Alonso ruft etwas Richtung Spielfeld.
Xabi Alonso hat Bayer Leverkusen auf die Erfolgsstraße geführt. Am Samstag will er gegen die Bayern die Tabellenspitze verteidigen.
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Oktober 2022: Bayer Leverkusen ist Vorletzter und steckt im Abstiegskampf. Februar 2024: Die Werkself ist Bundesliga-Tabellenführer und empfängt am Samstag (18.30 Uhr, Sky) Bayern München. Ein Heimsieg bedeutet fünf Punkte Vorsprung auf den Verfolger und Titelverteidiger. Xabi Alonso hat die Trendwende bewirkt. Der 42-Jährige zählt zu den heißesten Traineraktien.

Der deutsche Sportinformationsdienst bezeichnete seine Verpflichtung bereits damals als "Coup". Dabei hatte der Baske als Coach nicht viel Erfahrung. Ein Jahr bei der U14 von Real Madrid, drei Jahre bei der B-Mannschaft Real Sociedads in der dritten spanischen Liga. Das war’s. Dann klingelte das verzweifelte Leverkusen an. Der Ruf seiner Spielerkarriere eilte Xabi voraus.

Strategie

Er hat alles gewonnen (von Meisterschaften bis Champions League, von EM bis WM) und fast alles erlebt: Vom legendären CL-Finale 2005, als Liverpool gegen den AC Milan einen 0:3-Rückstand aufholte, bis zum WM-Finale 2010, als er Opfer vom Kung-Fu-Tritt des Niederländers Nigel de Jong wurde. Als Sechser war er der Stratege im defensiven Mittelfeld, ein Bindeglied zwischen Verteidigung und Angriff, ein Taktgeber. Aber vor allem ein Ballverteiler.

Guardiola erklärt Alonso etwas mit ausgebreiteten Armen.
Xabi Alonso und Pep Guardiola bei einem Bayern-Training 2016.
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Das Seelenleben eines Fußballs ist noch wenig erforscht. Aber er freute sich sicher ungemein, wenn Xabi Alonso vor ihm stand. Er trat die Bälle nie, er kickte sie nicht. Er streichelte sie, selbst bei einem kraftvollen 50-Meter-Pass. Seine Seitenwechsel sollten einen Eintrag beim Patentamt haben.

Der Mann aus Tolosa lernte von den Besten: von José Mourinho bei Real Madrid, von Pep Guardiola bei Bayern München, von Carlo Ancelotti bei beiden. "Wenn man all das zusammennimmt, hat Xabi die besten Voraussetzungen, ein sehr guter Trainer zu sein", sagte Mourinho. "Er war bereits auf dem Spielfeld ein Coach."

Dominanz

Alonso selbst ist eher schweigsam. Große Interviews sind rar. Der Süddeutschen Zeitung erklärte er, welche Probleme er bei seiner Amtsübernahme in Leverkusen wahrnahm. "Eine gesunde Kontrolle der Spiele fehlte, eine gesunde Mitte. Manchmal trug die Mannschaft die Last des Spiels, ohne das Spiel richtig zu dominieren." Oder: Die Mannschaft "bekam in Umschaltsituationen Probleme, obwohl das Team gerade für Umschaltsituationen richtig gute Spieler hat".

Leverkusen jubelt.
Gewohntes Bild in dieser Saison. Leverkusen bejubelt einen späten Siegtreffer. Jonathan Tah (Mitte) traf am Dienstag in der 90. Minute zum 3:2 gegen den VfB Stuttgart. Robert Andrich, Edmond Tapsoba und Piero Hincapie (von links nach rechts) feiern mit.
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Mittlerweile kontrolliert und dominiert Bayer die Spiele. Im 3-4-2-1 bilden Alejandro Grimaldo und Jeremie Frimpong die offensivfreudige Flügelzange. Das Supertalent Florian Wirtz (20) macht vorne das Spiel. Hinter ihm zieht Granit Xhaka die Fäden. Ohne alle Namen zu nennen: Das Kollektiv glänzt. Elf Spieler haben mehr als fünf Ligatore erzielt. Zudem hat Xabi Alonso der Mannschaft eine Siegermentalität eingeimpft: Allein in diesem Jahr erzielte Bayer drei Siegestore in der 90. Minute oder später.

Bayerns Goalie Manuel Neuer sagt: "Er ist ein Spieler, der es genossen hat, den Ball zu haben, und seine Mannschaft hat diesen Charakter, dass sie den Ball haben will und ihm nicht hinterherläuft." Der Chef spielt manchmal im Training mit, um zu überprüfen: "Sind die Ideen, die ich habe, in der Praxis gut? Oder nur in der Theorie?" Vom Ideal zur Praxis sei der Weg oft sehr weit.

So kommt es, dass Xabi Alonso auch als Trainer hin und wieder seine Pässe auspackt. Einer davon ging in den sozialen Medien viral. Der Trainer hat dem Verein und der Stadt mit rund 165.000 Einwohnern und Einwohnerinnen Strahlkraft verliehen. Die Werkself – der Name stammt von der engen Verbandelung mit dem ansässigen Chemie- und Pharmaunternehmen Bayer – begeistert mit Offensivfußball.

Euphorie

"Wir haben zum ersten Mal in der Vereinsgeschichte eine Warteliste für Saisonabos", sagt CEO Fernando Carro. Die Euphorie lebt. Bayer ist in dieser Saison noch ungeschlagen. 16 Siege und vier Unentschieden in der Liga. Im Pokal als einzig Großer im Halbfinale übrig. In der Europa League im Achtelfinale.

Alonso will sich erst im April mit der Tabelle beschäftigen. Dafür beschäftigen sich Transfergerüchte mit ihm. Er wird ständig mit seinen Ex-Klubs in Verbindung gebracht. Zuletzt mit Liverpool, wo Jürgen Klopp im Sommer Schluss macht. Alonso sagt: "Was in der Zukunft passiert, kann ich nicht sagen. Und es ist mir im Moment auch egal." Sein Vertrag endet 2026.

Bis dahin träumt Bayer vom ersten Titel seit 31 Jahren. Auf dramatische Weise verpasste Titel rund um die Jahrtausendwende brachten dem Verein Spottnamen wie Vizekusen und Neverkusen ein. 2000 hätte am letzten Spieltag ein Punkt zum Meisterteller gereicht, man verlor aber 0:2 bei Aufsteiger Unterhaching. 2002 hatte Bayer drei Spieltage vor Schluss fünf Punkte Vorsprung auf Dortmund, wieder reichte es nicht. Auch Pokal- und Champions-League-Finale gingen im selben Jahr verloren.

Der damalige Manager Reiner Calmund sagt: "Wenn der Fußballgott auch nur ansatzweise gerecht ist, dann wird Leverkusen in diesem Jahr Meister. Das darf gar nicht anders sein." (Andreas Gstaltmeyr, 10.2.2024)