Im Vorjahr war das Staatsoberhaupt dran. Als "Mumie in der Hofburg" hatte Herbert Kickl Bundespräsident Alexander Van der Bellen verunglimpft, obendrein als "senil" und den "größten Staats- und Demokratiegefährder". Dem Gejohle der Anhängerschaft folgten reichlich Empörung sowie Ermittlungen wegen Ehrenbeleidigung. Doch der Beflegelte erteilte der Staatsanwaltschaft nicht die Ermächtigung zur Strafverfolgung. Diesen Gefallen wollte Van der Bellen seinem Widersacher offenbar nicht tun – Kickl hatte auch so schon genug Publicity bekommen.

Herbert Kickl griff beim Aschermittwoch 2023 den Bundespräsidenten an.
IMAGO/Daniel Scharinger

Radau schlagen: Das gehört für die FPÖ zum Ritual des Aschermittwochs. Seit 1992, damals noch zu Jörg Haiders Zeiten, sind die blauen Parteichefs alljährlich in der Jahnturnhalle von Ried im Innkreis in Oberösterreich zu Gast, um nach Vorbild der bayerischen CSU launig oder – nach anderer Leseart – untergriffig auszuteilen. Die Resonanz ist so groß, dass die Konkurrenz nachgezogen hat. Mittlerweile laden am Tag eins nach Faschingsende ÖVP und SPÖ ebenso zu politischen Spektakeln bei Heringsschmaus, Brezeln und Bier.

Drei Kandidaten, ein Kanzlerjob

Im Superwahljahr 2024 haben die Events für die Chefs der größten Parteien noch einen besonderen Wert: Es gilt, Wahlkampfslogans loszuwerden und die eigenen Anhängerinnen und Anhänger für die anstehenden Urnengänge zu motivieren. Denn alle drei – der blaue Herbert Kickl, der türkise Karl Nehammer und der rote Andreas Babler – haben das gleiche Ziel: Platz eins bei der Nationalratswahl erreichen, den Auftrag zur Regierungsbildung erhalten, die Kanzlerschaft antreten.

Doch für wen ist das überhaupt realistisch? Wer müsste eine Aufholjagd hinlegen, um nach der Wahl, die planmäßig im Herbst stattfindet, überhaupt Chancen auf das mächtigste Amt im Staat zu haben?

Die FPÖ liegt längst nicht nur in Sachen Aschermittwochstradition vorn – die Partei ist auch klarer Wahlfavorit. Es ist erst einen Monat her, da dachte Kickl beim blauen Neujahrstreffen, das in diesem Jahr in der Steiermark über die Bühne gegangen ist, laut über seine Partei nach: Nach der Ibiza-Affäre sei diese noch "schwach, angeschlagen und leichte Beute für die anderen" gewesen, mittlerweile sei die FPÖ "stark, selbstbewusst und bereit, sich mit den Mächtigen anzulegen", sagte er in seiner einstündigen Ansprache. Und man kann dem blauen Parteichef diesmal nicht vorhalten, übertrieben zu haben.

Auf dem Weg zum Wahlsieg

Denn nach Wahlerfolgen im Vorjahr, die der FPÖ zwei weitere Regierungsbeteiligungen auf Landesebene beschert haben, sind die Freiheitlichen aktuell drauf und dran, diesen Weg auch auf Bundesebene zu gehen. Die Umfragen weisen Rückenwind aus: Seit mehr als einem Jahr hat sich die FPÖ bei rund 30 Prozent auf Platz eins einzementiert. Und derzeit zeichnet sich nicht einmal ansatzweise ab, dass daran noch zu rütteln ist. Der Wahlsieg scheint zum Greifen nahe, der Kanzleranspruch ist kein blaues Luftschloss mehr.

Mittwochabend wollen die Freiheitlichen zum nunmehr 31. Mal ihren Anhängerinnen und Anhängern nicht nur Heringsschmaus, sondern auch deftige Sprüche servieren. Einen Vorgeschmack, in welche Richtung es rhetorisch geht, lieferte Kickl bereits beim Neujahrstreffen am 13. Jänner. Da wetterte er einmal mehr gegen die "Einheitspartei", zu der sich ÖVP, SPÖ, Grüne und Neos "verschmolzen" hätten und die bei der Wahl seiner Ansicht nach als "Liste Volksverrat" antreten sollte. Von einem "Swingerclub der Machtlüsternen", sprach der FPÖ-Chef, mehrere türkis-grüne Regierungsmitglieder stünden auf seiner "Fahndungsliste". "Wie der blaue Herkules" wolle er "dieser politischen Hydra die schwarzen, grünen, roten und pinken Köpfe abschlagen".

