Der Künstler Günter Brus ist 85-jährig gestorben.
Der Künstler Günter Brus ist 85-jährig gestorben.
imago stock&people

Von Kopf bis Fuß war der Mann mit weißer Farbe bestrichen. Nur eine schwarze Naht zog sich vom Scheitel über den Körper und teilte ihn wie eine klaffende Wunde in zwei Hälften. Mit seiner legendären Aktion "Wiener Spaziergang" – bei dem Günter Brus über den Heldenplatz flanierte – setzte der Künstler 1965 seinen Körper als lebendiges Bild in den öffentlichen Raum. Schon nach wenigen Metern wurde er aufgehalten und zu einer Geldstrafe verurteilt – er hatte die öffentliche Ordnung gestört.

Als Pionier der Body Art stellte er den eigenen Körper als Medium ins Zentrum seiner künstlerischen Arbeit. Durch seine radikalen Aktionen in den 1960er-Jahre avancierte er zum Staatsfeind Österreichs, zum Bürgerschreck und Tabubrecher. Gemeinsam mit Zeitgenossen wie den großen Wiener Aktionisten Hermann Nitsch, Otto Muehl und Rudolf Schwarzkogler rüttelte er am traditionellen Kunstbegriff und mischte das spießige Bürgertum auf.

Eine Arbeit von Guenter Brus, ausgestellt vergangenen Herbst in einer Schau der Galerie Wienerroither & Kohlbacher im W&K Palais Schönborn-Batthyany in Wien anlässlich des 85.Geburtstags des Künstlers.
Eine Arbeit von Günter Brus, ausgestellt vergangenen Herbst in einer Schau der GalerieWienerroither & Kohlbacher im W&K Palais Schönborn-Batthyany in Wien anlässlich des 85.Geburtstags des Künstlers.
AFP/ALEX HALADA

Mehr als 30 Jahre später wurde Brus mit dem Großen Österreichischen Staatspreis ausgezeichnet, 2011 das nach ihm benannte Bruseum in Graz im Joanneum eröffnet. Dazwischen verbrachte er Jahre im Berliner Exil, erhielt zunehmend internationale Anerkennung als Künstler. Mehrmals nahm er an der Documenta sowie der Biennale in Venedig teil, überstand eine schwere Krebserkrankung, eine Bypass-Operation sowie einen Schlaganfall. Heute zählt Brus zu den wichtigsten österreichischen Künstlern nach dem Zweiten Weltkrieg.

Erste Aktion mit Frau Anna

Am 27. September 1938 im obersteirischen Ardning geboren, wuchs Brus bei seinem Großvater auf. Sein zeichnerisches Talent wurde früh erkannt und er konnte die Kunstgewerbeschule in Graz besuchen. Sein ausgezeichneter Abschluss dort ermöglichte es ihm, an der Akademie für angewandte Kunst in Wien aufgenommen zu werden. Aus der er allerdings ohne Abschluss wieder austrat. Er kam mit dem österreichischen Frühexpressionismus sowie abstrakten Expressionismus in Berührung und war zutiefst beeindruckt. Die Energie und immense Dynamik des Informel eröffnete ihm neue Wege der Malerei. Er wollte ihren Rahmen sprengen und sie aus ihrer Starrheit befreien. Dies tat er in den folgenden Jahren auch.

Günter Brus
Bei seinem bekannten "Wiener Spaziergang" 1965 wurde Günter Brus recht schnell von der Polizei aufgehalten.
Wiener Spaziergang, Portfolio von 9 Fotos / Wienerroither & Kohlbacher

Bald arteten seine intensiven Malprozesse, bei denen er seinen ganzen Körper im Raum einsetzte, zum eigentlichen Geschehen aus. Über Stunden hinweg bemalte er sich selbst und löste sich vollständig von der informellen Malerei. Alles war nur noch Aktion bei Brus. Als Fotografie oder Film festgehalten, wurden sie zum zeitüberdauernden Dokument – und so zum Werk selbst.

Seine ersten Aktion "Ana" führt er 1964 gemeinsam mit seiner Frau Anna durch, wobei er einen gesamten Raum sowie alle sich darin befindlichen Gegenstände und Personen bemalte – die Körper wurden zur Leinwand, der Raum zum Tableau vivant. Im Laufe der 1960er-Jahre entwickelte Brus sein Konzept der "Körperanalysen", wobei er auf jegliches künstlerische Material verzichtete und ausschließlich seinen Körper sowie dessen Funktionen einsetzte: "Mein Körper ist die Absicht, mein Körper ist das Ereignis, mein Körper ist das Ergebnis", sagte er.

Die Künstlerin Anna Brus wurde erst im vergangenen Jahr für ihr Werk mit einer Ausstellung im Grazer Bruseum gewürdigt, die aus einer Fülle von Fotos, Filmen und Originaldokumenten schöpft. DER STANDARD berichtete.

