Die EU hat auf ihrem Weg in eine CO2-neutrale Zukunft ein neues Zwischenziel. Bereits zehn Jahre vor dem angepeilten Jahr der Klimaneutralität 2050 sollen die Treibhausgas-Emissionen bereits um 90 Prozent geringer ausfallen als im Jahr 1990. So sieht es zumindest ein Plan vor, den die EU-Kommission am Dienstag präsentiert hat. Bisher ist er nur ein Vorschlag, der noch mit dem EU-Parlament und dem Rat abgestimmt werden muss.

Auch ist noch offen, wie das Ziel für 2040 genau erreicht werden soll. Denn konkrete Reduktionsziele für die einzelnen Sektoren nennt der Plan nicht. Ziemlich konkret wird die EU-Kommission aber bei der CO2-Entfernung aus der Atmosphäre. Denn bei den 90 Prozent handelt es sich um einen Nettowert – es zählen also die Emissionen minus das CO2, das in Senken wieder gebunden wird.

Arbeiter mit Helm schaut auf Direct-Air-Capture-Anlage von Heirloom in Kalifornien, 9. November 2023
Die Anlage des Unternehmens Heirloom ist eine der wenigen weltweit, wo CO2 direkt aus der Luft abgeschieden wird.
via REUTERS/Heirloom Carbon

Diese können einerseits natürlich sein. Wälder, intakte Moore oder Humusböden speichern große Mengen Kohlenstoff. In den Fokus geraten mit dem Plan der Kommission für ein "industrielles Kohlenstoff-Management" aber nun auch technische Lösungen wie die CO2-Abscheidung und -Speicherung (Carbon Capture and Storage, kurz CCS).

Bisher liefern vor allem Wälder

Insgesamt sollen dadurch bis zum Jahr 2030 rund 50 Millionen Tonnen CO2 gespeichert werden. Für das Jahr 2040 rechnet die EU-Kommission bereits mit 280 Millionen Tonnen, im Jahr 2050 mit 450 Millionen Tonnen. Zum Vergleich: Die jährlichen CO2-Emissionen Österreichs liegen bei etwa 70 Millionen Tonnen.

Diese Zahlen kann man getrost als ambitioniert bezeichnen. Derzeit werden weltweit jährlich rund zwei Milliarden Tonnen Kohlenstoffdioxid wieder aus der Atmosphäre entnommen. Mehr als 99,9 Prozent davon entfallen auf natürliche Senken wie Wälder. Nur rund ein Tausendstel der CO2-Entnahme entfällt auf neue Verfahren.

Bäume sind noch immer der einfachste und günstigste CO2-Speicher.
APA/AFP/OLIVIER MORIN

Viele Umweltschutzorganisationen und Fachleute sehen in solchen Technologien deshalb eine Scheinlösung, die vor allem dazu diene, die Verminderung von Emissionen immer weiter in die Zukunft zu verschieben. Greenpeace sieht in der CO2-Speicherung etwa ein "Technologiemärchen", welches das in ihren Augen ohnehin zu schwache Klimaziel 2040 weiter verwässere.

Man dürfe allerdings nicht alle technischen Verfahren zur CO2-Entnahme in einen Topf werfen, sagt Karl Steiniger vom Wegener Center für Klima und Globalen Wandel an der Universität Graz. "Die Frage muss immer lauten: Woher kommt das CO2, und was passiert damit?", sagt der Klimaökonom.

Tief verpresst oder gut genutzt

Weiterhin Kohlekraftwerke zu betreiben und dort CO2 abzuscheiden ergebe "natürlich keinen Sinn". Sehr wohl könnte CCS aber dort eingesetzt werden, wo sich Emissionen nicht vermeiden ließen, etwa in der Zementindustrie. Bei den dort ablaufenden chemischen Prozessen fällt immer CO2 an – selbst wenn die Anlage komplett mit erneuerbaren Energien betrieben wird.

Doch welche Emissionen sind schwierig zu vermeiden? Der EU-Plan nennt die Landwirtschaft, den Flugverkehr und einige Industrien, ohne weiter ins Detail zu gehen. Ein Fehler, kritisiert die NGO Carbon Markets Watch. Die EU müsse benennen, welche Emissionen für die Gesellschaft so wichtig seien, dass sie bis 2040 nicht beseitigt werden können, "anstatt diese heiße Kartoffel weiterhin an künftige Generationen weiterzugeben", heißt es in einer Presseaussendung. Die Strategie für das Kohlenstoffmanagement in der Industrie erlaube "implizit die Nutzung fossiler Brennstoffe im Stromsektor weit über 2040 hinaus, was ein inakzeptables Schlupfloch darstellt und einen Rückschritt gegenüber früheren Verpflichtungen bedeutet", sagt Sam Van den plas, Policy Director bei Carbon Market Watch. Schließlich habe die EU auf der vergangenen Klimakonferenz in Dubai den Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen mitbeschlossen.

