Die Welt der Desktop-Betriebssysteme sieht eigentlich recht übersichtlich aus. Platzhirsch Windows besetzt rund 80 Prozent des Markts, gefolgt von Apples macOS mit etwa 15 Prozent. Den Rest teilen sich diverse Linux-Varianten und die gelegentlichen Installationen von direkteren Unix-Nachkömmlingen wie OpenBSD auf. Doch auch abseits von Windows, Linux und Unix gibt es Auswahl für den privaten PC, wenngleich man schon gezielt danach suchen muss, um sie zu finden.

Ein spannendes Projekt ist MenuetOS. Ins Leben gerufen wurde es vom finnischen Programmierer Ville Turjanmaa, der die erste frühe Version im Jahr 2000 veröffentlichte. Seither ist die Entwicklung, die mittlerweile von einem kleinen Team unter Turjanmaas Führung läuft, stetig vorangegangen. Doch damals wie heute passt das System in seiner Grundausstattung auf eine 3,5-Zoll-Diskette. Anders gesagt: Das ganze Paket findet auf weniger als 1,44 MB Platz. DER STANDARD hat einen Blick auf die Software geworfen.

Screenshot aus MenuetOS
So präsentiert sich MenuetOS nach dem Start.
Screenshot/MenuetOS

Zwei Ziele und ein Drama

Turjanmaa verfolgt mit MenuetOS zwei Ziele, lässt sich bei "Inform IT" nachlesen. Erstens will er den Nachweis erbringen, dass es möglich ist, komplexe Programme in einer Assemblersprache zu schreiben, also einer Programmiersprache, die direkt in Maschinencode übersetzt wird. Das begünstigt die Performance, schränkt aber den zur Verfügung stehenden Befehlssatz im vergleich mit sogenannten höheren Programmiersprachen wie C++ ein. Konkret genutzt hat Turjanmaa Flat Assembler.

Zweitens war es ihm ein Anliegen, ein möglichst kompaktes Betriebssystem aufzustellen, das schnell läuft und dennoch alle wichtigen Funktionen abdeckt. Mittlerweile hat MenuetOS die Versionsnummer 1.49.60 erreicht, veröffentlicht wurde diese Ausgabe am 5. Februar 2024. Zur Beschau in diesem Artikel lief sie auf einer virtuellen Maschine (VM), der ein Prozessorkern sowie 1 GB RAM bereitgestellt wurden.

Das System existiert sowohl in einer 64-Bit-Version als auch in einer 32-Bit-Ausgabe. Letztere ist Open Source, der Quellcode also für jeden einsichtig und verwendbar, wird allerdings seit 2019 nicht mehr weiterentwickelt. Die seit 2007 existierende 64-Bit-Variante wiederum ist – mit Ausnahme der vorinstallierten Programme und Treiber – nicht quelloffen. Als Grund für den Wechsel auf Closed Source nennt Turjanmaa, dass andere Entwickler die Software schamlos kopiert und den Code mit Copyrightansprüchen versehen hätten, obwohl die genutzte Lizenz sie eigentlich dazu verpflichtet hätte, Derivate ebenfalls quelloffen bereitzustellen.

Screenshot aus MenuetOS
Configuring like it's 1995.
Screenshot/MenuetOS

Als besonderen Sündenfall und Anlass für den Wechsel sieht Turjanmaa die Abspaltung KolibriOS. Dieses wird seit 2004 entwickelt, wobei seit 2009 keine neue stabile Version, sondern nur noch Nightly Builds – also der brandaktuelle Entwicklungsstand, potenziell inklusive gröberer Bugs – veröffentlicht wurden. Eine öffentliche Auseinandersetzung zwischen Turjanmaa und dem russischen KolibriOS-Chefentwickler "Wildwest" im Jahr 2015 ist bis heute in den Flat-Assembler-Foren nachlesbar. Das zeigt auch eindrücklich, das kein Entwicklungsprojekt zu klein für Drama ist.

Set-up

Doch zurück zu MenuetOS. Die Einrichtung des Systems in einer VM gestaltet sich nicht einfach, denn das System existiert ausschließlich als Live-CD bzw. Image für Disketten und andere Datenträger. Einen Installer, um es auf eine (virtuelle) Festplatte aufzuspielen, gibt es hingegen nicht. Trotz verschiedener Konfigurationsversuche war es nicht möglich, das System in der virtuellen Maschine in persistenter Form laufen zu lassen. Das System ließ sich also nur im "Ist"-Zustand nutzen, das Speichern von Dateien oder das Übernehmen von Änderungen waren hingegen nicht möglich und auch die rechte Maustaste verweigerte die Erkennung. Aber auch das reicht für einen Überblick.

Screenshot aus MenuetOS
Auch "Doom" läuft hier bereits.
Screenshot/MenuetOS

Bei der Basishardware ist das System nicht allzu wählerisch, insbesondere auf vielen älteren Prozessoren soll es anstandslos laufen. Heikler wird es, wenn es um Grafikbeschleunigung und andere zusätzliche Hardware geht. Es gibt eigens implementierte Treiber für weiterverbreitete Hardware sowie generische Treiber, um etwa verschiedene Soundchips und Netzwerkkarten ansprechen zu können. Internetanbindung war über die VM-Version möglich, Sound ließ sich dem System allerdings nicht entlocken, da wie gesagt keine Änderung des dafür verwendeten Standard-Treibers möglich war.

