Spuren der Zerstörung in Rafah nach den israelischen Luftschlägen.
Spuren der Zerstörung in Rafah nach den israelischen Luftschlägen.
AP/Hatem Ali

Fernando Simon Marman und Louis Har sind nach mehr als vier Monaten wieder in Sicherheit, wieder in den Armen ihrer Familie, wie Fotos am Montag belegten. Der 60- und der 70-Jährige gehörten zu jenen rund 240 Menschen, die bei den Terrorangriffen vom 7. Oktober 2023 in den Gazastreifen verschleppt worden sind. In der Nacht auf Montag gelang es der israelischen Armee, dem Geheimdienst Shin Bet und der israelischen Polizei, die beiden Männer zu befreien. Sie waren vom Kibbuz Nir Yitzhak entführt worden. Nun werden sie in einem Spital in Ramat Gan medizinisch versorgt. Den behandelnden Ärzten und Ärztinnen zufolge geht es ihnen den Umständen entsprechend gut.

"Er ist etwas schockiert von dem Trubel. Er hat weniger erzählt, was ihm passiert ist, er wollte eher wissen, wie es uns geht, den Kindern und den Enkelkindern", sagte der Schwiegersohn von Louis Har dem israelischen Fernsehsender Kan 11. Ein anderer Verwandter erklärte der News-Website "Ynet", dass die beiden Befreiten teilweise tagelang hungern mussten: "Sie kamen sehr schwach zurück." Dem Bericht zufolge wurde ihnen in Gefangenschaft hauptsächlich Pitabrot und Frischkäse zu essen gegeben.

Ein Dank aus Argentinien

Da die befreiten Männer israelisch-argentinische Staatsbürger sind, bedankte sich Argentiniens Präsident Javier Milei, der erst vor ein paar Tagen in Israel zu Besuch war, bei den Einsatzkräften. Sein israelischer Amtskollege Yitzhak Herzog erklärte auf X: "Alle Achtung denen, die daran beteiligt waren, Fernando und Luis in einer wagemutigen Rettungsaktion heimzubringen. Wir werden weiter alles daransetzen, alle Geiseln nach Hause zu bringen."

Fernando Simon Marman (rechts) und Louis Har mit Verwandten im Spital in Ramat Gan.
Fernando Simon Marman (rechts) und Louis Har mit Verwandten im Spital in Ramat Gan.
via REUTERS/ISRAEL DEFENSE FORCE

Die Operation ist eine Premiere für die israelischen Streitkräfte, denn zum ersten Mal gelang ihnen eine Befreiung ziviler Geiseln. Bislang konnte Ende Oktober eine Soldatin befreit werden, weitere Befreiungsaktionen scheiterten. 100 Geiseln kamen im November im Gegenzug für eine Waffenruhe und die Freilassung etwa dreimal so vieler palästinensischer Häftlinge wieder in Sicherheit. Außerdem wurden hier und da vereinzelt Verschleppte aus verschiedensten Gründen freigelassen. Nun werden, so schätzt Israel, noch rund 130 Menschen im Gazastreifen festgehalten, 29 davon sollen aber bereits tot sein.

Nach Angaben der israelischen Armee, die sich nicht unabhängig überprüfen lassen, begann die Aktion um zwei Uhr früh mit Luftschlägen auf mehrere Ziele im Süden des Gazastreifens. Marman und Har wurden laut israelischer Armee im zweiten Stock eines Hauses im Flüchtlingslager Shaboura in der Stadt Rafah gefangen gehalten. Als Israels Einsatzkräfte eindrangen – sie sprengten die Tür zum Versteck auf –, töteten sie eigenen Angaben zufolge mindestens drei Bewacher.

Die Soldaten hätten die beiden Männer mit ihren Körpern physisch abgeschirmt und unter Beschuss dann evakuiert, beschrieb Armeesprecher Daniel Hagari die Aktion. Dann wurden sie per Helikopter in Sicherheit gebracht. Um den Rückzug der Einsatzkräfte zu ermöglichen, führte die Luftwaffe weitere Angriffe durch. Dabei wurden laut den Hamas-Behörden in Gaza mindestens 70 Menschen getötet und weitere 160 verletzt, darunter Kinder und Frauen. Diese Angaben können nicht unabhängig überprüft werden. 14 Häuser und drei Moscheen wurden demnach in Rafah getroffen.

Sorge um Offensive in Rafah

In der Stadt im Süden von Gaza an der Grenze zu Ägypten leben laut Uno mittlerweile eineinhalb Millionen Menschen. Vor dem Krieg waren es noch knapp 300.000. Nun haben dort hunderttausende Menschen Zuflucht gefunden, die wegen der israelischen Angriffe aus den nördlicheren Gebieten Gazas flohen. Dass Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu der Armee am Freitag den Befehl gab, eine Offensive auf Rafah vorzubereiten, wurde daher international mit großer Sorge aufgenommen.

Vor diesem Hintergrund wurden denn auch die nächtlichen Luftangriffe Israels auf Rafah kritisiert. Angesichts der sich anbahnenden Militäraktion Israels im Süden von Gaza müsse mehr getan werden, als "nur unsere Sorge auszudrücken", erklärte etwa EU-Außenbeauftragter Josep Borrell am Montag. Und UN-Menschenrechtshochkommissar Volker Türk erklärte im Ö1-"Morgenjournal": "Diese kollektive Bestrafung der Palästinenser, vor allem auch die Abkoppelung von humanitärer Hilfe, ist eine Verletzung des humanitären Völkerrechts." Die Lage in Rafah bezeichnete er als "schrecklich. Mir fallen eigentlich keine Worte mehr ein, wie man die Situation zurzeit beschreiben kann." (Kim Son Hoang, 12.2.2024)