Am Donnerstag hat das Europäische Parlament mit 461 Ja-Stimmen zu 52 Nein-Stimmen eine Resolution zu Serbien angenommen, in der eine Untersuchung der am 17. Dezember 2023 abgehaltenen Wahlen gefordert wird. In der Entschließung wird die Europäische Kommission aufgefordert, eine Expertenmission nach Serbien zu entsenden, um die Lage zu bewerten und einen Dialog zu vorzubereiten, der das Vertrauen in die Institutionen wiederherstellen soll. Gedacht ist an eine Untersuchung und Bewertung der Rechtsstaatlichkeit in Serbien analog zu jener Untersuchung, die in Nordmazedonien sowie Bosnien und Herzegowina vom deutschen Juristen Reinhard Priebe unternommen wurden.

Präsident Vucic am Übersetzungsgerät vor Wappen.
Serbiens Präsident Aleksandar Vučić warb auch im Nachbarland Bosnien-Herzegowina um Stimmen.
AP/Darko Vojinovic

Laut der Analyse europäischer Wahlbeobachter "untergruben der Druck auf die Wähler sowie die entscheidende Beteiligung des Präsidenten und die systemischen Vorteile der Regierungspartei den Wahlprozess" im Dezember. Aus dem Nachbarstaat Bosnien-Herzegowina waren zudem Menschen organisiert herangekarrt worden, um in Belgrad zu wählen. Und nicht nur in Serbien, auch in Bosnien-Herzegowina war Präsident Aleksandar Vučić plakatiert, obwohl er gar nicht zur Wahl stand und obwohl es sich um den Nachbarstaat handelt. In den vergangenen Jahren haben jedoch viele Bürger Bosnien und Herzegowinas die Staatsbürgerschaft des Nachbarstaats Serbien bekommen.

"Große Besorgnis"

In der Resolution des Europäischen Parlaments vom Donnerstag heißt es konkret: "Das Europäische Parlament nimmt mit großer Besorgnis die umfangreichen Beweise zur Kenntnis, die von internationalen und inländischen Beobachtern gesammelt wurden und die auf Aktivitäten im Vorfeld und während des Wahltags hinweisen, die möglicherweise das Ergebnis der Wahlen verändert und sich möglicherweise entscheidend auf die Ergebnisse der Kommunalwahlen in Belgrad ausgewirkt haben und die Legitimität der Parlamentswahlen ernsthaft untergraben."

Das Europäische Parlament fordert deshalb "eine unabhängige internationale Untersuchung der Unregelmäßigkeiten bei den Parlaments-, Provinz- und Kommunalwahlen durch angesehene internationale Rechtsexperten und Institutionen, mit besonderem Augenmerk auf die Wahlen zum Belgrader Stadtparlament", heißt es weiter. Das Europäische Parlament unterstützt eine umgehende Entsendung einer Ad-hoc-Erkundungsmission nach Serbien. Laut der serbischen Wahlbeobachtungsorganisation CRTA kam es im Fall von 30.000 Wählern zu Ungenauigkeiten im Wählerverzeichnis. In Belgrad selbst hat die Opposition knapper verloren – im Rest des Landes ist die Fortschrittspartei unangefochten.

"Die gesamte Kampagne war von noch extremerer Polarisierung, aggressiver Rhetorik, persönlicher Diskreditierung, verbalen Beschimpfungen und hetzerischer Sprache geprägt", kritisiert das Europäische Parlament zudem die Vorgangsweise der regierenden Fortschrittspartei von Vučić. Kritik gibt es auch daran, "dass die von Russland geförderten Medien 'Sputnik Serbien' und 'Russia Today Balka'n aktiv zur Verbreitung von Desinformationen beigetragen haben, vor allem über Oppositionskandidaten."

Aussetzung von Geldern gefordert

In der Resolution wird die Aussetzung der EU-Gelder für Serbien gefordert, falls die serbischen Behörden nicht bereit sind, wichtige Empfehlungen umzusetzen, und die Untersuchungsergebnisse auf eine Beteiligung der serbischen Behörden am Wahlbetrug hinweisen. Serbien profitiert seit vielen Jahren enorm von den Geldmitteln aus Brüssel, obwohl die serbische Regierung kaum Anstrengungen unternommen hat, um die für einen EU-Beitritt erforderlichen Reformen umzusetzen. Serbien unterstützt auch nicht die Sanktionen gegen Russland, obwohl es dazu aufgrund der Verträge mit der EU verpflichtet ist.

