Ein Mann injiziert sich Heroin mit einer Nadel.
Der Konsum von natürlichen und künstlichen Opioiden kann zu schwerwiegender Abhängigkeit und frühzeitigem Tod führen, wie sich beim Verfahren gegen eine 18-Jährige zeigt.
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Wien – Es gibt Strafverfahren, die beinahe Abscheu erregen. Es gibt Strafverfahren, die durchaus humoristische Elemente haben. Und dann gibt es Strafverfahren wie jenes gegen die 18 Jahre alte Frau C., bei denen man am Ende den Verhandlungssaal mit einem mulmigen und deprimierten Gefühl verlässt.

Die vor einem Schöffensenat unter Vorsitz von Daniela Zwangsleitner verhandelte Angelegenheit klingt zunächst eigentlich unspektakulär. Die unbescholtene Österreicherin soll gemeinsam mit einer Freundin gewerbsmäßig Parfums und Eau de Toilette gestohlen und am 24. Oktober versucht haben, ihren Vater auszurauben. Um Geld für illegale Suchtmittel zu bekommen. Denn seit zwei Jahren ist die 18-Jährige schwer drogenabhängig, dazu kommt eine ernsthafte psychische Erkrankung.

Selbst die Staatsanwältin zeigt in ihrem Eröffnungsvortrag Mitgefühl, verweist darauf, dass C. aus schwierigen Verhältnissen stamme und zuletzt in einem Krisenzentrum untergebracht gewesen sei. Die Freundin, mit der sie die Diebstähle begangen haben soll, sei mittlerweile selbst an einer Überdosis verstorben. Der Vater der Angeklagten habe der Arbeitslosen davor immer wieder Geld gegeben, als er begriff, was sie damit kaufte, versiegte der Kapitalfluss. Ende Oktober trat sie brüllend gegen seine Wohnungstür und forderte Bargeld. Dass der Teenager "Wenn du mir das Geld nicht gibst, bring ich dich um!" schrie, führte dazu, dass der verängstigte 57-Jährige die Polizei alarmierte.

Verteidiger sieht tristes Milieu

"Sie wird sich zu beiden Anklagepunkten schuldig bekennen", kündigt Johannes Samaan, Verteidiger der schmächtigen Angeklagten, die seit dem jüngsten Diebstahl im Jänner in Untersuchungshaft sitzt, an. "Ich glaube aber vor allem, sie braucht Therapie und eine Perspektive", sagt er über seine Mandantin. "Sie lebte in einem Milieu, das kann man sich wahrscheinlich gar nicht vorstellen", meint er. Vorsitzende Zwangsleitner: "Ihre tote Freundin ist vor ein paar Jahren auch vor mir gesessen. Ich habe dem Akt mit Bedauern entnommen, dass sie nicht überlebt hat."

C. gibt tatsächlich alles zu. Die Duftwässer hätten sie gestohlen, da sie Geld gebraucht hätten, am 24.10. vor der Tür ihres Vaters sei sie "ziemlich impulsiv" gewesen. "Aber ich bin keine Mörderin!", ist ihr wichtig festzuhalten. "Das wirft Ihnen auch niemand vor", erklärt Zwangsleitner der durchaus eloquenten 18-Jährigen die Anklage. "Aber was glauben Sie, wie hat Ihr Vater sich gefühlt, als Sie tobend draußen gestanden sind und das gerufen haben?", will die Vorsitzende wissen. "Ziemlich eingeengt", konzediert die Angeklagte. "Hat er eigentlich die Tür aufgemacht?" – "Nein. Und dann war auch schon die Polizei da."

"Tut es Ihnen leid?", fragt Zwangsleitner die ständig mit dem Fuß wippende oder ihre Finger knetende Angeklagte auch. "Hmmm – ja", sagt C. im ersten Moment. Um sich dann zu korrigieren: "Nein, eigentlich nicht." – "Wegen der Vorgeschichte mit Ihrem Vater, die ich nicht näher erörtern werde?" – "Ja." – "Ehrlich sind Sie wenigstens", gesteht die Vorsitzende der jungen Frau zu.

Vater zur Aussageverweigerung überredet

Ihr Vater wird von Zwangsleitner belehrt, dass er als Familienangehöriger das Recht hat, die Aussage zu verweigern, was der aber nicht recht versteht. Er möchte nicht, dass sein Kind ins Gefängnis muss, macht er klar, will dann aber doch über den Tatabend zu erzählen beginnen. "Besser, nach Hause gehen!", greift Verteidiger Samaan ein, die Ex-Gattin des Zeugen fordert ihn auch aus dem Publikum auf, von seinem Recht Gebrauch zu machen. Da C. ohnehin geständig ist, spielt es rechtlich auch keine Rolle, ob er sich äußert oder nicht, also verlässt er den Zeugensessel ohne Aussage.

Die Angeklagte scheint einen Sehnsuchtsort zu haben, eine Betreuungseinrichtung in einem anderen Bundesland. Dort sei bereits ein Platz für sie reserviert, ist sie überzeugt, sie müsse nur anrufen. Vorsitzende Zwangsleitner ist skeptisch, da sie nicht erst seit einem Jahr Jugendrichterin ist. Auch eine Betreuerin der Angeklagten aus dem Krisenzentrum meldet sich im Saal zu Wort: Sie habe erst am Morgen noch mit der gewünschten Einrichtung telefoniert, eine gewisse Vorlaufzeit von bis zu drei Wochen sei nötig. Die Betreuerin wendet sich auch direkt an die Angeklagte: "Wenn du heute rausgehst, mache ich mir große Sorgen, dass du gleich wieder konsumierst", stellt sie klar.

C. ist dennoch überzeugt, dass ihr das Monat in Haft die Augen geöffnet habe, wie dringend eine Änderung des Lebenswandels notwendig ist. Denn auch eine zweite Freundin von ihr sei mittlerweile an einer Überdosis gestorben, sagt der Teenager. Sie wolle wirklich den Entzug schaffen und eine Ausbildung machen, beteuert sie.

"Glück, dass Sie aus Wien wegkommen!"

Der Schöffensenat legt ihr keine Steine in den Weg und verurteilt sie nicht rechtskräftig zu sechs Monaten bedingter Haft, die nicht in der Strafregisterbescheinigung aufscheinen, da die Angeklagte zum Tatzeitpunkt noch minderjährig gewesen ist. Zusätzlich wird Bewährungshilfe angeordnet und eine Weisung zur stationären Therapie erteilt. "Sie haben Glück, dass Sie von Wien wegkommen!", erklärt die Vorsitzende ihr. "Erst vor einigen Tagen war zu lesen, dass die Zahl der Drogentoten einen Rekordwert erreicht hat, und Wien hat mit Salzburg die schlimmste Szene", ist Zwangsleitner überzeugt.

"Es wäre wirklich schade, in ein paar Monaten zu lesen, dass es auch Frau C. nicht geschafft hat", versucht die Vorsitzende das Beispiel ihrer verstorbenen Freundinnen im Kopf der Angeklagten zu verankern. "Es ist wirklich Ihre letzte Chance: Wenn Sie es jetzt nicht schaffen, fürchte ich, dass es ein trauriges Ende nehmen wird", warnt Zwangsleitner auch noch. (Michael Möseneder, 12.2.2024)