Die Wagner-Gruppe ist in Afrika sehr präsent. Hier sind drei ihrer Söldner in Mali zu sehen.
Die Wagner-Gruppe ist in Afrika, hier in Mali, sehr präsent.
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Das Video ist 82 Sekunden lang und wäre, wenn es sich als echt herausstellen sollte, ein Scoop für die Ukraine. Die Zeitung "Kyiw Post" veröffentlichte am Montag Aufnahmen, die angeblich das Verhör eines gefangen genommenen russischen Wagner-Söldners durch eine Einheit des ukrainischen Militärgeheimdienstes (HUR) im Sudan zeigen.

Dem Mann sind die Augen verbunden, er gibt sich als "Soldat" von "PMC Wagner" zu erkennen. Dann behauptet er, einer von 100 Männern zu sein, die von der Zentralafrikanischen Republik aus in Sudans Hauptstadt Khartum gefahren seien, "um die lokale Regierung zu stürzen". Damit ist offenbar die sudanesische Militärjunta gemeint. Sie wird seit nunmehr zehn Monaten von der Wagner-alliierten Miliz Rapid Support Forces (RSF) in einem brutalen Krieg bekämpft.

Der Vorgang scheint eine Aussage von Militärgeheimdienstchef Kyrylo Budanow aus dem Mai 2023 zu stützen: Die Ukraine werde "alle russischen Kriegsverbrecher auf der Welt eliminieren wird, egal wo sie sind". Als im vergangenen September CNN über eine ukrainische Beteiligung an Drohnenangriffen gegen die RSF berichtete, bestätigte Budanow den Beitrag indirekt, indem er auf das Zitat verwies.

Mehrere Sabotage-Akte

Ebenfalls im September teilte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj mit, er habe ein Treffen mit Sudans Junta-Chef Abdelfattah al-Burhan gehabt. "Wir haben unsere gemeinsamen Sicherheitsherausforderungen diskutiert, insbesondere die Aktivitäten illegaler bewaffneter Gruppen, die von Russland finanziert werden", sagte Selenskyj. Auch das Magazin "Forbes" schrieb damals mehrere Sabotage-Akte gegen die RSF der Ukraine zu, unter anderen in Khartum, das zu 80 Prozent von der Miliz kontrolliert wird.

Für die Ukraine ist der Sudan nicht nur als ein dringend benötigtes Signal der Stärke gegen Russland relevant. Denn schon seit der Annexion der Krim im Jahr 2014 reagierte Russland auf westliche Sanktionen mit der Plünderung von Gold im Sudan, immerhin dem drittgrößte Produzenten in Afrika. Bis zum Beginn des Sudan-Kriegs im vergangenen April belieferte der Kreml sowohl Armee als auch RSF mit Waffen, schmuggelte dafür geschätzte 30 Tonnen Gold jährlich aus dem Land – in etwa so viel, wie der Sudan offiziell exportiert.

Inzwischen steht Wagner fest an der Seite der RSF, das weiter die profitabelsten Goldminen im Westen des Landes kontrolliert. Das Gold wird diplomatischen Kreisen zufolge über die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), dem wichtigsten RSF-Verbündeten, nach Russland gebracht. Der Golfstaat dementiert das.

Weiter enge Beziehungen

Mit Schrecken hatte Kiew nach Beginn des Ukrainekrieges im Februar 2022 den großen Einfluss des Kreml in Afrika registriert. Rund die Hälfte aller afrikanischen Länder enthielt sich bei Abstimmungen zu UN-Resolutionen gegen Russland. Die engen Beziehungen aus Zeiten des Kalten Krieges waren nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion längst nicht so weit abgekühlt wie allgemein angenommen.

