Ein Teil einer Flächenparkettierung mit der Einstein-Kachel. Die unscharfen  Flecken an manchen Eckpunkten stehen für die Elektronendichte.
Eine Visualisierung der Elektronenverteilung in einem Kristallgitter nach dem Vorbild der Einstein-Kachel.
A. Grushin/Institut NÉEL/CNRS

Es ist selten, dass einzelne Forschende wissenschaftliche Durchbrüche erzielen. Meist stammen wissenschaftliche Erkenntnisse heute von großen Forschungskooperationen, wovon Fachpublikationen mit ellenlangen Autorenlisten zeugen. Noch seltener ist, dass Amateure im Alleingang auf etwas stoßen, das der Fachwelt bisher entgangen ist.

Doch genau so ein Sonderfall ereignete sich 2023, als der pensionierte Drucktechniker David Smith eine Form fand, die seit Jahrzehnten gesucht worden war. Im Prinzip handelt es sich um eine Vorlage für eine 13-seitige Fliese, die ein Muster erzeugt, das sich bis ins Unendliche nie wiederholt. Ähnliches war bereits dem Physiknobelpreisträger Roger Penrose in den 1970er-Jahren gelungen, allerdings nur unter Verwendung mehrerer verschiedener Kacheln. Ein sogenannter "Einstein", der das allein schafft – der Name hat nichts mit dem berühmten Physiker zu tun, sondern bedeutet tatsächlich "ein Stein" –, war bisher nur vermutet worden.

Ein Erklärvideo zu Parkettierungen mit fünfteiliger Symmetrie.
Veritasium

Bedeutung für die Physik

Die neu entdeckte Form sorgte unter Freundinnen und Freunden mathematischer Formen für Verzückung. Die Frage einer praktischen Anwendung stellte sich nicht unmittelbar. Doch ästhetische mathematische Konzepte finden immer wieder unerwartete Anwendungen in der Physik.

So war es auch bei der Entdeckung den oben erwähnten "Penrose-Parkettierungen" gewesen. Sie fanden ihre physikalische Entsprechung in den sogenannten Quasikristallen des Chemienobelpreisträgers Daniel Shechtman. Es handelt sich um eine Zwischenstufe zwischen Kristallen und amorphen Materialien: geordnet, aber nicht nach periodischem Muster. Shechtmans Konzept war hoch umstritten, bevor seine Vorhersage sich triumphal bestätigte.

Theoretische Eigenschaften

Nun untersuchte eine Forschungsgruppe um den Physiker Adolfo Grushin vom Nationalen Zentrum für wissenschaftliche Forschung CNRS in Frankreich, welche Eigenschaften von einem Kristallgitter zu erwarten wären, das dem Muster der Einstein-Kachel folgt. Die durchaus unerwarteten Ergebnisse wurden nun im Fachjournal "Physical Review Letters" zur Publikation akzeptiert.

"Wir stellen fest, dass die Spektralfunktion auffallende Ähnlichkeiten mit der von Graphen aufweist, einschließlich der sechsteiligen Symmetrie", schreiben die Forschenden in der Arbeit. Das unterscheidet es von Shechtmans Quasikristallen, die üblicherweise fünfteilige Symmetrie besitzen. Graphen ist Kohlenstoff, dessen Atome in der Form von Bienenwaben angeordnet sind. Im Unterschied zu Graphen verändern sich seine Eigenschaften aber, wenn man es spiegelt. Diese "Chiralität" schlägt sich bei Materialien in deren optischen Eigenschaften nieder.

"Es hat viele Eigenschaften, die wir mit Quasikristallen in Verbindung bringen, aber sein Verhalten ähnelt dann doch seltsam dem von Kristallen", sagt die Physikerin Sinéad Griffin vom Lawrence Berkeley National Laboratory in Kalifornien, die nicht in die Arbeiten involviert war, gegenüber dem Wissenschaftsportal "Science News".

Eine Animation des Parkettierungsmusters mit der Einstein-Kachel
Craig Kaplan

Dazu kommt ein überraschender Effekt, der beim Anlegen eines bestimmten Magnetfeldes auftritt. Damit Einstein-Kacheln eine Fläche lückenlos füllen können, ist es nötig, einige von ihnen zu spiegeln. Im Kristall sammeln sich um die gespiegelten Exemplare des Kachelmusters Elektronen an und werden dort gefangen. "Wir fanden dieses Verhalten sehr ästhetisch", sagt Studienautor Grushin.

Experimentelle Umsetzung

In der Natur wurde das theoretisch untersuchte Material noch nicht beobachtet. Allerdings könnte es künstlich hergestellt werden, schlägt Grushins Forschungsgruppe vor. Dafür könnten Moleküle einzeln gemäß dem Einstein-Muster auf einer Oberfläche platziert werden, so das Team.

Ein einzelner Amateur wird dazu eher nicht in der Lage sein: Die Entdeckung der Einstein-Kachel durch Smith ist eine äußerst seltene Ausnahme und sollte eher nicht als Ansporn dienen, ihm nachzueifern. (Reinhard Kleindl, 13.2.2024)