Patrick Mahomes schreit.
Er hat es wieder getan.
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So eine NFL-Saison ist schon etwas Seltsames. Da werfen etwa 1.700 Menschen von September bis Februar jeden Sonntag ihre Körper in die Schlacht, als gäbe es kein Morgen, und am Ende sind sie alle nur Statisten für die große Show von Patrick Mahomes. Der Quarterback der Kansas City Chiefs gewann in der Nacht auf Montag seinen dritten Super Bowl, der Titelverteidiger rang die San Francisco 49ers mit 25:22 nach Verlängerung nieder. Zum dritten Mal wurde Mahomes auch zum wertvollsten Spieler des Finalspiels gewählt. Das gelang vor ihm nur Tom Brady (5) und Joe Montana (3).

Es war keine Footballgala. Die Offenses waren überfordert, 13 der ersten 17 Drives endeten in Punts oder Turnovers. Usher, Lil Jon und Ludacris sammelten in der Halbzeitpause mehr "Yeahs" (48) als die Mannschaften insgesamt Punkte. Bewegung kam nur durch individuelle Patzer in die Partie: Hier ein Fumble, dort eine gescheiterte Punt-Annahme, sogar Mahomes selbst verirrte sich in eine Interception.

Aufhol-Experte

Nachdem Jake Moodys Field Goal San Francisco 1:53 Minuten vor Schluss 19:16 in Führung brachte, spuckten Prognosemodelle eine 78-prozentige Siegwahrscheinlichkeit für die Kalifornier aus. Aber wenn Patrick Mahomes auf der anderen Seite steht, gibt es keine sichere Führung. Dieser Typ kann eine Halbzeit lang hoffnungslos verloren wirken, doch wenn es ans Eingemachte geht, marschiert er wieder. Schon 2020 und 2023 hatte Mahomes im Super Bowl Zehn-Punkte-Rückstände aufgeholt.

Pat Mahomes wirft einen Ball weg.
Auch für Mahomes war es lange eine zähe Partie.
IMAGO/JON SOOHOO

Mahomes ist der Unausweichliche, er spielt die Rolle, in der Tom Brady jahrzehntelang die ganze Liga quälte. Sein Status verzerrt die Realität ins Irrationale: Selbst wenn er bei entscheidenden Spielzügen gar nicht auf dem Feld ist, scheinen sie wegen ihm zu passieren. Als die Chiefs zu Beginn des vierten Viertels San Franciscos Extrapunktversuch blockten, schmeckte das für Footballvertraute schon ein bisschen nach Schicksal. Genau der Punkt erwies sich letztlich als mitentscheidend.

Aber zurück zum Finish der regulären Spielzeit. 16:19, 113 Sekunden auf der Uhr: Mahomes-Time. "Egal wie es steht, egal wie wenig Zeit bleibt: Mit ihm hat man immer eine Chance", sagt Tight End Travis Kelce über seinen Quarterback. Der Mann kennt sich aus. Fein säuberlich arbeitete sich Kansas City über das Spielfeld und schnupperte gar noch am siegbringenden Touchdown. Angesichts der auslaufenden Zeit reichte es nur für ein Field Goal und damit zum Ausgleich: Overtime. In dieser bekamen die 49ers den Ball, erreichten nur ein Field Goal und machten damit den großen Fehler, dem besten Footballspieler der Welt das letzte Wort zu lassen.

Gut zu Fuß

Als es drauf ankam, ging Mahomes zu Fuß. Die Agilität des 28-Jährigen ist wohl seine grausamste Qualität. Da sind alle Receiver hauteng gedeckt, die Pass Rusher atmen dem Spielmacher schon ins Genick – und der zischt einfach ab. Mahomes ist keiner dieser Quarterbacks im Körper eines Running Back, auf Lamar Jacksons Physis muss er neidisch sein. Aber wenn das Spiel auf seinen Schultern liegt, fährt er wie mit dem Gokart durch die Defense. Im Footballjargon nennt man diese improvisierten Quarterback-Läufe Scrambles, und sie ziehen sich wie ein roter Faden durch Mahomes' große Siege.

Als die Chiefs bei einem vierten Versuch ein Yard brauchten, um ihre Saison am Leben zu erhalten, lieferte Mahomes acht. Als bei einem dritten Versuch wieder ein Yard fehlte, rannte er für 19. Und schon stand er samt Kollegenschaft vor der Endzone. Da die 49ers den Ball in der Overtime bereits gehabt hatten, bedeutete ein Touchdown den sofortigen Sieg.

Reids recycelter Geniestreich

Das Hollywood-Drehbuch hätte als Adressat des letzten Touchdowns Kelce vorgesehen, den Freund von Taylor Swift, eh schon wissen. In Halbzeit eins war der Tight End abgemeldet, danach war er überall. Ein Touchdown hätte Social Media zur Kernschmelze gebracht. Aber darum ging es eben nicht. Ein Patrick Mahomes schreibt seine Drehbücher mitten in der Performance um. Er ist pragmatisch. Es geht nicht um Schönheit, es geht um Titel.

Auch wenn ihm seine Teamkollegen an schlechten Tagen das Leben schwer machen – ganz allein ist Mahomes nie. An der Seitenlinie steht Head Coach Andy Reid, und der Mann mit dem Walross-Schnauzer greift dem Footballgott gerne unter die Arme. Am Pokertisch von Las Vegas schummelte Reid den Joker in Mahomes' Hand: Mit "Corndog", dem identen Spielzug, mit dem er bereits im Super Bowl des Vorjahres zwei Touchdowns erzwang, spielte Reid diesmal Mecole Hardman frei. Mahomes' letzten Wurf hätte jeder High-School-Quarterback hinbekommen. 25:22, Feierabend.

"Corndog" in Action.

Viele Helden

Es ist schrecklich schwierig, in der modernen NFL zwei Jahre in Folge den Super Bowl zu gewinnen. Die Gehaltsobergrenze und der Draft erschweren dauerhafte Überlegenheit, zum letzten Mal hatten die New England Patriots 2005 erfolgreich einen Titel verteidigt. Dass den Chiefs das nun gelang, ist freilich nicht nur Mahomes' Leistung. Eine Kilotonne Lorbeeren verdient auch Defensive Coordinator Steve Spagnuolo, der das vermeintlich unaufhaltsame Laufspiel der 49ers trotz begrenzter Manpower auf durchschnittlich 3,5 Yards pro Versuch eindampfte – im Grunddurchgang wäre das unter allen 32 Teams der zweitschlechteste Wert der Liga gewesen.

Auch Defense-Leistungsträger wie Nick Bolton (13 Tackles!), die hellwache Passverteidigung oder Kicker-Uhrwerk Harrison Butker (4/4 Field Goals unter höchstem Druck) verdienen Blumen. Fortuna trug ihren Teil dazu bei, die Chiefs eroberten sieben von acht herumkullernden Fumbles. Aber all das wäre umsonst gewesen, hätte Mahomes nicht das Spiel an sich gerissen. (Martin Schauhuber, 12.2.2024)

Patrick Mahomes liegt am Boden.
Finale Erleichterung.
IMAGO/Charles Baus