Auf einem gelben Postkasten steht in schwarzer Schrift
Wer schreibt heute noch Liebesbriefe?
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Beatrix Mannel weiß, wie man schreibt. Die Autorin hat weit über vierzig Bücher veröffentlicht und mit einer Kollegin gemeinsam die Münchner Schreibakademie gegründet. Dort gibt sie als Schreibcoach auch Kurse im Schreiben von Liebesbriefen.

STANDARD: Frau Mannel, der Valentinstag rückt näher. Wie schreibe ich einen guten Liebesbrief?

Mannel: Das Wichtigste ist, dass ich mir Zeit dafür nehme. Ich darf mich nicht von außen stressen lassen, muss mich wirklich reinbegeben. Einen Liebesbrief zu schreiben ist eine Art Projekt. Ein Brief ist ja eher für die Ewigkeit. Im Internet kursiert ein witziges Foto von einem Briefkasten, auf den jemand geschrieben hat: "Schick ihr Briefe. Deine Whatsapp-Messages wird sie nicht in zehn Jahren auf dem Dachboden finden." Das trifft es sehr gut, finde ich.

STANDARD: Was macht einen Liebesbrief am Ende aus?

Mannel: Vor allem Authentizität. Man muss wirklich versuchen, so zu schreiben, wie man selbst spricht, denkt und fühlt. Von einem tollen, kunstvoll geschriebenen Brief, der sich nicht echt anfühlt, hat der geliebte Mensch wenig.

STANDARD: Heißt das, ich soll mir die vielen berühmten Vorlagen am besten gar nicht anschauen?

Mannel: Es kann helfen, sich von Liebesbriefen oder Gedichten anderer inspirieren zu lassen. Aber es ist wichtig, dass man die nicht nur mag, sondern sich darin wiederfindet. Es muss zu mir und meiner Situation passen. Es ist zum Glück aber oft so, dass die erste Zeile eine Stimmung setzt, aber inhaltlich nicht so viel vorgibt. In meinen Kursen gebe ich den Tipp: Wenn man beim Schreiben gar nicht vom Start wegkommt, hilft es manchmal, sich so eine Anfangs- oder Lieblingszeile zu "klauen" und davon ausgehend den eigenen Stil zu finden. Das Gedicht "An M." von Joachim Ringelnatz beginnt zum Beispiel mit den Zeilen "Der du meine Wege mit mir gehst / Jede Laune meiner Wimper spürst". Die Sprache ist ein bisschen altmodisch, aber man spürt sofort, in welche Richtung es geht: Es geht um Vertrautheit und Nähe.

STANDARD: Wie drücke ich meine Gefühle meinem Partner gegenüber am besten aus?

Mannel: Zuerst einmal muss ich sie herausfinden. Ich rate immer, sich in eine Situation zu begeben, wo man allein ist, dem Menschen, um den es geht, aber trotzdem nah. Zum Beispiel, indem ich Musik höre, die ich mit dieser Person verbinde. Dann schließe ich die Augen und denke an sie. Vielleicht sehe ich meinen Partner im Urlaub, beim Schwimmen oder Skifahren. Vielleicht seh ich meine Partnerin aber auch bei etwas Alltäglichem wie Zwiebelschneiden, wo sie sich immer furchtbar hässlich und verwundbar fühlt, ich sie aber gerade in dieser Situation wunderschön finde. Gerade solche Details machen Liebesbriefe schnell sehr authentisch und persönlich.

STANDARD: Wie setze ich diese Gefühle dann sprachlich um?

Mannel: Als ersten Schritt sollte ich mir überlegen, was ich eigentlich schreiben will. Manche Liebesbriefe sind auf die Zukunft ausgerichtet und erzählen vom gemeinsamen Altwerden, andere sind sinnlich-erotische Briefe. Ein anderes Mal möchte ich vielleicht ausdrücken, wie sehr ich den anderen vermisse und dass ich ohne ihn nicht leben könnte. Und dann muss ich einfach irgendwann mal anfangen zu schreiben. Am besten auf einem Schmierzettel, weil ich sicher Sätze herumschieben und eine zweite Version brauchen werde. Wenn man irgendwann total feststeckt, gibt es eine Reihe von bewährten Satzanfängen, die ich ausprobieren kann. Zum Beispiel "In Deiner Nähe fühle ich mich …" oder "Wenn ich an Dich denke, dann …".

STANDARD: Es fällt auf, dass bei diesen Sätze immer der Schreibende der Ausgangspunkt ist.

Mannel: Ein "Du bist …" kann auch kritisch sein. Ich will dem anderen ja sagen, dass ich ihn liebe, so wie er ist, und dass ich nichts von ihm verlange. Ein Liebesbrief sollte immer selbstlos sein und nie mit Erwartungen einhergehen. Das ist überhaupt die einzige falsche Motivation, die mir für das Schreiben eines Liebesbriefs einfallen würde: wenn ich den anderen damit manipulieren möchte.

"Man sollte Worte nutzen, die vor dem geistigen Auge Liebe erzeugen. Bei denen man an Wärme und Berührung denkt."