Zudem investierte Russland im vergangenen Jahrzehnt in über ein Dutzend neue Militärkooperationen, ist mit 26 Prozent der offiziellen Waffenlieferungen an afrikanische Staaten Marktführer auf dem Kontinent. Besonders bei den sanktionierten Staaten im "Putsch-Gürtel" – von Guinea im Westen bis zum Sudan im Osten – wird die Mitte Afrikas durchgehend von Militärs regiert. Rechnet man die illegal verkauften Waffen hinzu, dann fällt die Dominanz Russlands wohl noch deutlicher aus.

Auch in Sachen "Soft Power" kann die Ukraine mit Russland nicht mithalten. Sie hat nur in elf der 54 afrikanischen Länder Botschaften – Russland dagegen in 47. Der Kreml investierte zuletzt in Kulturzentren, baute Stipendiatenprogramme aus. Die Politik-Elite auf dem Kontinent ist vielerorts steinalt, und so mancher hat sein Studium noch in der Sowjetunion absolviert. Oder wurde dort für den Befreiungskampf ausgebildet.

Rückzug oder nicht?

Unabhängig lassen sich die Berichte über die ukrainischen Erfolge gegen Wagner derweil nicht belegen. Der russischstämmige Militärfirmenberater Andrei Liakhov behauptet gegenüber dem STANDARD, dass Wagner kurz nach Beginn des Krieges im Sudan alle Kräfte aus dem Land abgezogen habe. Das habe ihm die Führung der Söldnertruppe bestätigt.

Der Leiter einer sudanesischen Menschenrechtsorganisation mit direkten Verbindungen zur RSF, der namentlich nicht genannt werden will, berichtet dagegen von russischer Präsenz, zumindest im von der RSF kontrollierten Darfur.

Auch Hager Ali vom Hamburger Forschungsinstitut German Institute for Global and Area Studies (GIGA) hegt Zweifel: "Vorangegangene Berichte über ukrainische Drohnenoperationen gegen Wagner im Sudan konnten letzten Endes ebenfalls nicht zweifelsfrei authentifiziert werden", sagt sie. Derartige ukrainische Einsätze im Sudan seien bisher "wenig mehr als Spekulation".

MI6 involviert?

Viele Bilder derartiger Einsätze stammen bislang von der "Kyiw Post", die sich wiederum auf den ukrainischen Militärgeheimdienst bezieht. Allerdings schrieb im vergangenen August auch die russisch-staatliche Nachrichtenagentur Ria über mögliche derartige Aktivitäten. Demnach stünden "vom britischen MI6 vorbereitete ukrainische Militante" kurz vor dem Aufbruch, "um der Entwicklung der Zusammenarbeit zwischen Afrika und Russland entgegenzuwirken".

Klar ist, dass das Klima für Wagner in der Region ungemütlicher wird, obwohl die Firma nach ihrem versuchten Aufstand im vergangenen Jahr und dem folgenden Tod ihres Chefs Jewgeni Prigoschin offenbar die Erlaubnis von Wladimir Putin bekam, das Afrika-Geschäft fortzuführen. Bislang hatten die Söldner ihre stärkste Präsenz in der Zentralafrikanischen Republik. Über 1.000 Söldner sind hier für den Abbau von Diamanten und auch ein wenig für den Schutz von Präsident Faustin-Archange Touadéra stationiert. Die dort aufwendig errichtete Infrastruktur, unter anderem ein Ausbildungszentrum, gilt als Herz des Afrika-Geschäfts.

Sicherheit diversifizieren

Vor einigen Monaten berichtete die Nachrichtenseite "Africa Intelligence" dann aber, dass Touadéra ein Rahmenabkommen mit der US-Militärfirma Bancroft unterzeichnet habe, um seine Sicherheitsarrangements zu diversifizieren. Das Unternehmen, das schon Somalia-Erfahrung hat, bestätigte inzwischen entsprechende "Gespräche".

Der Kreml dürfte den drohenden Verlust seines Monopols in diesem schmutzigen Gewerbe mit Sorge beobachten. (Christian Putsch, 10.2.2024)