Doch nicht die Quelle des abgeschiedenen CO2 zählt, sondern auch, wo es landet. Einerseits könnte es in tiefe Gesteinsschichten geleitet werden, wo es mineralisiert der Atmosphäre dauerhaft fernbleibt. Doch oft ist es sinnvoller, das CO2 zu Kunst- oder Treibstoffen weiterzuverarbeiten – zumindest solange noch Plastik und Benzin aus Öl und Gas produziert werden. Diese könnten durch die neuen, aus eingefangenem CO2 produzierten Produkte ersetzt werden. Unterm Strich wird dabei zwar kein Kohlenstoff aus der Atmosphäre entnommen, aber zumindest werden Emissionen eingespart und das CO2 teilweise im Kreis geführt.

Fatih Aydogdu

Holz verbrennen, CO2 auffangen

Anders sieht es aus, wenn das eingefangene CO2 aus der Verbrennung von Biomasse, etwa Holz, stammt. "Da lasse ich die Bäume zuerst das CO2 aus der Atmosphäre einfangen", erklärt Steininger. Die gleiche Menge wird beim Verbrennen wieder frei – weshalb Holz als klimaneutral gilt. Wird es allerdings eingefangen und gespeichert oder zu Produkten verarbeitet, sinkt die CO2-Konzentration in der Atmosphäre. Der Vorteil: Quasi nebenbei lässt sich dabei Strom oder Wärme gewinnen. Allerdings ist die Menge an verfügbarer Biomasse begrenzt – schließlich soll gleichzeitig ja auch aufgeforstet werden.

Kein Holz braucht man hingegen für das sogenannte Direct Air Capture (DAC), also die direkte Abscheidung von CO2 aus der Luft. Da das Klimagas in der Atmosphäre aber nur 0,05 Prozent ausmacht, ist das Verfahren viel aufwendiger und frisst enorm viel Energie.

Energie, die sinnvollerweise aus Erneuerbaren Quellen kommen muss, damit die Atmosphäre auch tatsächlich entlastet wird. Doch dieser Grünstrom ist oft woanders besser aufgehoben, weshalb viele Fachleute die Stunde von DAC erst in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts sehen, wenn in den Stromnetzen dieser Welt bereits saubere Energie fließt.

Der hohe Energieverbrauch, gepaar mit der neuartigen Technik macht DAC derzeit noch teuer. Eine Tonne CO2 aus der Luft zu entfernen, kostet aktuell rund 1.000 US-Dollar. Das Treibhausgas durch biologische Methoden, etwa durch Wiederaufforstung, zu binden, ist mit Preisen von rund 30 US-Dollar bedeutend günstiger. Wenn die Kosten für DAC, wie von vielen erwartet, in den kommenden Jahrzehnten sinken, wird die Lücke zu den steigenden Preisen auf den CO2-Märkten zwar geringer. Doch bis die Technologie auch wirtschaftlich interessant wird, ist es noch ein langer Weg.

Kein Gamechanger

Ein echter Gamechanger für die Klimawende seien die CO2-Speichertechniken aber ohnehin nicht, sagt Steininger. Denn die unterirdischen Lagerstätten, in denen sich CO2 speichern ließe, seien ebenso begrenzt wie Kapazitäten für den Bau solcher Anlagen. Diese müssten laut Steiniger ausschließlich für die unvermeidbaren Emissionen reserviert bleiben. "Weiterhin Kohle zu verfeuern und danach auf CO2-Speicherung zu setzen wäre fatal", sagt der Klimaökonom. Im Fokus müsse immer die Emissionsvermeidung bleiben.

Trotzdem wird um die CO2-Speicherung wohl kein Weg herumführen – vor allem wenn das Ziel, die Welt um nicht mehr als 1,5 Grad aufzuheizen, doch noch erreicht werden soll. Denn das sogenannte Overshoot-Szenario des Weltklimarats wird immer unausweichlicher. Dabei steigt die globale Durchschnittstemperatur kurzfristig über 1,5 Grad, bevor sie durch massive negative Emissionen ab 2050 wieder sinkt.

Wo und wie viel CO2 künftig in Österreich gespeichert werden könnte, beschäftigt momentan einen vom Klimaschutzministerium eingesetzter wissenschaftlichen Beirat. Dieser soll eine Kohlenstoff-Strategie ausarbeiten, die sowohl biologische als auch technische Möglichkeiten umfasst. Letztere haben es in Österreich nicht leicht: Denn die geologische CO2-Speicherung unter der Erde ist hierzulande verboten. (Philip Pramer, 10.2.2024)