Schon die Einrichtung beim ersten Start weckt jedenfalls nostalgische Gefühle. Wer in den frühen 1990ern bei der Installation von Spielen die Soundkarte konfiguriert hat, wird sich wie Zuhause fühlen. Man schreibt auf einem Textinterface händisch Einstellungen und Adresswerte um. Danach bootet MenuetOS aber binnen wenigen Sekunden. Die höchsten nativ unterstützte Auflösungen sind 1.280 x 1.024 Pixel und 1.400 x 900 Pixel. Wer über Grafikhardware mit vorhandenem Treibersupport verfügt, der kann das System auch in Full HD (1.920 x 1.080 Pixel) und bis zu 75 Hz Bildwiedergabefrequenz verwenden.

Feels like 1995

Danach präsentiert sich ein Desktop, der ein wenig an Windows 95 erinnert. Ein simples Startmenü links unten listet alle verfügbaren Programme und Einstellungen, gegliedert in Kategorien. Eine Reihe an Verknüpfungen sind aber auch bereits über die Oberfläche verstreut. Geöffnet werden sie mit einem Klick. Die meisten Einstellungsdialoge sind sehr funktional gehalten und versprühen teilweise Windows-3.11-Vibes. Die Standard-Oberfläche versammelt geöffnete Programme in einer Taskleiste am unteren Bildschirmrand. Die Fenstergröße lässt sich an und für sich dynamisch anpassen, allerdings funktioniert das nicht bei jedem Programm. In einigen Fällen entsteht mangels unterstützter Skalierung schlicht nur ein großer, grauer Rahmen um den eigentlichen Inhalt. Das Multitasking selbst klappte aber ohne Probleme und Performanceprobleme.

Screenshot aus MenuetOS
Multitasking: klappt.
Screenshot/MenuetOS

Die Bordausstattung ist aber auf den ersten Blick ordentlich. Es gibt einen Player für Musik und Videos, Unterstützung für Drucker, ein an MS Paint erinnerndes Zeichenprogramm, einen Taschenrechner und selbst Software zur Verwendung unterstützter TV-Karten. Dazu kommen ein Mailclient, ein Browser, ein am ehesten mit dem Editor vergleichbares Schreibprogramm sowie ein IRC-Client. Wer selbst ein Programm für das System schreiben möchte, kann sich zudem des ebenfalls vorinstallierten Flat-Assembler-Assemblierers bedienen.

Dazu kommt eine Reihe von Spielen. Und um diese Frage gleich vorweg zu beantworten: Dank eines Entwicklers namens Jarek Pelczar, der sich die Portierungsarbeit angetan hat, läuft auch "Doom" auf MenuetOS. Allerdings muss man dafür das CD-Image von MenuetOS verwenden, denn selbst die Shareware-Version des Shooter-Klassikers wiegt über 2 MB und ist damit größer als das System selbst. Ebenfalls portiert wurden Quake, der Emulator DOSBox und ScummVM, das die Ausführung diverser älterer Point-and-Click-Adventures erlaubt. Bereits im "Lieferumfang" enthalten sind hingegen ein "Minesweeper"-Klon, "Solitär" sowie alte Evergreens wie "Pacman" und "Space Invaders". Und ganz wichtig: Es gibt auch verschiedene Screensaver, die ebenfalls starken Retrocharme versprühen. In der aktuellsten Ausgabe gesellte sich zu diesem auch den aus der "Matrix"-Filmreihe bekannte "Coderain" hinzu.

Screenshot aus MenuetOS
Das Startmenü versprüht Windows-95-Vibes.
Screenshot/MenuetOS

Allerdings gibt es auch einige Limitationen. Der vorinstallierte Videoplayer versteht sich etwa nur mit Clips im MPEG-2-Format und mit maximal 576p-Auflösung (720 x 576 Pixel). Audiowiedergabe gibt es im integrierten Player nur für WAV- und MP3. Die größte Einschränkung betrifft allerdings den Browser namens HTTPC. Dass dessen Funktionsumfang generell extrem rudimentär ausfällt und es nicht einmal eine Favoritenfunktion gibt, mag verschmerzbar sein. Dass er nicht mit HTTP Secure (https) umgehen kann, allerdings nicht. Mittlerweile laufen praktisch alle Websites mit dieser grundlegenden Absicherung und lassen sich daher nicht öffnen. Das gilt auch für zwei der unter "Sites" zum Schnellaufruf eingetragenen Onlineauftritte.

Ein System für eine Zeitreise

Und das führt auch schon zum Fazit, denn viel mehr gibt es schlicht nicht zu sehen. Wer sehr alte Hardware wieder flottmachen möchte, aber im Sortiment der Linux-Distributionen nichts Geeignetes findet, könnte mit MenuetOS geeignete Abhilfe finden. Zumindest wenn es nur darum geht, einen Rechner zu haben, der abseits vom Besuch von IRC-Räumen weitgehend offline genutzt wird.

Es ist durchaus beeindruckend, dass ein kleines Team ein Betriebssystem auf die Beine gestellt hat, das auch heute noch auf eine Diskette passt. Aber es hat im Prinzip das gleiche Problem wie besagter, weitgehend obsoleter Datenträger. Es ist ausgelegt auf den Bedarf und Technologien, die zur Jahrtausendwende relevant waren, und erinnert auch in seinem Auftritt und in der Bedienung an diese Ära. Darum gibt es – von wenigen Nischenfällen abgesehen – keinen Grund, es heute im Alltag zu nutzen. Aber wer eine Zeitreise in die Computerwelt von vor einem Vierteljahrhundert unternehmen möchte, findet hier eine schnelle Möglichkeit, den Nostalgiedurst zu stillen. (gpi, 10.2.2024)