Seiji Ozawa beim Dirigieren.
Der japanische Stardirigent Seiji Ozawa ist im Alter von 88 Jahren verstorben.
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Die schulterlange Haarpracht – erst pechschwarz, später schlohweiß – war sein Markenzeichen, dazu extravagante Kleidung im Privatleben und exzentrische Bewegungen im Konzertsaal. Kein Wunder, dass Seiji Ozawa in den 1970er- und 1980er-Jahren als Dirigent der Pop-Generation galt, den Spitznamen "Hunderttausend-Volt-Dirigent" erhielt – eine Verkörperung des American Dream im Klassikbetrieb, der keine Grenzen zu kennen schien.

Unglaubliche Virtuosität und Präzision, unerschöpfliche Energie – so sollte ihn die internationale Musikwelt über Jahrzehnte kennen und schätzen und schon bei Lebzeiten zur Legende erheben.

Zwischen den Kulturen

Ruhelos zwischen den Kulturen hatte sein Leben begonnen: Als er 1935 in der chinesischen Provinz Liaoning geboren wurde, gehörte diese noch zu Japan. Seine Eltern waren Japaner: Der buddhistische Vater war Zahnarzt, hatte sich jedoch der japanischen Regierungspropaganda verschrieben, die Mutter erzog ihre Kinder christlich.

Als die Familie nach Peking zog, kamen für den jungen Seiji chinesische und japanische Musik mit der westlichen Kultur zusammen – vielfache Eindrücke, die ihn nicht mehr loslassen sollten. Nach der kriegsbedingten Übersiedelung nach Japan 1944 und dem Sieg der Japaner wurde dem Vater eine weitere Beschäftigung im öffentlichen Dienst untersagt.

Der Sohn verschrieb sich dem Klavier, lernte beim Bach-Spezialisten Noboru Toyomasu – eine Ambition, die ein jähes Ende fand, als er sich beim Rugbyspiel mehrere Finger brach. Mit 16 kam er an die Toho School of Music in Tokio und wurde von Hideo Saitō unter seine Fittiche genommen, der in Deutschland studiert und die europäische Musikkultur nach Japan importiert hatte.

Der Weg nach Europa

Ozawa wurde Saitos Assistent, dirigierte japanische Orchester – doch in der westlich dominierten Klassikwelt sah er die Übersiedelung nach Europa als einzigen Weg. Hierher kam er nun auf findige Weise, nämlich als Handelsvertreter für einen Motorradkonzern, sodass er mit japanischer Flagge auf der Jacke und einem neuem Motorrollermodell herumfuhr. Ohne Französischkenntnisse nahm er am Internationalen Wettbewerb für junge Dirigenten in Besançon teil, gewann ihn und fand im Jurymitglied Charles Munch einen weiteren Förderer.

Anschließend kam er per Stipendium zum Studium bei Herbert von Karajan nach Berlin, begleitete Leonard Bernstein auf einer Japan-Tournee und wurde anschließend dessen Assistent. Damit wurde ihm die Tür zu einer Karriere in den USA geöffnet: Nach einer ersten westlichen Leitungsfunktion beim Toronto Symphony Orchestra (1965–1969) wurde er zunächst Chefdirigent beim San Francisco Symphony Orchestra (1970–1976) und dann 1973 Musikdirektor des Boston Symphony Orchestra – ein Amt, das er unglaubliche 29 Jahre lang innehatte, in denen er den heute überaus klangvollen Ruf des Orchesters aufbaute.

Enger Bezug zu Österreich

Daneben wurde er – als erster Dirigent asiatischer Herkunft – ein international gefragter Star, der 1969 bei den Salzburger Festspielen ein gefeiertes Operndebüt mit Mozarts "Così fan tutte" feierte, ehe er sich die Opernhäuser von London und Paris eroberte. Hier wurde die Uraufführung von Olivier Messiaens "Saint François d'Assise" 1983 ein Höhepunkt seiner Laufbahn, die ihn schließlich ab 2002 auch eng an Wien band: 2002 dirigierte er das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker, und im selben Jahr wurde er Musikdirektor an der Wiener Staatsoper – eine Position, die er acht Jahre später nach hoffnungsfrohem Beginn und vielen ambitionierten Impulsen krankheitsbedingt aufgeben musste.

Auch nachdem er knapp vor seinem 80. Geburtstag seine Genesung bekanntgegeben hatte, musste er kürzer treten. Er war vor allem in Japan tätig, wo er – geradezu als Nationalheld gefeiert – sich der Förderung junger Nachwuchsmusiker verschrieb und ein großes Musikfestival seinen Namen trägt. Seiji Ozawa starb am 6. Februar an Herzversagen in seinem Zuhause in Tokio, die Beisetzung fand bereits statt. (Daniel Ender, 9.2.2024)