Die Ladedauer lag im Schnitt zwischen einer halben und einer ganzen kWh pro Minute.
Foto: Rudolf Skarics

Ich habe 2016 mit den ersten Elektroautos am Markt die Reichweiten ermittelt (im Schnitt etwa 130 Kilometer). Ich habe 2017 mit dem ersten E-Golf eine Österreich-Rundfahrt über den Großglockner gemacht (gelungen). Ich bin 2019 mit dem ersten Jaguar i-Pace im tiefsten Winter bis zum Ötztaler Gletscher vorgedrungen (geglückt), ich habe auch Langstreckenerfahrungen mit anderen Fabrikaten gesammelt (durchwachsen). Die Fahrt in Etappen, zerschnetzelt durch lange Ladepausen, war immer eine Herausforderung, hatte, um es höflich zu sagen, Abenteuercharakter. Aber wie ist das heute? Größere Batterien, größere Reichweiten, höhere Ladeströme und folglich kürzere Ladezeiten – und auch ein dichteres Ladenetz. Da muss sich doch einiges verbessert haben.

Ob man auf einer Reise mit einem Elektroauto glücklich wird, hängt von vielen kleinen Faktoren ab. Erstens: Jetzt ist Winter. Die Durchschnittstemperaturen sind niedrig, in den Nächten herrscht verbreitet Frost. Gar nicht gut für Elektroautos, die am liebsten bei kuscheligen Umgebungstemperaturen arbeiten.

Energiefresser Wärmemanagement

So muss im Winter sehr viel Energie aufgewendet werden, um das Batteriesystem zu wärmen. Es gibt ja praktisch keine Motorabwärme wie bei einem Verbrenner, die den ganzen Wagen so nebenbei heizt. Also wird von jener Energie, die in der Batterie in einem moderaten Sommer zum Fahren zur Verfügung steht, ein erheblicher Teil zum Wärmen abgezwackt. Sagen wir es salopp: Bei Temperaturen um den Gefrierpunkt ist das ungefähr ein Drittel. Denn auch die Fahrenden wollen ein wenig gewärmt werden, schließlich haben Grippe und Corona bei diesen Temperaturen Hochkonjunktur.

Die Realität gibt den Jammerern und Jammerinnen über zu geringe Reichweiten von Elektroautos im Winter erst recht Recht. Betrachtet man das Elektroauto von der Warte eines Verbrenners aus, mit dem man mit einer Tankfüllung mühelos zu jeder Zeit ganz Österreich der Länge nach durchqueren kann, ist das Thema Reichweite beim Elektroauto noch immer vakant. Doch Reichweite hat auch sehr viel mit Mobilitätsverhalten zu tun. Aber das ist eine eigene Geschichte (wer muss wirklich ständig weit mit dem Auto fahren oder wäre es nicht ohnehin komfortabler, für lange Strecken ein anderes Verkehrsmittel zu wählen?). Oder mein praktisches Beispiel: Müssen Ribolla und Friulano tatsächlich vom Collio über Wien nach Tirol höchstpersönlich transportiert werden?

Bei 80 Prozent Füllungsgrad stürzt die Ladeleistung auf jeden Fall steil nach unten, um die Batterie zu schonen.
Foto: Rudolf Skarics

Zweiter kritischer Punkt: das Tanken, bei Elektroautos Laden genannt. Es funktioniert nicht in fünf Minuten, auch nicht in zwanzig Minuten, wie uns das so mancher Prospekt, manche Webseite vorgaukelt. So wie beim Benzintanken in Wirklichkeit jedes Mal eine Viertelstunde weg ist, sollte man beim Elektroautoladen mit einer Dreiviertelstunde Zeitverlust rechnen. Aber nur, wenn man die angegebene Ladesäule auch tatsächlich gleich findet. Denn viele Ladestationen und Ladeparks liegen in halbfertig gebauten Gewerbe- und Industriezonen. Gerade auf dem letzten halben Kilometer versagen auch die besten Navis gerne, weil das Google-Auto noch gar nie dort war.

Was die Autos selber angeht: Der Energieinhalt der Batterie gilt als Schlüsselgröße für die Reichweite. Im Alltag zählt aber auch die Ladegeschwindigkeit. Denn davon hängt es unter anderem ab, wie lang man an Ladestationen rumhängt.

