In der Schnellbahnstation Hauptbahnhof Wien warten Fahrgäste auf den Einstieg in einen Nahverkehrszug.
Damit die Fahrgäste nicht mehr so oft im Gedränge auf überfüllte Züge warten müssen oder hören, dass schon wieder ein Zug ausgefallen ist, streicht die ÖBB in der Ostregion bis Ostern gleich 50 Züge pro Tag.
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Die ÖBB will Zugausfällen und Verspätungen mit neuem Rollmaterial und der Anmietung von Wagen begegnen. Seit Montag fahren in der Ostregion um 50 Züge weniger. Nach Ostern soll der ausgedünnte Fahrplan in Wien, Niederösterreich und dem Burgenland wieder dicht sein.

Frage: Seit Montag hat die ÖBB-Personenverkehr den Fahrplan in Österreichs größter Pendlerregion Wien/Niederösterreich um rund 50 Züge geschrumpft. Ist das ein vernünftiger Ansatz, und lassen sich damit die bisweilen massiven Probleme mit täglichen Zugausfällen und der Pünktlichkeit beheben?

Antwort: Natürlich trägt die Ausdünnung des Fahrplans dazu bei, dass weniger Elektrotriebzüge im Umlauf sind. Dadurch wird die Reserve an Zügen, die zeitgerecht zu Wartung und Instandhaltung gebracht werden können, automatisch größer. Die Betonung liegt hier auf zeitgerecht. Denn die Stimmen von Eisenbahnfachleuten mehren sich, wonach die Wartungsintervalle teils deutlich zu lang konzipiert wurden und dadurch die Störungsanfälligkeit des bereits in die Jahre gekommenen Rollmaterials deutlich zu hoch wurde. Auf Dauer ist das aber sicher keine Lösung.

Frage: Wie lang soll dieser eingeschränkte Fahrplan, die Rede ist von einer Notmaßnahme, andauern?

Antwort: Ab Ostern soll es besser werden, stellt die ÖBB-Personenverkehr in Aussicht.

Frage: Welche Maßnahmen ergreift die ÖBB, um wieder in den Taktfahrplan zurückzukommen?

Antwort: Es ist ein Bündel von Maßnahmen: Ab März werden vier Schnellbahnzüge des Typs Desiro ML vorübergehend aus Tirol in die Ostregion überstellt, das soll die Situation in Ostösterreich etwas entspannen. Auch werden Doppelstockzüge umverteilt, statt von und nach Deutschkreutz sollen sie vorübergehend auf der Strecke nach Retz eingesetzt werden. Drittens sind drei der verspäteten Schnellzüge des Typs Railjet von Siemens gerade in Auslieferung, weitere zwölf sollen "ab Frühling" folgen, wie es heißt. Diese Züge kommen bevorzugt im Italien-Verkehr über den Brenner zum Einsatz. Dadurch werden wiederum vorübergehend eingesetzte Cityshuttle-Garnituren frei, die in der Folge im inneralpinen Fernverkehr eingesetzt werden können, etwa zwischen Linz und Graz.

Für Entspannung sollten darüber hinaus 33 Fernverkehrswagen sorgen, die ehemals bei der Deutschen Bahn als D-Züge im Einsatz waren und "refurbished", also modernisiert, wurden. Die ÖBB mietet diese Waggons vorübergehend an und kann so längere Züge bilden.

Frage: Was sind die Ursachen für die plötzliche Überforderung der seit Jahren mit der Erbringung gemeinwirtschaftlicher Verkehrsleistungen beauftragten Staatsbahn ÖBB? Pendlerverkehr ist doch planbar.

Antwort: Nach ÖBB-Lesart wirken zwei Verspätungen bei der Lieferung von Rollmaterial kräftig nach: Zum einen lieferte Bombardier die für 2019 für Vorarlberg und Tirol bestellten Elektrotriebzüge nicht. Das machte eine Notbestellung bei Siemens erforderlich – und eine vorübergehende Umverteilung von Nahverkehrszügen beziehungsweise die längere Nutzung von Fahrzeugen, die alt und wartungsintensiv sind. Zweitens kommen die obengenannten, 2018 bestellten Railjets für den Italien- und Nachtzugverkehr gewaltig verspätet. Auch dafür musste älteres Rollmaterial auf Schiene bleiben, das sonst als Reserve für Spitzenreisezeiten vorgehalten wird beziehungsweise zur Überbrückung, bis Ende 2025 weitere Nah- und Regionalzüge des Typs Desiro ausgeliefert werden.

Den Rest erledigte das Schneechaos Anfang Dezember, da gingen Railjet-Schnellzüge kaputt.

Frage: Können verspätete und fehlende Railjet-Züge allein so ein Chaos verursachen?

Antwort: Allein wohl nicht. Dass es an mehreren Stellen im ÖBB-Konzern hakt, also in der zuständigen ÖBB-Personenverkehr AG und deren Werkstättentochter ÖBB-Technische Services, darauf deutet einiges hin. Gemäß dem nunmehr ausgedünnten Fahrplan kommen beispielsweise auf stark frequentierten Strecken Single-Deck-Züge zum Einsatz, wo sonst Doppelstockzüge unterwegs sind. Es dürften also mehr "Dostos" außer Gefecht sein als zugegeben. Die Ausschreibung für neue Wieselzüge erfolgte 2022, die ersten 109 Züge von Stadler-Rail werden ab 2026 ausgeliefert.

Hinzu kamen Pannen bei der Vergabe. Die ÖBB hatte eine in der EU nicht zugelassene elektronische Signatur eines Zugausrüsters akzeptiert. Den Rest erledigte der Zuwachs an Fahrplankilometern ab dem Winterfahrplan 2023, die nicht mehr zu stemmen.

Frage: Wer trägt die Verantwortung für diese schlechte Performance?

Antwort: Grundsätzlich die ÖBB-Personenverkehr AG, letztverantwortlich ist der Vorstand bestehend aus Sabine Stock, Klaus Garstenauer und Heinz Freunschlag. "Progressive Planung" und ein Mix aus Mangel an Zügen, Lieferschwierigkeiten und altem Wagenmaterial führten laut ÖBB-Holding-Chef Andreas Matthä zu den Qualitätsproblemen. Zu lange Intervalle für Wartung und Instandhaltung begünstigten Schadensfälle zusätzlich. Hinzu kommt, dass die Kapazitäten für Wartung und Instandhaltung bei der ÖBB-Werkstättentochter ÖBB-Technische Services (TS) nicht beliebig erweitert werden können. Die notwendigen technischen Reparaturanlagen und das Personal können nicht auf Verdacht vorgehalten werden. Den Vorwurf, man habe bei während der Corona-Pandemie lieber Kurzarbeitsbeihilfen bezogen und damit Geld gespart anstatt die damals nicht gebrauchten oder unterausgelasteten Züge in den hauseigenen Werkstätten gründlich zu überarbeiten, weist man bei der ÖBB kategorisch zurück. Finanzielle Konsequenzen aus den aktuellen Qualitätsmängeln sind nicht auszuschließen. Denn für jede von der öffentlichen Hand bestellte, aber nicht gefahrene Zugverbindung, gibt es gemäß Verkehrsdienstvertrag kein Geld. Personelle Konsequenzen des Debakels sind laut Insidern nicht auszuschließen. (Luise Ungerboeck, 13.2.2024)