Wenn man seine endlosen Ausführungen zur osteuropäischen Geschichte einmal ausblendet, die selbst den freundlich gestimmten Gesprächspartner Tucker Carlson irritierten, dann hat der russische Präsident Wladimir Putin im mehr als zweistündigen Interview zwei gegensätzliche Botschaften ausgesandt: Er sei jederzeit zu Verhandlungen mit den USA – und sogar mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj – über ein Kriegsende bereit. Aber der Deal, der Putin vorschwebt, würde von einer souveränen Ukraine kaum etwas übrig lassen.

Putin-Interview
Für Wladimir Putin bleibt die Ukraine ein Teil Russlands – und das Ziel von Verhandlungen ein Ende ihrer Unabhängigkeit.
IMAGO/Gavriil Grigorov

Denn in Putins Interpretation war die Ukraine immer ein Teil Russlands, wurde nur durch historische Zufälle oder verfehlte politische Entscheidungen zu einem eigenen Staat und habe auch in Zukunft kein Anrecht auf Eigenständigkeit. Und Moskaus unbedingtes Ziel bleibe die "Entnazifizierung" des Landes, was wohl durch seinen Umbau in einen russischen Vasallenstaat erreichbar wäre. Laut Putin gibt es seit dem Sturz des prorussischen Präsidenten Wiktor Janukowytsch, für ihn ein CIA-geführter Putsch, keine legitime Regierung in Kiew mehr. Dass Putin auf Carlsons Fragen nach seinen territorialen Ansprüchen gar nicht einging, war kein Zufall: Wo die zukünftige Grenze zwischen den beiden Staaten verläuft, spielt in diesem Szenario kaum eine Rolle.

Nüchtern gesehen hat Putins Beinahe-Monolog wenig Neues geboten, aber doch bedeutsame Signale ausgesandt. Das süffisante Selbstbewusstsein, mit dem der Kreml-Chef hier stundenlang doziert, spiegelt die relativ günstige Lage wider, in der sich Russland nach zwei Jahren Krieg findet. Seine Rüstungsproduktion läuft auf Hochtouren, der Ukraine geht die Munition aus, ihre Armeeführung wird gerade aus politischen Motiven ausgewechselt, und die Unterstützung des wichtigsten Verbündeten droht im giftigen Sumpf des US-Kongresses zu versinken.

Tucker Carlsons sanfte Fragen

Und genau dieses für Kiew so gefährliche Patt dürfte Carlson mit seinen sanften Fragen bewusst bestärkt haben. Für viele Republikaner, allen voran ihren De-facto-Parteichef Donald Trump, bietet Putins vorgespielte Verhandlungsbereitschaft einen Vorwand, um die Hilfe für Kiew weiter zu blockieren. Seine Zusicherung, weder Polen noch andere Nato-Staaten angreifen zu wollen, schwächt für sie das stärkste Argument für das US-Engagement: dass ein Erfolg für Putin im Ukrainekrieg die Sicherheit von ganz Europa bedroht.

Auch sein Angebot, den inhaftierten Wall Street Journal-Reporter Evan Gershkovich für einen in Deutschland verurteilten russischen Auftragskiller auszutauschen, dürfte bei manchen auf offene Ohren stoßen. Lieber ein pragmatischer Deal mit ein paar realpolitischen Zugeständnissen als einen ewigen Krieg, tönt es derzeit in Washington so wie in einigen europäischen Hauptstädten.

Doch wer glaubt, eine Ukraine unter Moskaus Einfluss sei ein vertretbarer Preis für Ruhe im Osten, muss sich einer Sache bewusst sein: Putin hat auch vor dem 24. Februar 2022 einen Angriff auf die Ukraine ausgeschlossen. Er mag bei Carlson informiert, eloquent und zeitweise sogar charmant wirken, aber seinen Worten ist nicht zu trauen. Das wissen die Finnen, Polen und Balten, Russlands direkte Nachbarn, am besten. Das Interview, das Putin mit seinen vielen Unwahrheiten konfrontiert, wird wohl nie stattfinden. (Eric Frey, 9.2.2024)