STANDARD: Kann jeder einen Liebesbrief schreiben?

Mannel: Davon bin ich fest überzeugt. Es muss ja nicht unbedingt barock-ausschweifend sein. Es geht um das Individuelle. Trotzdem ergibt es Sinn, ein paar bewährte Schreibregeln zu beachten. Es ist zum Beispiel gut, wenn ich viele Worte benutze, die Liebe vor meinem geistigen Auge erzeugen. Also bei denen ich an Wärme, an Zuneigung, an körperliche Berührungen denke. Zu viele Verneinungen können den gegenteiligen Effekt haben, obwohl ich es eigentlich gut meine. Am schönsten ist es natürlich, wenn ich irgendeine Art von rotem Faden oder Erzählung hinkriege. Wenn mir bei meinem Partner als Erstes das Lachen einfällt, dann kann ich vielleicht verschiedene Facetten dieses Lachens beschreiben und was sie für mich bedeuten.

Autorin Beatrix Mannel
Beatrix Mannel
Beatrix Mannel schreibt auch Krimis. Aktuelles Buch: "Die rätselhafte Klientin", erschienen im dtv-Verlag unter dem Pseudonym Charlotte Printz.
Erol Gurian

STANDARD: Haben Sie noch ein Beispiel für so eine Erzählung?

Mannel: Es gibt einen berühmten Liebesbrief von Johnny Cash an seine Frau June. Im ersten Teil beschreibt er, wie vertraut sie sich mit den Jahren geworden sind, wie gleich sie denken und wie nah sie sich sind. Dann kommt ein Bruch, und er sagt, dass er trotz dieser Vertrautheit manchmal nicht glauben kann, dass er sein Leben mit einer Frau verbinden darf, die ihn noch immer fasziniert, inspiriert und besser macht. Beide Teile entfalten ihre Wirkung auch dadurch, dass es den anderen Teil gibt.

STANDARD: Was ist, wenn mir gar nichts einfällt? Liebe ich meinen Partner dann vielleicht nicht genug?

Mannel: Oft ist es sogar genau andersherum: Ich liebe ihn so sehr, dass ich Angst habe, ihm nicht gerecht zu werden. Aber dann kann man sich eben an die oben beschriebenen Tricks halten.

STANDARD: Muss ein Liebesbriefe immer an einen romantischen Partner gerichtet sein?

Mannel: Nein! Ich kann auch an einen guten Freund, eine gute Freundin schreiben. Der Ablauf ist derselbe. In einem meiner Kurse war einmal eine Frau, die die Teilnahme geschenkt bekommen hatte. Sie war von Anfang an skeptisch, weil sie nicht an Beziehungen und die Liebe glaubte. Ich hab ihr dann vorgeschlagen, einen Liebesbrief an sich selbst zu schreiben. Das hat super funktioniert.

STANDARD: Mit welchen Gefühlen kommen die Leute normalerweise aus Ihren Kursen raus?

Mannel: Beseelt, würde ich sagen. Es ist ja nicht nur der Schreibprozess, sondern wir gestalten die handgeschriebenen Briefe am Ende auch. Manche halten es minimalistisch, andere kleben Sterne oder Herzen darauf. Zwei Dinge sind mir wichtig: Ich möchte, dass alle Teilnehmenden wirklich einen Brief fertig schreiben. Und ich kümmere mich dann auch darum, dass sie abgeschickt werden.

STANDARD: Sie sammeln die ein und schicken sie ab?

Mannel: Ja, das gehört dazu. Sonst liegt der Brief zu Hause oder die Leute trauen sich nicht, weil ihnen dann so viel Offenheit doch unangenehm ist. Ein Liebesbrief ist aber ja gerade deshalb schön, weil man sich getraut hat, ihn abzuschicken. Obwohl es vielleicht ein bisschen peinlich war.

STANDARD: Das Ende eines Textes ist oft das Schwierigste. Wie bringe ich so einen Brief zu Ende?

Mannel: Eine klassische Technik ist es, nochmal zum Ausgangspunkt zu kommen, wie es auch viele Romane tun. Wo sich quasi der Anfang und das Ende küssen. Aber das muss nicht sein. Ich habe viele historische Liebesbriefe gelesen, die abrupt enden oder auch traurig, weil man getrennt und voller Sehnsucht war. Mein absolutes Lieblingsende ist aus einem Brief, den Ingeborg Bachmann in Wien am 24. Juni 1949 an Paul Celan geschrieben hat: "Führ mich an die Seine, wir wollen so lange hineinschauen, bis wir kleine Fische geworden sind und uns wieder erkennen. "

STANDARD: Dann schauen wir, dass wir hier ein passendes Ende finden. Haben Sie schon einmal einen Liebesbrief bekommen, der Ihnen viel bedeutet hat?

Mannel: Ja, hab ich. Aber nur sehr selten, und deshalb ist jeder einzelne auch so bedeutungsvoll und kostbar. (Jonas Vogt, 11.2.2024)