Aus der Luft sorgen Angriffe bereits für immense Schäden in der Stadt Rafah.
AP/Hatem Ali

Keinen Balsam, sondern Salz trug Israels Premier Benjamin Netanjahu am Sonntag auf jene Wunden auf, die in den Beziehungen zwischen Israel und den engsten Verbündeten klaffen. Nach scharfer Kritik der USA und Deutschlands an der geplanten Bodenoffensive im Flüchtlings-Hotspot Rafah im Süden Gazas blieb Netanjahu hart. Wer Israel daran hindern wolle, nach Rafah vorzudringen, "der will, dass wir den Kampf gegen die Hamas verlieren", sagte er.

Es ist inzwischen zu einer Art Handlungsmuster Netanjahus geworden, vor dem Wochenende besänftigende Botschaften nach Washington zu schicken und zu Wochenbeginn eine Message an das eigene Lager zu richten. Nicht immer stehen die beiden Nachrichten im Einklang. Diesmal lautete die Botschaft an das rechte Lager in Israel: Uns kümmert nicht, was US-Präsident Joe Biden sagt – wenn wir der Meinung sind, dass wir nach Rafah gehen müssen, kann uns niemand davon abhalten.

Sorge um Ausweitung des Gazakrieges auf Rafah: "Wohin sollen wir gehen?"
AFP

Am Freitag hatte Netanjahu noch versucht, die Kritik aus Washington zu entkräften. Man werde die heikle Mission keinesfalls starten, ohne zuvor die rund 1,3 Millionen Binnenflüchtlinge in Rafah zu evakuieren, hatte Netanjahu versichert. Am Sonntag verkündete Netanjahu nun, man werde die Rafah-Offensive bereits vor dem Beginn des Fastenmonats Ramadan in vier Wochen abgeschlossen haben. Also was stimmt nun?

Pläne nicht konkret

Beides zu schaffen ist nämlich kaum realistisch. Für die Evakuierung gibt es laut israelischen Militärexperten noch nicht einmal konkrete Pläne. Unklar ist, wohin die Massen an Binnenflüchtlingen gehen sollen. Nach Khan Younis? Das ist eher unwahrscheinlich, zumal die Armee auch dort noch kämpft, und von einem Ende der Operation ist laut jüngsten Aussagen von Generalstabschef Herzi Halevi trotz Erfolgen im Kampf gegen die Hamas noch keine Rede. Eine Evakuierung in den Norden scheint ebenfalls undenkbar. Einerseits müsste das Gebiet dort erst entmint und geräumt werden, der größte Teil des Gebäudebestands ist zerstört. Zudem gab es Augenzeugenberichten zufolge in den vergangenen Tagen Kämpfe selbst in jenen nördlichen Gebieten, die von der Armee bereits geräumt worden waren.

Egal, wohin die Binnenflüchtlinge gelotst werden sollen: Es stellt sich die grundsätzliche Frage, wie die ohnehin lückenhafte Versorgung mit Hilfsgütern aufrechtbleiben soll. Der Großteil der humanitären Lieferungen kommt über den Grenzübergang Rafah in den Gazastreifen. Wenn dort gekämpft wird, droht das auch einen Gutteil der Lieferungen zum Stillstand zu bringen.

In weite Ferne rückt damit auch eine Einigung über die mögliche Befreiung der israelischen Geiseln in Gaza. Am Sonntag drohte die Hamas: Sollte Israel nach Rafah vorrücken, dann sei ein möglicher Deal zur Freilassung der Verschleppten endgültig vom Tisch.

Diplomatische Verstimmung

Die Kritik Washingtons und Berlins hat vor allem humanitäre Gründe. Anders verhält es sich mit Ägypten. Kairo hatte zuletzt sogar damit gedroht, den Friedensvertrag mit Israel aufzukündigen.

Man befürchtet, dass der Konflikt nach Ägypten überschwappt, wenn tausende Binnenflüchtlinge aus Gaza über die Grenze in den Sinai kommen. Ägypten hatte in den vergangenen Tagen laut Augenzeugenberichten bereits ein beträchtliches Militäraufgebot an der Grenze stationiert, am Sonntag wurden laut israelischen Medien nun weitere 40 Panzer Richtung Rafah bewegt.

In der Grenzstadt Rafah lebten vor dem Krieg 280.000 Menschen – nun sind es 1,5 Millionen.
AFP/MAHMUD HAMS

In der arabischen Welt wird die angekündigte Rafah-Offensive als weiteres Indiz dafür gesehen, dass Israel eine Massenvertreibung von Palästinensern aus dem Gazastreifen plane. Das entspricht zwar nicht den Plänen des israelischen Militärs, einschlägige Aussagen seitens rechtsextremer israelischer Regierungsmitglieder befeuerten aber diese Spekulationen.

Aus Sicht Israels ist ein Vordringen nach Rafah alternativlos. Geheimdienste vermuten dort unterirdische Tunnel, die das Versorgungsnetzwerk der Hamas bis auf ägyptisches Territorium erweitern. Die These des Militärs ist, dass der laufende Waffennachschub der Hamas nur dann unterbunden werden kann, wenn man diese Tunnel zerstört. Ägypten bestreitet diese Berichte und gibt an, sämtliche Tunnel auf ägyptischer Seite bereits vor Jahren zerstört oder untauglich gemacht zu haben.

Neue Vorwürfe

Ein neuer unterirdischer Fund im Gazastreifen bringt indes das UN-Palästinenser-Flüchtlingshilfswerk UNRWA zusätzlich unter Druck. Israels Armee gibt an, Verbindungen zwischen dem UNRWA-Hauptquartier und einer darunterliegenden Zentrale des Hamas-Militärgeheimdienstes gefunden zu haben. Die Hamas habe in den UNRWA-Büros Waffen und Sprengstoff gelagert, heißt es. UNRWA-Chef Philippe Lazzarini gibt an, von diesen Vorwürfen nichts gewusst zu haben, die Büros würden bereits seit 12. Oktober nicht mehr genutzt.

Die wichtigsten Fördergeber der Agentur, darunter die USA, könnten sich von den aktuellen Daten bewegen lassen, ihre Geldflüsse auf Dauer einzufrieren. Zwar gibt es keine Strategie, wer die Aufgaben der Agentur übernehmen könnte, wenn die UNRWA kollabiert. Eine baldige Wiederaufnahme der Finanzierung ist aus Sicht der meisten Fördergeber aber undenkbar. (Maria Sterkl aus Jerusalem, 11.2.2024)