Ausverkaufter Pflichttermin

Bereits Wochen vor dem Aschermittwoch sei der blaue Pflichttermin im Innviertel "komplett ausverkauft gewesen", sagt Erhard Weinzinger, Bezirksgeschäftsführer der FPÖ Ried und Organisator der ersten Stunde. 2000 Gäste passen in die Jahrturnhalle, die üblicherweise eineinhalb Stunden vor Beginn die Pforten öffnet – nicht zuletzt zum Vorglühen.

Als Einheizer ist um sieben Uhr abends Oberösterreichs FPÖ-Landesparteichef und Landeshauptmann-Stellvertreter Manfred Haimbuchner angesagt. Im Anschluss steht die Bühne für Herbert Kickl parat, der seinen zweiten Aschermittwoch als Parteichef und damit Hauptredner bei der blauen Traditionsveranstaltung begeht. Zwar nicht als Redner, aber als "Ehrengast" ist auch Harald Vilimsky geladen. Er hat am 9. Juni die EU-Wahl zu schlagen, zum dritten Mal als blauer Spitzenkandidat.

Doch nicht alle in Ried zeigten sich von der FPÖ-Veranstaltung begeistert. Wie schon in der Vergangenheit wurde auch heuer wieder Protest angekündigt. Die Omas gegen rechts planen eine Kundgebung unter dem Titel "Zusammenhalten gegen rechts". Im Haus der Nachhaltigkeit, der Gießerei, soll ein kulturpolitischer Aschermittwoch für "ein buntes und solidarisches Miteinander" stattfinden – wofür das traditionell blau-affine Innviertel nicht das einfachste Terrain ist.

Verstärkung von außen

Anders als Kickl im Westen Oberösterreichs begeht Konkurrent Nehammer den Aschermittwoch in keiner Hochburg – seine Partei ist in Kärnten nur dritte Kraft. Dafür haben sich die Türkisen wie üblich Verstärkung in die Klagenfurter Messearena geladen. Waren 2019 der Kiewer Bürgermeister Witali Klitschko und im Vorjahr der ehemalige deutsche Bundespräsident Christian Wulff bei der ÖVP zu Gast, so hat sich heuer Karl-Theodor zu Guttenberg angesagt. Dabei steht der CSU-Mann nicht unbedingt für eine Erfolgsstory: Als Verteidigungsminister war Guttenberg zwar rasch zu einem der populärsten Politiker Deutschlands aufgestiegen, dann aber jäh abgestürzt. Nachdem ihn Plagiatsvorwürfe den Doktortitel gekostet hatten, legte er sein Amt zurück.

Nehammer hingegen hat sein eigenes noch nicht aufgegeben. Mit der groß aufgezogenen "Österreich-Rede" Ende Jänner in Wels versuchte der Kanzler einen Neustart – bisher ohne großen messbaren Erfolg. Laut APA-Trendanalyse stellte sich zuletzt zwar eine leichte Besserung in den Umfragen ein, nun scheint zumindest wieder die SPÖ in Reichweite zu sein. Doch mit Werten um die 22 Prozent liegt die ÖVP nach wie vor weit hinter Platz eins.

Kanzler und ÖVP-Bundesparteiobmann Karl Nehammer stellte im Jänner seinen "Österreich-Plan" vor.
APA/HELMUT FOHRINGER

In der Wählergunst abgestürzt ist die nach Nationalratsmandaten mit Abstand stärkste Partei mit dem im Herbst 2021 erfolgten Rückzug ihres von vielfältigen Affären gebeutelten Helden Sebastian Kurz von Kanzlerschaft und Parteispitze. Wer sich in seinem Schlepptau verabschiedet hat, lässt sich aus der Wählerstromanalyse des Forsight-Instituts, vormals Sora, schließen. Bei der Nationalratswahl 2019 hatte die ÖVP noch 258.000 Wählerinnen und Wähler von der FPÖ gewonnen. Viele davon sind offenbar nun wieder weg, zumindest vorerst einmal.

