Lobau-Camp in Wie
Siedlung mit Symbolgehalt: das Lobau-Camp in Wien mit seiner sorgfältig konstruierten und Anfang 2022 zerstörten Pyramide.
Merle

Nicht alle Pyramiden sind für die Ewigkeit gebaut. Für jene in Wien-Donaustadt war die Zeit am 1. Februar 2022 schon nach wenigen Monaten abgelaufen, als sich die Baggerschaufel ins Sperrholz bohrte und die Stadt Wien das "Lobau bleibt"-Protestcamp räumen ließ, deren Wahrzeichen das kleine Stück Selbstbau-Architektur war. Fast auf den Tag genau zwei Jahre nach ihrer Zerstörung ist die Lobau-Pyramide im Maßstab 1:10 in den Ausstellungsräumen des Mak wiederauferstanden. Sie ist Teil der Ausstellung Protest/Architektur: Barrikaden, Camps, Sekundenkleber, die am kommenden Mittwoch eröffnet wird. Die groß angelegte Schau ist eine Kooperation mit dem Deutschen Architekturmuseum (DAM) in Frankfurt, wo sie bereits im Herbst zu sehen war, kuratiert von Oliver Elser (DAM) und Sebastian Hackenschmidt (Mak) mit Anna-Maria Mayerhofer.

Hinter dem liebevoll detailgenauen Modell hängen "Lobau bleibt"-Banner an der Wand, davor breitet sich ein Panorama aus Metall, Holz, Stoff, Plakaten, Fotos aus. Auf dem Boden: ein kleines Zelt, ein Fahrrad, zwei Polizeiuniformen. Protest ist hier zweifellos vorhanden. Aber was daran, könnte man fragen, ist Architektur? "Das Mak richtet normalerweise einen ästhetischen Blick auf Architektur", sagt Sebastian Hackenschmidt. "Hier geht es um Strategie und Symbolik." Denn eine Pyramide gibt den Anliegen der Lobau-Aktivistinnen ein ebenso einprägsames Bild wie ein Meer bunter Regenschirme den Protestierenden in Hongkong.

Kunst der Verzögerung

Eine Schlüsselrolle spielt bei den Strategien des Protests das intelligente Ingenieurwissen: Ein Gebilde aus mit Stahlseilen verspannten Holzstangen erzählt im Mak davon. "Diese sogenannten Tensegrity-Konstruktionen sind bewusst komplex, damit sie nicht so leicht zerstört werden können", erklärt Anna-Maria Mayerhofer. Oft machen sich die Protestierenden Gesetze zunutze und tricksen sie aus. Ab einer Höhe von 2,50 Metern darf die Polizei aus Sicherheitsgründen eine bemannte Protestarchitektur nicht mehr einfach wegräumen, also baut man Türme, die höher sind als dieses Limit. Form folgt Paragraf. "Wir nennen das Verzögerungsarchitekturen", sagt Hackenschmidt.

13 Case-Studies zeigt die Ausstellung, chronologisch beginnend im Revolutionsjahr 1968. Zwar nicht in Paris, sondern in Washington, D.C., wo die Protestierenden der Poor People’s Campaign 42 Tage lang lebten – in ordentlich aufgereihten A-Frame-Häusern aus Holz, geplant von Architekten. "Uns hat interessiert, wie man ein Protestcamp planen kann", sagt Oliver Elser. Und wie die Planung mit der ungeplanten Aneignung durch die Benutzer kollidiert: Während der 42 Tage wurden die Häuser von den Bewohnern umarrangiert und dekoriert. Ein Mikrokosmos der Architekturgeschichte.

In jener spielen Formen des Protests nicht erst seit 1968 eine wichtige Rolle: Die Barrikaden wurden im Paris des 19. Jahrhunderts etabliert, und sogar der berühmte Architekt Gottfried Semper baute 1849 in Dresden fachmännisch-straßenkämpferisch mit. Barrikaden gibt es immer noch, doch die eigentliche Protestarchitektur des 20. Jahrhunderts ist das Camp: mitten in der Stadt wie bei Occupy Wall Street, auf dem Majdan oder dem Tahrir-Platz, in den Wäldern des Hambacher Forst oder der Startbahn West in Frankfurt.

Dokumentiert sind diese Ad-hoc-Siedlungen in präzisen Planzeichnungen als Katalog von Typologien: verstreute Cluster im Wald, Runddörfer auf der Wiese, eine fast militärisch befestigte Stadt in der Stadt, luftig-spielerische Zeltdächer. Doch Barrikaden und Camps seien noch nicht die ganze Geschichte, betont Oliver Elser. "Es geht um räumliche Gegebenheiten, die Protestformen ermutigen und stimulieren." Das erklärt auch den Sekundenkleber im Ausstellungstitel – keine Architektur, aber eine Strategie der Straße.

Wild und erzählerisch

Das Spannungsfeld zwischen Anarchie und Ordnung, das sich durch diese spontan organisierten Gebilde zieht, spürt man auch im Mak: Für die Ausstellungsarchitektur (Gestaltung: Something Fantastic) wurden neben Originalen wie der Hängebrücke aus dem Hambacher Forst bewusst nur Materialien aus museumseigenen Beständen verwendet, um den Spirit der Improvisation nachzuempfinden. Das Ergebnis ist ausufernd und wild, erzählerisch und vielschichtig.

Ergänzt wird die bunte Tour de Force mit Filmbeiträgen wie jenem von Oliver Hardt, der Szenen aus allen Fallstudien von Delhi bis Gorleben und Kiew kombinierte und zeigt, wie sich an den Orten des Protests das Zusammenleben selbst organisiert: Essen, Schlafen, medizinische Versorgung und sogar Friseurbesuche. In jeder Ausnahmesituation steckt schließlich auch Alltag. "Bei vielen Camps sieht man eine Stadtwerdung im Zeitraffer", betont Oliver Elser.

Freude an der Gestaltung

Immerhin bei fünf der 13 Case-Studies waren die Protestierenden unmittelbar erfolgreich. Keine schlechte Quote, doch ist der Begriff "Erfolg" so ambivalent wie der Protest selbst. Eine Tatsache, der sich auch die Ausstellungsmacher bewusst sind, die bei aller Begeisterung fürs Storytelling davon absehen, den Inhalt der Proteste kritiklos zu glorifizieren. So finden sich auch der Sturm aufs Kapitol und die Truckerproteste in Kanada im Katalog, der als Lexikon im kleinen Mao-Bibel-Format daherkommt, voller Quellen und Querverweise, von A wie Abschütten bis Z wie Zwentendorf. Ein Zeigen-was-ist, aber kein Universalhandbuch für Protestarchitektur – das könne und wolle man auch gar nicht, sagt Oliver Elser. Lernen kann man dennoch einiges: "Die Botschaft ist: Schaut euch die Energie an, die bei Protesten entsteht, und ihre Lust am Symbolischen und an der Form, die über das rein Notwendige hinausgeht." Eine Freude an der Gestaltung, selbst im Krisenmodus. Ein utopischer Mehrwert in kleiner Dosis. Mit Akkuschrauber, Holzpaletten, Regenschirmen und räumlicher Intelligenz. (Maik Novotny, 10.2.2024)