielen Jahren beschäftigt sich Cox, Wissenschafter am Survey Center on American Life, mit dieser Entwicklung. Er sagt: "Dass junge Männer und Frauen politisch auseinanderdriften, hat auch mit MeToo zu tun." Während sich viele Frauen stark mit der Bewegung identifizierten und sich in ihren Anliegen bestärkt fühlten, stieß die Bewegung bei vielen Männern auf Ablehnung.

"Einige Männer reagierten darauf, indem sie die Verantwortung von sich wegschoben. Man selbst habe mit diesem Thema nichts zu tun", sagt Cox. Viele empfanden die Bewegung aber auch als Angriff und setzten mit einer "Hyper-Männlichkeitsideologie" zum Gegenangriff an. "Vor allem Personen wie Trump sagten jungen Männern: Wir sind stark und lassen uns von niemandem etwas einreden."

Trump
Ex-US-Präsident Donald Trump habe viele junge Männer in einer konservativen "Männlichkeitsideologie" bestärkt.
EPA/JOHN MABANGLO

Feminismus als Nullsummenspiel

Während Männlichkeit für junge Männer durch Begriffe wie toxische Männlichkeit zunehmend in ein negatives Licht gerückt werde, biete eine solche konservative Sicht für viele eine Alternative, bei der sie sich nicht schlecht fühlen müssten, sagt Cox. "Viele junge Männer sehen Feminismus zunehmend als Nullsummenspiel: Wenn Frauen gewinnen, heißt das, das Männer verlieren."

Goetz sieht MeToo nur als einen Faktor unter vielen. Die Bewegung sei eingebettet in eine generelle gesellschaftliche Debatte, bei der die Gleichstellung der Geschlechter heute eine viel größere Rolle spiele. "Das bringt bestimmte Privilegien und Selbstverständlichkeiten ins Wanken, und das ist auch für junge Männer spürbar geworden."

Auswirkungen auf Privatleben

Gleichzeitig sei die Situation auch für junge Frauen paradox, sagt Goetz: "Ihnen wird heute suggeriert, dass ihnen alle Türen offen stehen. Aber in der Praxis erleben sie dann, wie ihnen in einem männerdominierten Betrieb ein Kollege auf den Arsch greift. Oder sie sehen einen Kalender mit nackten Frauen an der Wand."

Welche Auswirkungen hat es für eine Gesellschaft, wenn sich entlang der Geschlechter ein Spalt auftut? Ansgar Hudde sieht vor allem auch Veränderungen für das Privatleben. "Es wird immer mehr Paare geben, in denen die Partner unterschiedliche politische Einstellungen vertreten. Das bringt den politischen Konflikt an den Küchentisch."

Mitunter könne das auch konstruktiv sein. "Dadurch können vielleicht auch Vorurteile gegenüber der anderen Seite abgebaut und letztlich der Zusammenhalt gestärkt werden."

Differenzen überwinden

Vielleicht bringt es viele junge Menschen aber auch gar nicht zusammen. In Südkorea beispielsweise ist die Geburtenrate bei Frauen mit 0,81 Kindern pro Frau so niedrig wie in kaum einem anderen Land auf der Welt – eine Entwicklung, die viele Expertinnen und Experten mit den Geschlechterungleichheiten und traditionellen Geschlechterrollen in Verbindung bringen.

"Ich würde niemals mit jemandem zusammensein, der rechts ist", sagt Lisa Meier. Auf Datingplattformen wie Tinder habe sie deshalb auch immer auf die politischen Einstellungen auf den Profilen geachtet – und bei ihren eigenen Interessen Feminismus und Frauenrechte angegeben.

Diese politischen Differenzen zu überwinden sei eine große gesellschaftliche Aufgabe, sagt Goetz. Dafür brauche es nicht nur ein Empowerment junger Frauen, sondern auch eines junger Männer. "Lehrerinnen und Eltern sollten erkennen, dass junge Frauen und Männer mit ganz unterschiedlichen gesellschaftlichen Herausforderungen konfrontiert sind."

Widersprüche aushalten

Es gehe darum zu zeigen, dass man sich normativen Ansprüchen an das Geschlecht nicht unterordnen müsse, sondern dass es darum gehe, eine Identität zu finden, mit der man selbst glücklich sei. "Das bedeutet, dass ich auch Widersprüche aushalten muss, dass es nicht eine eindeutige männliche oder weibliche Identität gibt, sondern ich aus vielen Lebensentwürfen jene auswählen kann, die mir guttun."

Vielleicht bedeutet das manchmal auch, genauer hinzuschauen, sagt Goetz. Etwa auf Menschen wie Andrew Tate – und sich zu fragen: Will man wirklich so sein? Und: Wie wäre es, selbst so behandelt zu werden? (Jakob Pallinger, 10.2.2024)