Ein Paar umarmt sich und lächelt
Zwei Menschen stellen sich abwechselnd 36 Fragen. Am Ende sind sie ineinander verliebt. Kann das wirklich so einfach funktionieren?
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Warum verlieben sich Menschen ineinander? Diese Frage war Ausgangspunkt für ein Experiment, das der US-Psychologe Arthur Aron in den Neunzigern mit rund 140 Studentinnen und Studenten durchführte. Der Wissenschafter wollte herausfinden, ob sich Liebesgefühle auch künstlich erzeugen lassen, indem man etwa mit Fremden über intime und tiefgründige Dinge spricht. Nach dem 45-minütigen Experiment hatten sich tatsächlich einige der Studierenden ineinander verliebt, ein Paar heiratete sechs Monate später. In seinem Bericht "The Experimental Generation of Interpersonal Closeness" beschreibt Aron, wie 36 Fragen Nähe und Zuneigung – und damit das Gefühl von echter Verliebtheit – erzeugen können.

Wie läuft das Experiment ab?

Schritt 1: Zwei Menschen sitzen einander gegenüber und lesen sich eine der 36 Fragen vor, die in drei Blocks unterteilt sind. Jede Frage muss von beiden Personen abwechselnd beantwortet werden. Die Fragen drehen sich nicht bloß um Alltägliches wie Job oder Hobbys. Der erste Block dient zum Kennenlernen. Es werden Fragen zur eigenen Person gestellt, die bereits wesentlich tiefgründiger sind als herkömmliche Erste-Date-Fragen. Im zweiten Block werden bereits intimere Erlebnisse und Sehnsüchte abgefragt. Der dritte Block soll herausfinden, ob man Gemeinsamkeiten hat. Das Ziel: einen Blick in Zukunft als Paar werfen. Insgesamt sind für alle drei Blocks etwa 45 Minuten vorgesehen.

Schritt 2: Im Anschluss an die Fragen sollen sich die Personen vier Minuten lang ohne Unterbrechung in die Augen sehen.

Was sagt die Psychotherapeutin dazu?

Das Experiment von Arthur Aron könnte heute spannender denn je sein. Die Jugendstudie aus dem Jahr 2023 zeigt, dass der Großteil der Gen Z einmal heiraten möchte. Eine Überraschung? Nein! In Krisenzeiten sehnen sich Menschen vermehrt nach Beziehungen, nach Stabilität und Sicherheit. Und auch Langzeitforschungen kommen zu dem Ergebnis, dass es vor allem zwischenmenschliche Beziehungen sind, die uns Menschen glücklich machen. "In unserer digitalisierten und schnellen Welt wird es zunehmend schwieriger, echte und tiefgründige Beziehungen aufzubauen", sagt Brigitte Moshammer-Peter. Die Psychotherapeutin kann dem 36-Fragen-Experiment durchaus etwas abgewinnen: "Ich kann mir gut vorstellen, dass die Fragen und auch der anschließende Blickkontakt Menschen einander sehr schnell näher bringen."

Viele Dating-Apps sind häufig darauf ausgerichtet, in Sekundenschnelle darüber zu entscheiden, ob man eine Person kennenlernen möchte oder nicht. Ein Wisch – und weg. "Die Fragen sind genau das Gegenteil von dem, was viele beim Dating heute erleben. Sie sind alles andere als oberflächlich", sagt Moshammer-Peter. "Die können beim ersten Date mehr Intimität schaffen als Sex." Allerdings würde die Paartherapeutin das Experiment nicht gleich beim ersten Treffen machen: "Es ist schon wichtig, dass man die Person grundsätzlich attraktiv und sympathisch findet. Außerdem braucht es ein gewisses Grundvertrauen, um intime Fragen auch wirklich offen und ehrlich zu beantworten."

Dieses Grundvertrauen sei vor allem dann wichtig, sollte das Experiment einer Person zu viel werden und sollte sie abbrechen wollen. "Es gehört viel Mut dazu, solche persönlichen Fragen zu beantworten, aber es gehört noch mehr Mut dazu, Nein zu sagen", sagt Moshammer-Peter. Zudem könnte es laut der Therapeutin verletzend sein, sollte sich eine Person während des Experiments respektlos oder nicht wertschätzend verhalten. "Am Ende fühlt man sich vielleicht ganz furchtbar, weil man einer fremden Person Dinge preisgegeben hat, über die man eigentlich gar nicht sprechen wollte."

Die Zeitangabe von etwa 45 Minuten hält Moshammer-Peter für eine gute Idee. Unter Zeitdruck muss jede Frage in zwei oder drei Sätzen beantwortet werden. "Wer präzise, aber ehrliche Antworten liefert, verhindert, dass das Gespräch in eine problematisierende Richtung geht." Schließlich sollte das Experiment keine Therapiestunde sein, sondern eine Möglichkeit, einen Überblick über die Werte und Einstellungen der anderen Person zu erhalten. Für den Zuhörer gilt: "Wer möglichst wertfrei zuhört, erfährt viel." Die Antworten sollten zudem nicht kommentiert oder beurteilt werden.

Fragen für Langzeitpaare

Langzeitpaare versinken oft im Alltag zwischen Job, Kindererziehung und Haushalt. Nicht nur Sex, sondern auch intime Gespräche bleiben nicht selten auf der Strecke. "Ich lade Paare immer wieder ein, sich ganz bewusst Zeit zu nehmen für eine Art Update ihres Partners", sagt Moshammer-Peter. Sie hat für den STANDARD 17 Fragen aus der therapeutischen Praxis zusammengestellt, die Langzeitpaaren dabei helfen sollen, sich wieder neu kennenzulernen: Wo steht mein Partner gerade? Was bewegt ihn? Welche Wünsche und Sehnsüchte hat er? "Es sind Fragen, die sich Paare im Laufe der Jahre wahrscheinlich nicht stellen, die aber Nähe erzeugen", sagt Moshammer-Peter.

Ein Paar teilt sich eine Schokolade mit dem Mund
Auch in Langzeitbeziehungen können einfache Fragen wieder mehr Intimität und Nähe schaffen.
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"Für Paare in Beziehungskrisen oder in strittigen Phasen sind die Fragen nicht geeignet", warnt die Paartherapeutin. "Dann können die Fragen sogar die Beziehung bedrohen." Eher sind die Fragen für Paare gedacht, die ihrer Beziehung besondere Aufmerksamkeit gönnen wollen. "Setzen Sie sich mit Ihrem Partner oder Ihrer Partnerin abends aufs Sofa, trinken Sie gemeinsam ein Glas Wein oder eine Tasse Tee und nehmen Sie sich bewusst Zeit füreinander", sagt Moshammer-Peter. "Entweder Sie ziehen alle Fragen auf einmal durch, oder Sie beantworten jeden Abend nur eine Frage und machen eine Art Ritual daraus. Das bleibt ganz den Paaren überlassen."

Weitere schöne Aussichten: Zwar zeigen sämtliche aktuellen Umfragen, dass für Langzeitpaare Sexualität nicht das Wichtigste in der Beziehung ist, doch auch in diesem Punkt können die Fragen neuen Wind reinbringen. Moshammer-Peter: "Wer weiß, wie der Abend nach so intimen Gesprächen ausgeht." (Nadja Kupsa, 14.2.2024)