Lademaximum nur kurzzeitig

Von den Herstellern wird üblicherweise die maximale Ladegeschwindigkeit angegeben. Die wird, wenn überhaupt, eher kurzzeitig bald nach dem Anstecken und nur bei niedrigem Ladezustand der Batterie erreicht. Das Testfahrzeug Honda e:Ny1 schaffte kurzzeitig eine Maximalleistung von knapp über 70 kW (Werksangabe 78 kW).

Fix rechnen kann man mit einer durchschnittlichen Ladeleistung um die 40 kW. Im Fenster zwischen 20 und 80 Prozent Batteriefüllungsgrad kann man unter günstigen Rahmenbedingungen phasenweise mit einer Ladeleistung von 60 kW rechnen, über 80 Prozent fällt die Ladeleistung naturgemäß stark ab.

Stromzufuhr an der Ladestation.
Foto: Rudolf Skarics

Unterm Strich gilt aber nach wie vor, erstens: Man weiß nie, ob man die anvisierte Ladestation auch wirklich findet. Zweitens: Man weiß nie, wie lange man dort steht. Es können ja alle Ladepunkte gerade besetzt sein. Dann heißt es warten, meist nicht sehr lange, aber immerhin. Manchmal erlaubt auch die Ladesäule keine hohe Ladeleistung, weil der ganze Ladepark ausgelastet ist und die Stromzuleitung nicht ausreicht, um alle Ladesäulen mit voller Power zu beschicken.

Um wenigstens auf der ersten Etappe aus dem Vollen schöpfen zu können, empfiehlt es sich, die Batterie vor dem Losfahren auf 100 Prozent zu laden und den Innenraum am Stromnetz hängend vorzuwärmen. Auf der Reise ist es dann günstiger, nur bis 80 Prozent zu laden, da darüber die Ladeleistung in der Regel stark abfällt, was zusätzlichen Zeitverlust bedeutet.

Irren ist menschlich

Stationen einer Reise herausgepickt: schon zu Beginn ein Fauxpas. Ich muss mit nur 70 Prozent Batteriefüllung losfahren, weil ich irrtümlich eine zu niedrige Ladeleistung konfiguriert hatte. Im Display stehen fürs 11-kW-Wechselstromladen drei Ladegeschwindigkeiten zur Auswahl. Damit komme ich von Wien wahrscheinlich nicht bis Eberstalzell, sondern lege in Amstetten Ost die erste Ladepause ein. Um dann sicher bis Salzburg zu gelangen, lade ich vorsichtshalber in Eberstalzell noch einmal nach. Von Salzburg dann schnurstracks bis Vomp. Schließlich komme ich mit einer halbvollen Batterie in Imst an.

Reisezeit: 8,5 Stunden statt sechs mit dem Diesel. Aber immerhin mit sehr erholsamer langer Mittagspause in einem Einkaufstempel neben der Ladestation in Salzburg. Die Krux: Sich auf das Ladenetz eines Stromversorgers einzuschränken, macht die Reise billiger, aber auch komplizierter.

Um halbwegs Reichweite zu lukrieren, muss man auch mutig sein. 27 km Restreichweite ist kein beruhigendes Polster mehr.
Foto: Rudolf Skarics

Weiterfahrt von Imst nach Graz: Start mit über Nacht vorgewärmtem Auto und 100 Prozent gefüllter Batterie. In Innsbruck zeichnet sich ab, dass es bis Salzburg trotzdem knapp werden könnte. Ich lade zur Sicherheit in Vomp. Kenne die Ladestation in Bad Ischl nicht und lade vorsichtshalber in Salzburg. Kenne die Ladestation in Trieben nicht und lade vorsichtshalber tatsächlich problemlos in Bad Ischl. Vorsicht hat sich bezahlt gemacht: Finde die Ladestation in Trieben nicht. Fahre mit 90 km/h bis Graz und komme dort mit elf Prozent Energie und 27 km Restreichweite an.

Während es im Sommer bei Batteriegrößen um die 70 kWh schon gelingen kann, den Reisetakt mit dem eigenen Bedürfnis nach Pausen zu synchronisieren, sind im Winter Geduld und gute Planung immer noch Voraussetzung. Geht sich im Sommer die Strecke Wien–Innsbruck locker mit einer Pause in Salzburg aus, braucht man im Winter gleich zwei oder drei. (Rudolf Skarics, 10. Februar 2024)