Angriff auf die FPÖ

Kein Wunder also, dass Nehammer und Co versuchen, inhaltlich bei den Sympathisanten der Freiheitlichen zu punkten. Einen strengen Kurs gegen Zuwanderung, angebliche Ausnützer des Sozialsystems oder das Binnen-I biete auch die ÖVP, so die Botschaft, nur eben in seriöserer Form. Den blauen Konkurrenten versucht er zu diskreditieren: Kickl sei ein "Sicherheitsrisiko", die FPÖ eine "in ihrem Wesen korrupte Partei", lauten die Vorwürfe.

Die Strategie, Kickl und seine Getreuen konsequent anzufeinden, fährt momentan auch die SPÖ. Zuletzt ritten die Genossinnen und Genossen im Zuge des Gedenkens an die Opfer der Februarkämpfe im Jahr 1934 gegen die Blauen aus: "Der Hass der FPÖ hat ein erschreckendes Ausmaß erreicht", konstatierten am Montag die beiden Bundesgeschäftsführenden Sandra Breiteneder und Klaus Seltenheim. Und: Die SPÖ sei die "einzige Kraft, die stark genug ist, die Machtübernahme Kickls zu verhindern".

Rote Aufholjagd

Doch ist das so? Kann die SPÖ der FPÖ tatsächlich noch gefährlich werden? Einfach wird es für Babler nicht, zu Kickl aufzuschließen. Laut einer Umfrage des Marktforschungsinstituts Market im Auftrag des STANDARD, bei der Anfang Februar 800 Wahlberechtigte befragt wurden, reiht sich die SPÖ mit rund 23 Prozent ganze sechs Prozentpunkte hinter der FPÖ ein. Mit dem klar linken Programm Bablers fischt die Partei bislang vor allem im Wählerteich der Grünen, Neos und bei der kleinen Gruppe der KPÖ-Wählerinnen und -Wähler. Dabei wäre jede Stimme, die von der FPÖ zur SPÖ wandert, doppelt wertvoll, will Babler sein Ziel – Platz eins und damit eine Chance auf die Kanzlerschaft – erreichen: im Minus für die FPÖ, im Plus für die SPÖ.

Der roten Aufholjagd soll auch der Auftritt am Mittwoch in der Obersteiermark dienen. Im Murtal versucht die regionale SPÖ, sich eine eigene Tradition rund um den politischen Aschermittwoch aufzubauen. Seit 2019 organisiert Max Lercher den politischen Event. Wobei die Corona-Pandemie 2021 zum Ausfall der Veranstaltung führte und sie 2022 in den virtuellen Raum verbannte.

Andreas Babler wurde als SPÖ-Chef am Parteitag in Graz bestätigt.
Heribert Corn

Während es für Lercher die vierte Veranstaltung in Präsenz sein wird, ist der Auftritt von Babler in der Zechnerhalle Kobenz für beide Politiker eine Art Premiere: Babler ist der erste amtierende rote Bundesparteivorsitzende, der Lercher die Ehre geben wird. Zwar war Christian Kern 2022 Stargast der Veranstaltung, jedoch erst nach seiner Zeit an der Parteispitze und eben nur online.

Demonstrative Einigkeit

Dass Lercher Babler überhaupt eingeladen hat, ist wohl auch dem Wahlkampf geschuldet – und dem Versuch, nach dem turbulenten Frühjahr rote Einigkeit zu demonstrieren. So war Lercher einer der wichtigsten Vertrauten von Bablers Konkurrenten im internen Rennen um den SPÖ-Vorsitz: Für Hans Peter Doskozil machte er zu Jahresbeginn noch den Einpeitscher auf Veranstaltungen. Am Aschermittwoch war Lercher als Vorprogramm für Babler geplant – nicht nur mit seiner Rede, sondern auch als Bieranstecher.

Den Anfang wird an diesem Mittwochabend jedoch ein anderer roter Parteichef machen. Einer, der ebenso mit Umfragewerten kämpft. Zwar prognostiziert eine Erhebung im Auftrag des STANDARD Anton Lang bei der Landtagswahl, die ebenfalls für Herbst geplant ist, ein kleines Plus. Aber auch in der Steiermark liegt die FPÖ vorn.

Und auch in der Steiermark haben ÖVP, SPÖ und FPÖ das gleiche Ziel: Platz eins bei der Wahl und den Job des Regierungschefs. (Gerald John, Oona Kroisleitner, Sandra Schieder, 14.2.2024)