Zerschossenes Haus Krieg
Der Krieg ist in der Sprache alltagspräsent, auch dort, wo eigentlich kein Krieg stattfindet.
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Terrorist oder Freiheitskämpfer? Militärische Spezialoperation oder Angriffskrieg? In Nahost und der Ukraine wird nicht nur mit Waffen gekämpft, sondern auch mit Worten. Die Art und Weise, wie wir über die Auseinandersetzungen sprechen, schafft Wirklichkeit. Macht Menschen zu Opfern oder Tätern, zu Helden oder Verlierern. Verherrlicht oder diffamiert, rechtfertigt oder verurteilt. Und auch jenseits der Kriegsgebiete stellt sich die Frage: Wie sprechen wir über den Krieg? Und wie spricht der Krieg durch uns?

Krieg verändert alles – auch unsere Sprache. Wir suchen Worte, die beschreiben, was kaum in Worte zu fassen ist: Angriffe, Verletzte, Tote. Gräuel fangen da an, wo wir vor Grauen sprachlos werden. In unserer Sprachlosigkeit leihen wir uns Begriffe aus Militär- und Soldatensprache, aus Geopolitik, Religion und Völkerrecht. Sie mischen sich mit Kriegsrhetorik und Propaganda.

Ukrainekrieg und Nahost

"In jeder Fachsprache gibt es bestimmte Termini, die sich eignen, in die Umgangssprache übernommen zu werden – manchmal auch mit veränderter Bedeutung", sagt Sprachwissenschafterin Ruth Wodak. Das passiert besonders, wenn Phänomene über einen längeren Zeitraum präsent sind. In der Corona-Pandemie beispielsweise wurden Begriffe aus dem medizinischen Bereich in die Alltagssprache übertragen, die Zeit im Homeoffice bescherte uns neues IT-Vokabular: von A wie Aerosole bis Z wie Zoomen.

Das Z wird von russischer Seite im Angriffskrieg gegen die Ukraine verwendet.
IMAGO/Dmitry Yagodkin

Durch den Ukrainekrieg sind etliche Militärbegriffe in unsere Alltagssprache gelangt: Generalmobilmachung, Reservisten und Söldner. Panzerhaubitzen und Mehrfachraketenwerfer. Leopard, HIMARS und F-16. Die Militärvokabeln mischen sich mit Begriffen aus dem Völkerrecht: Annexion, Selbstverteidigungsrecht und Bündnisfall. Und auch im Nahostkonflikt zirkulieren diverse Begriffe in der alltäglichen Berichterstattung: Iron Dome und IDF. Islamistisch, Terrororganisation und Hamas. Westbank, Siedlungspolitik und Zweistaatenlösung.

Bedeutungsverschiebung

Während eines Krieges können bereits existierende Wörter und Begriffe neue oder erweiterte Bedeutungen annehmen. Ist die Rede von Wagner, dürften heute wohl mindestens ebenso viele an die Söldnertruppe denken wie an den großen Komponisten. Das Z ist zum Zeichen der Unterstützerinnen und Unterstützer des russischen Angriffskriegs geworden. Orte wie Mariupol und Butscha stehen stellvertretend für Kriegsverbrechen. Und der Begriff Zeitenwende lässt statt an den Beginn des christlichen Zeitalters an eine Rede des deutschen Kanzlers Olaf Scholz denken.

Auch Begriffe, die im Zuge des Ersten und Zweiten Weltkriegs entstanden sind, werden heute in einen neuen Kontext gerückt. Das Vorhaben Russlands, die Ukraine binnen weniger Tage zu überrollen: ein Blitzkrieg. Die Rechtfertigung des russischen Präsidenten? Er wolle die Ukraine entnazifizieren. "Jede Seite vermittelt ein bestimmtes Narrativ – eine spezifische Erzählung, die Kriegshandlungen rechtfertigen und Akzeptanz in der Bevölkerung herstellen soll", sagt Ruth Wodak. Die Sprache des Krieges ist eine, die mit Schwarz-Weiß-Unterscheidungen arbeitet: Gut gegen Böse.

Freiheitskampf oder Terrorismus?

Je nach Perspektive kämpfen in Nahost Freiheitskämpfer oder Terroristen. Hat Russland die Krim annektiert oder holt es sich Land zurück, das ihm gehört? Sind die Jüdinnen und Juden, die im Westjordanland leben, Siedler oder Besatzer? Führt Russland in der Ukraine eine militärische Spezialoperation oder einen Angriffskrieg?

08/15 Maschinengewehr
So sieht das Maschinengewehr 08/15 aus.
Wikimedia CC BY-SA 3.0

Je länger der Krieg Teil unseres Alltags ist, desto mehr seiner Begriffe dringen in unsere Alltagssprache. Noch heute finden sich Überbleibsel aus dem Dreißigjährigen Krieg, dem Ersten und Zweiten Weltkrieg in unserem Wortschatz. Manches davon ist eindeutig als Militär- oder Soldatensprache zu erkennen. Anderes verrät erst auf den zweiten Blick seinen militärischen Ursprung.

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"Angriff ist die beste Verteidigung"

In anderen Fällen ist der Kriegsbezug auch heute noch präsent. Beim Fußball wird geschossen: Angriff, Verteidigung, Abwehr. Ein Team befindet sich im Abstiegskampf, ein anderes feiert den Sieg über den Gegner. Und auch im Büro herrscht Kriegsstimmung: Das neue Produkt muss wie eine Bombe einschlagen. Der Markt muss erobert, die Konkurrenz vernichtet werden. Die Devise lautet: alle Geschütze auffahren und Angriffslust beweisen!

Fußball Kopfball
Auch im Fußball dominieren Kriegsbegriffe.
IMAGO/BEAUTIFUL SPORTS/Wunderl

Das gilt auch für die Politik: Parteien zeigen sich kämpferisch. Es gibt TV-Duelle vor Wahlen. Politiker und Politikerinnen warnen vor gesellschaftlichen Sprengsätzen oder zünden sie. Und regelmäßig wird der Krieg erklärt: sei es die Pandemie, die Klima- oder die Flüchtlingskrise.

Dass unsere Sprache militärisch geprägt ist, hat nicht nur mit der militärischen Vergangenheit zu tun, sondern auch mit einer Sprachlücke. Oft fehlen uns greifbare Worte, um zu beschreiben, wie wir uns fühlen oder eine Stimmung wahrnehmen. Dann greifen wir zu Metapher aus der konkreten Welt. "Durch eine Metapher wird ein Bild angeboten. Und Bilder lassen verschiedenste Assoziationen und Interpretationen zu", sagt Wodak.

Sprache ist also mehr als nur ein Spiegel dessen, was passiert. Sie interpretiert, sie übertreibt, sie verzerrt. Gerade in Kriegszeiten ist besondere Vorsicht geboten. Denn: Sprache kann auch zur Waffe werden. (Anna-Lena Schlitt, 20.2.2024)