Dass Homophobie im Männerfußball noch immer sehr weit verbreitet ist, davon können sich Zuseherinnen und Zuseher bei fast jedem Wiener Derby ein Bild machen. Die schwulenfeindlichen Fangesänge gehören genauso zum schlechten Ton eines Spiels zwischen Rapid und der Austria wie das spezifische Umfeld, das diese toxische Männlichkeit fördert. Von "schwulen Pässen" bis zum "Warmduscher": Das Vokabular im Fußball ist latent schwulenfeindlich. Immer noch.

Jürgen Klinsmann und Thomas Hitzlsperger
Ex-Trainer Jürgen Klinsmann und Thomas Hitzlsperger (links). Der vielfache deutsche Nationalspieler outete sich nach seiner aktiven Karriere als homosexuell.
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Sieben Outings weltweit

Und so ist es auch kein Wunder, dass es in Österreich praktisch keinen offen homosexuellen Fußballer gibt. Eine Ausnahme ist Oliver Egger vom FC Gratkorn. Er war der erste männliche Fußballer, der sich getraut hat, seine Homosexualität öffentlich zu machen. Das Problem betrifft aber nicht nur Österreich. Weltweit gab es bis Anfang des Jahres 2024 nur sieben aktive Profikicker, die sich geoutet haben – und das bei rund 500.000 Profifußballern in 190 Ländern. Schätzungen gehen davon aus, dass zwischen fünf und zehn Prozent der Weltbevölkerung homosexuell sind. Das spiegelt sich nicht in den Stadien wider.

Tschechischer Nationalspieler

Die Amazon-Doku "Das letzte Tabu" von Manfred Oldenburg – zu sehen seit Dienstag, 13. Februar – bringt das Thema wieder einmal eindrücklich aufs Tapet und macht auch Hoffnung: In den vergangenen Jahren hat sich einiges zum Positiven verändert. Ein Paradebeispiel dafür ist der tschechische Nationalspieler Jakub Jankto. Er machte seine Homosexualität vor genau einem Jahr öffentlich, als er im Dienste von Sparta Prag stand. Schmähungen von Fans und Gegnern blieben weitgehend aus. Jankto spielt jetzt in der italienischen Serie A bei Cagliari Calcio.

Das letzte Tabu - Trailer | Prime Video
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Justin Fashanu, der Pionier aus England

Der erste Spieler, der sich während seiner Profikarriere geoutet hatte, war im Jahr 1990 der Engländer Justin Fashanu. Er schrieb bereits zuvor Geschichte, weil er 1981 bei seinem Wechsel von Norwich City zu Nottingham Forest der erste Kicker mit schwarzer Hautfarbe war, der eine Ablöse von über einer Million Pfund erzielt hatte. Fashanu war mit einer Welle an Ablehnung konfrontiert. Sein Trainer Brian Clough beschimpfte ihn vor versammelter Mannschaft etwa als "verdammte Schwuchtel".

Nach einer sportlichen Talfahrt ging er in die USA. Das offizielle Outing erfolgte schließlich erst im Jahr 1990 nach seiner Rückkehr nach England. Fashanu wollte als Vorbild fungieren und trat in Talkshows auf, um das Tabu zu brechen. Er nahm sich 1998 das Leben, nachdem er von einem 17-Jährigen beschuldigt wurde, ihn vergewaltigt zu haben. In der Doku erzählt Amal Fashanu, die Nichte des Fußballers, die bewegende Geschichte ihres Onkels.

Gesellschaft und Fußball

Die Journalistin engagiert sich als Gründerin der Justin Fashanu Foundation für Gleichberechtigung und gegen Homophobie im Fußball. Ihr ist es auch zu verdanken, dass Justin Fashanu 2020 in die English Football Hall of Fame aufgenommen wurde. "Nicht die Gesellschaft hat ein Problem mit Homosexualität, der Fußball ist es. Das Thema wird totgeschwiegen, als würde es keine Homosexualität geben", sagt Amal Fashanu.

Nächstes Outing erst 2018

Nach Fashanu sollte es unglaubliche 28 Jahre dauern, bis sich wieder ein aktiver Fußballprofi als homosexuell outete. Der US-Fußballer Collin Martin gab 2018 bekannt, schwul zu sein. Berührend sind die Bilder des Spielabbruchs, als Martin bei einem Match seines Teams San Diego von einem Gegner aufgrund seiner Homosexualität verunglimpft wurde. Seine Mannschaft unter Trainer und US-Fußballlegende Landon Donovan entschied sich daraufhin, das Spielfeld zu verlassen. Das Spiel wurde mit 0:3 strafverifiziert. Es sei sehr hart gewesen, rekapituliert Martin, aber: "Das Positive war die Unterstützung meiner Mitspieler. Diese Botschaft war lauter als die homophobe Beleidigung."

Vorbild Hitzlsperger

Wer über Homosexualität im Fußball spricht, kommt an Thomas Hitzlsperger nicht vorbei. Dieser, aufgewachsen auf einem Bauernhof und sozialisiert in einem katholischen Umfeld, erzählt, wie lange er gerungen habe, sich zu outen. Der 52-fache Nationalspieler hat sich erst nach seinem Karriereende zu seiner Homosexualität bekannt. Seitdem hätte sich das gesellschaftliche Klima geändert, aber: "Es gibt immer noch viele Leute, die glauben, dass sie auf Minderheiten herumtrampeln können", sagt Hitzlsperger.

Traum versus Leben

Das Outing und in welcher Form es passiert, sei immer eine individuelle Entscheidung. Blackpools Stürmer Jake Daniels etwa hat das bereits im Alter von 18 Jahren gemacht, also am Beginn seiner Karriere. Jetzt sei für diesen das Thema erledigt, und er könne sich auf Fußball konzentrieren, so Hitzlsperger. Oder wie es Marcus Urban formuliert: "Überlege dir, was dir wichtig ist: Sind es 90 Minuten oder 90 Jahre?" Urban ist im Jahr 2007 an die Öffentlichkeit gegangen. Er stand kurz davor, sich den Traum zu erfüllen, Profifußballer zu werden, scheiterte aber am psychischen Druck, sich als Homosexueller in der Fußballwelt zu behaupten.

Er habe sich verklemmt, verschämt und minderwertig gefühlt, das habe enorm viel Kraft und Energie gekostet. Suizidgedanken seien allgegenwärtig gewesen. "Ich habe mich für das Leben entschieden und gegen meinen Traum", sagt Urban heute. Er hat seine Erfahrungen in seiner Biografie "Versteckspieler. Die Geschichte des schwulen Fußballers Marcus Urban" verewigt.

Die Doku "Das letzte Tabu" bricht sehenswert mit vielen Klischees. Der Film will einen Teil dazu beitragen, dass es künftig leichter wird, beides unter einen Hut zu bekommen: den Traum und das Leben. Um es mit Matt Mortons Worten – er ist Spieltrainer im britischen Unterhaus– zu sagen: "Je mehr wir darüber reden, desto mehr Leben retten wir." (Oliver Mark, 13.2.2024)