Die Zahl der Abschüsse russischer Drohnen in Odessa sinkt.
Die Zahl der Abschüsse russischer Drohnen in Odessa sinkt.
IMAGO/Yulii Zozulia

Odessa – Der Mann hatte offenbar genug und sich gedacht: Probieren kann man es ja. Kurz vor zehn Uhr Freitagabend mischten sich in Odessa kurzzeitig so ungewohnte wie seltsame Laute mit dem Lärm der anfliegenden Drohnen und dem damit einhergehenden Geschosshagel der Luftabwehr. Kurze Stöße mit ein paar Sekunden Abstand dazwischen, so wie sie bei Jagden zu hören sind. Die Aufklärung machte keine zehn Minuten später in den lokalen sozialen Medien die Runde und bestätigte den Verdacht. Ein Bürger der Hafenstadt hatte angesichts des zweiten schweren Angriffs binnen drei Tagen beschlossen, quasi seine eigene Luftabwehr zu bilden. Er hatte seine doppelschrötige Flinte geladen, war mit ihr auf den Balkon marschiert und hatte von dort das Feuer auf Russlands Drohnen eröffnet. Ob sein Bemühen von Erfolg gekrönt war, darf bezweifelt werden; aber als sich gegen Mitternacht auch der letzte Pulverdampfrest endlich gelegt hatte, war zumindest fix, dass Odessa in dieser Nacht seinem Ruf als Hort des Eigensinns und des schrägen Humors wieder einmal gerecht geworden war.

Die erste Welle der von der Krim übers Schwarze Meer geschickten Angriffsdrohnen hatte die Küste kurz nach halb neun erreicht. Was binnen der darauffolgenden Stunden passierte, illustriert beispielhaft, wie es den Russen mittlerweile zunehmend gelingt, den Verteidigern der Stadt ihre Arbeit zu erschweren. Von den insgesamt drei Angriffswellen – die letzte erfolgte kurz vor Mitternacht und richtete sich nicht gegen die Stadt, sondern die Kleinstädte am Südwestrand des Odessa Oblast, die die Donauhäfen beherbergen – zeichneten sich die ersten zwei durch ihre relative Unberechenbarkeit aus. Die eingesetzten Drohnen iranischer Bauart (Shahed 136/131) wurden nicht nur erst relativ spät entdeckt. Sie schienen auch keinerlei fixen Flugbahnen zu folgen. Über dem Festland angekommen, begannen sie ständig ihre Richtung zu ändern. Was unter anderem dazu führte, dass mindestens drei Drohnen, die zuvor übers Meer geflogen kamen, soweit ins Hinterland der Stadt vordrangen, dass sie plötzlich vom Norden her angriffen.

Die ukrainischen Truppen teilten Videos vom Einsatz ihrer Luftabwehr gegen Shahed-Drohnen. 

Ukrainische Luftabwehr zusehends überfordert

Für die Verteidiger ein neues Problem, auf das zuletzt auch die Mitarbeiter der ukrainischen Data Visualization-Firma Top Lead aufmerksam machten. Top Lead betreibt unter anderem den bekannten, kostenpflichtigen Dienst "UAWarInfographics". Laut einer aktuellen Aussendung der Firma sei die Abschussquote von Drohnen aufgrund der neuen Taktik im Sinken begriffen. Sukkus: Durch die immer bessere Tarnung und immer unberechenbareren Kurse, die sie einschlagen, sei die ukrainische Luftabwehr zunehmend überfordert.

Laut dem für die Verteidigung des südlichen Frontabschnitts verantwortlichen Operational Command South (OCP) und dem Büro von Odessas Militärgouverneur Oleh Kiper kam es bei den Angriffen vom Freitag zu vier Verletzten, drei davon schwer. Zudem wurden in Odessa und in den Donauhafen-Städten Izmail und Reni wieder mindestens ein Dutzend Gebäude zerstört oder schwer beschädigt, fast alle in Küstennähe. (Klaus Stimeder aus Odessa, 10.2.2024)