Diese Woche besuchte der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius Bosnien-Herzegowina, Kosovo und Serbien. In Belgrad sagte er "Man kann nicht gleichzeitig auf zwei Hochzeiten tanzen" und mahnte vom Regime Vučić eine klare Ausrichtung ein. Doch Vučić profitiert seit vielen Jahren genau vom Gegenteil. Er bekommt sowohl von der EU als auch von Russland und China Unterstützung. Für Vučić gibt es demnach keinerlei Grund, seinen Kurs zu ändern.

Westliche Akteure, allen voran die USA, halten indes auch weiterhin an ihrem Kurs fest und unterstützen das serbische Regime, weil sie Vučić einhegen und beschwichtigen wollen. So vertreten diese westlichen Politiker und Diplomaten auch öffentlich immer wieder die Meinung, von den sechs Staaten des Westbalkans sei Serbien das wichtigste und zentralste Land. Mit dieser Haltung verstärken sie jedoch noch das hegemoniale Selbstverständnis von Serbien und damit auch das Regime von Vučić. Von einer Kursänderung des Westens ist nichts zu merken. Deutschland folgt vor allem dem Kurs der USA.

Seit dem Terroranschlag serbischer Milizen gegen die kosovarische Polizei im September vergangenen Jahres warnen aber auch viele Sicherheitsexperten vor weiteren Eskalationsversuchen. Diese werden auch öffentlich angekündigt. So ist auf Bannern und an Hausmauern immer öfter zu lesen: "Wenn die Armee in den Kosovo zurückkehrt." So eine Aufschrift ist nun auch in Bosnien-Herzegowina beim Grenzübergang aus Kroatien in Gradiška zu sehen.

Unaufgeklärter Terroranschlag

Diese Aufschrift kann als eine Art Drohung gelesen werden, dass die serbische Armee tatsächlich in den Kosovo einmarschieren könnte, wo seit 1999 Nato-Truppen stationiert sind. Serbien erkennt die Unabhängigkeit des Kosovo nicht an. Zuletzt sind Bemühungen von Frankreich und Deutschland, Serbien dazu zu bringen, einen Grundlagenvertrag mit dem Kosovo zu unterschreiben, gescheitert. Die Destabilisierung, die mit dem Terroranschlag im September und öffentlichen Drohungen verbunden ist, liegt auch im Interesse des Kreml. Der Terroranschlag in Banjska im Vorjahr wurde von den serbischen Behörden nicht aufgeklärt, der Anführer der Terrortruppe wurde wieder freigelassen. Serbien rüstet zudem seit Jahren sein Militär auf, an der Grenze zum Kosovo werden immer wieder Truppen zusammengezogen und Militärübungen gemacht. Das ist für den Kosovo sehr bedrohlich.

Von politischer Bedeutung ist, dass es in Serbien starke Kräfte gibt, die ein Großserbien schaffen wollen wie in den 1990er-Jahren. Diese Kräfte versuchen, Teile der Nachbarstaaten Bosnien-Herzegowina, Kosovo und Montenegro auf verschiedenste Art und Weise unter ihre Kontrolle zu bringen. Dies wird in den Nachbarstaaten als Bedrohung wahrgenommen, weil es an die Kriege in den 1990er-Jahren erinnert. Der im Gegensatz zu Vučić demokratisch regierende kosovarische Premier Albin Kurti sendet mitunter auch großalbanische Signale aus, die mit den großserbischen Ambitionen korrespondieren. So traf Kurti sich jüngst mit Politikern aus albanischen Parteien aus Nordmazedonien und versuchte sich so über die eigenen Staatsgrenzen hinaus als eine Art "Führer der Albaner" darzustellen. Die Idee von Großserbien und von Großalbanien gefährdete die Stabilität in der Region. (Adelheid Wölfl, 8.2.2024)