Gefängnisstrafe nach Performance

Den Körper als Ereignis einzusetzen, demonstrierte der Künstler besonders bei einer Aktion, die als "Uni-Ferkelei" berühmt wurde und 1968 im Rahmen der Veranstaltung "Kunst und Revolution" im Hörsaal 1 des Neuen Institutsgebäudes der Universität Wien stattfand. Darin stieg Brus auf die Tische und kotzte, onanierte und entleerte seinen Darminhalt auf der österreichischen Fahne – während er die Bundeshymne sang. Die Performance wurde zum Skandal, Brus angeklagt und zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt, da er die "Sittlichkeit und Schamhaftigkeit" verletzt hätte.

Günter Brus 2018 anlässlich der Ausstellung zu seinem 80. Geburtstag vor Werken im Belvedere 21.
Günter Brus 2018 anlässlich der Ausstellung zu seinem 80. Geburtstag vor Werken im Belvedere 21.
imago stock&people

Um der Strafe zu entgehen, floh er gemeinsam mit Anna und der zweijährigen Tochter Diana nach Berlin. Dort gründete er mit den beiden Schriftstellern Gerhard Rühm und Oswald Wiener die "Österreichische Exilregierung" und gab die Zeitschrift die "Schastrommel" heraus. In den folgenden Jahren gab es zahlreiche Gemeinschaftsarbeiten mit Dieter Roth, Dominik Steiger, Christian Ludwig Attersee oder Arnulf Rainer.

Radikale Arbeit mit "Zerreißprobe"

Brus' Aktionen gipfelten in seiner "Zerreißprobe" (1970), die zu seinen radikalsten Arbeiten zählte: Nur in Unterhose, Strümpfen und Strapsen gekleidet, ritzte sich der Künstler mit einer Rasierklinge immer wieder in die Haut, urinierte in ein Glas, trank anschließend davon, fesselte und schlug sich selbst. Brus hatte seine provokante Körperkunst derart perfektioniert und ausgereizt, dass es danach keine mehr gab. Er beendete seine aktionistische Zeit für immer.

Dieser Bruch brachte ihn wieder zur Zeichnung, die er mit seinen literarischen Werken kombinierte, wodurch er den Begriff der "Bild-Dichtung" prägte. 1980 kehrte Brus wieder nach Österreich zurück, seine Haftstrafe konnte in eine Geldstrafe umgewandelt werden, und er ließ sich mit seiner Familie in der Steiermark nieder. Er schuf insgesamt mehr als 60.000 Zeichnungen, sein imposantes künstlerisches Werk wurde mit zahlreichen Ausstellungen honoriert – zuerst international und Ende der 1980er-Jahre auch in Wien.

"Bild-Dichtungen" von Günter Brus.
AFP/ALEX HALADA

Eine noch zu Lebzeiten geplante Ausstellung im Kunsthaus Bregenz würdigt Brus' Werke vom 17. Februar bis zum 20.Mai. Anlässlich seines 80. Geburtstags widmete ihm das Belvedere 21 eine umfassende Retrospektive, die auch besonderen Fokus auf sein zeichnerisches sowie literarisches Schaffen legte. Sogar bis dahin nie gezeigte Bühnenentwürfe wurden ausgestellt. Brus galt als humorvoller Mensch, kritischer Geist und genussvoller Kettenraucher. Bis zuletzt lebte er mit seinem Lebensmenschen Anna am Stadtrand von Graz. Am Samstag ist er im Alter von 85 Jahren gestorben, wie der Galerist Philipp Konzett, Mitinitiator und Geschäftsführer des im März öffnenden Wiener Aktionismus Museum, Sonntagfrüh gegenüber der APA bestätigte. Der Künstler hinterlässt eine gemeinsame Tochter mit Anna, Diana. Sie ist seit vielen Jahren im Organisationsteam des Grazer Festivals La Strada.

"Auf seiner langen, tiefgehenden Suche hat Günter Brus die Weltkunst mit geprägt und unser Land zu einer Zeit mit verändert, als Veränderung dringend notwendig war. Ein großer Geist und Mensch - er wird fehlen", reagierte Kulturminister Werner Kogler (Grüne) auf X (vormals Twitter). "Er hat den Rahmen gesprengt, jenen der Gesellschaft wie auch den der künstlerischen Darstellung, und damit die Geschichte der Kunst für immer verändert. Mit unbeirrbarer Standhaftigkeit und Ausdauer hat er uns mit seinem visionären Schaffen irritiert, aufgewühlt und bereichert", kondolierte Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer (Grüne). Die Grazer Bürgermeisterin Elke Kahr (KPÖ) sprach der Familie des Künstlers ihr Beileid aus. "Günter Brus war weit über die Grenzen Österreichs hinaus bekannt und bedeutend. Mit seiner Kunst hat er nicht nur bleibende Spuren hinterlassen, er hat auch wichtige Anstöße für gesellschaftliche Veränderungen gegeben", so Kahr in einer Aussendung. (Katharina Rustler, 11.2.2024)