Oscar-Preisträgerin Juliette Binoche kocht in Trần Anh Hùngs Cannes-Preisträger einen französischen Eintopf.
Schauspiellegende Juliette Binoche kocht in Trần Anh Hùngs Cannes-Preisträger einen französischen Eintopf.
AP/Carole Bethuel

Für Eugénie und Dodin geht die Liebe tatsächlich durch den Magen. Dodin ist der König der Küchenchefs. Sie ist seine Köchin, ohne die in der Schlossküche nichts geht. Regisseur Trần Anh Hùng serviert einen kulinarischen Liebesfilm, angesiedelt im malerischen Val de Loire des Jahres 1885 mit Juliette Binoche in der Hauptrolle.

STANDARD: "La Passion de Dodin Bouffant" ist ein sehr französischer Film über gutes Essen und die französische Lebensart. Glauben Sie, dass er Frankreich gut repräsentiert?

Binoche: Frankreich ist eine abstrakte Idee. Im Film sieht man eine kulinarische Tradition aus dem 19. Jahrhundert, es geht um Marie-Antoine Carême, den "Koch der Könige und König der Köche". Diplomaten und Botschafter aus der ganzen Welt wurden auf sein Schloss eingeladen. Als sie dann in ihre Länder zurückkehrten, sprachen sie über die französische Küche. Deshalb haben wir heute noch diesen Ruf.

STANDARD: Im Film wird viel köstliches Essen serviert. Hatten Sie selbst auch solche speziellen Erfahrungen?

Binoche: Ja, natürlich. In der Küche meiner Mutter, da habe ich die Liebe gespürt, die das Essen zu etwas Besonderem macht. Aber auch bei Spitzenköchen wie Marc Veyrat oder Pierre Gagnaire war ich sehr beeindruckt. Gagnaire war beim Film auch als Berater dabei.

STANDARD: Der Film ist auch eine Liebesgeschichte zwischen Ihrer Figur und dem Küchenchef, gespielt von Benoît Magimel, den Sie gut kennen. Wie war es, wieder mit ihm zu arbeiten?

Binoche: Ich war vorab natürlich nervös. Benoît und ich haben vor langer Zeit zusammengelebt und eine gemeinsame Tochter. Viele Jahre lang hatten wir kein gutes Verhältnis. Dass wir nun zusammen einen Film machen konnten, hat mein Leben und das Leben meiner Tochter sehr verändert. Für mich ist das ein Geschenk.

STANDARD: Inwiefern?

Binoche: Es war sehr heilsam, meine Gefühle über die Schauspielerei auszudrücken. Benoît und ich haben uns versöhnt. Die Liebe ist größer als Konflikte oder ungesagte Dinge. Es war schön, das erleben zu dürfen. Und ich hoffe, das ist im Film spürbar. Vielleicht kann es auch anderen Menschen helfen, sich zu versöhnen.

Der Film spinnt eine Liebesgeschichte zwischen Köchin Eugénie (Juliette Binoche) und dem Küchenchef Dodin (Benoît Magimel).
Der Film spinnt eine Liebesgeschichte zwischen Köchin Eugénie (Juliette Binoche) und dem Küchenchef Dodin (Benoît Magimel).
Stephanie Branchu

STANDARD: Auch Ihre beiden Figuren kennen einander schon lange. Wie haben Sie die Beziehung zwischen dem Küchenchef und der Köchin angelegt?

Binoche: Er schreibt die Rezepte. Sie ist ein "Co-Creator". Es ist wie mit einem Regisseur und einer Schauspielerin. Der Regisseur braucht Schauspielende, die das Geschriebene verkörpern. Schauspieler brauchen den Regisseur.

STANDARD: Und eine gute Balance zwischen beiden.

Binoche: Damit hatten wir zunächst zu kämpfen, weil Benoît unbedingt kochen wollte. Ich weiß, dass er ein großartiger Koch ist. Als Regisseur Hùng ihn einbremste, war er wirklich wütend, weil er die beiden als Liebespaar sah, das zusammen kocht. Aber ich sagte ihm, ich bin die Köchin, Du musst mir diesen Freiraum lassen. Sonst ist es keine Überraschung, wenn du später in der Geschichte für mich kochst.

STANDARD: Eugénie leidet an einer Krankheit. Was hat es damit auf sich?

Binoche: Kochen ist für sie eine Möglichkeit, das zu verdrängen. Es ist wie bei einer Kerze, sie wird kleiner und kleiner, aber die Flamme brennt immer noch. Da ist ein Bedürfnis nach Leben, ein Bedürfnis zu kochen. Und dann diese Zerbrechlichkeit, die in sie eindringt, wie sie sich dagegen wehrt, wie sie darum kämpft, es nicht zu sehen. Diese Widersprüche sind für mich als Schauspielerin interessant.

STANDARD: War dieser Kontrast schwierig zu spielen?

Binoche: Es kam ganz natürlich. Sie versucht ja zu spielen, dass sie nicht krank ist. Also wollte ich es nicht übertreiben. Wir haben nicht darüber gesprochen, was sie hat. Damals wusste man es oft einfach nicht.

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STANDARD: Sie werden in Kürze 60. Machen Sie sich darüber Gedanken?

Binoche: Wir können nicht rückwärts gehen. Das ist okay. Ich habe wirklich jede Phase gelebt, die ich leben wollte, und ich glaube nicht, dass ich faul war. Ich möchte etwas mit Leidenschaft tun. Das macht es aus, und nicht das Alter. Es geht um deine Energie, deine Leidenschaft, deine Liebe. Es geht um dein intellektuelles, emotionales und kreatives Interesse. Dann gibt es kein Alter, und du stehst außerhalb der Zeit.

STANDARD: Bereuen Sie etwas?

Binoche: Ich habe meine Fehler gemacht. Wenn man Kinder hat, denkt man natürlich, ich hätte vielleicht dieses oder jenes tun sollen. Aber wenn ich an meine eigene Kindheit denke, habe ich einfach weitergemacht und meinen Eltern vergeben. Am Ende war es egal. All ihre Fehler sind mein Schatz. Ich kann an den Mängeln wachsen.

STANDARD: Ihr Herzensprojekt "Talking with Angels" konnten Sie noch nicht verwirklichen. Darin soll die Geschichte einer Holocaust-Überlebenden zu einem Theaterstück werden.

Binoche: Manchmal fühlt sich ein Buch an, als wäre es das Leben. Es fühlte sich so aufrichtig und wahrhaftig an. Ich habe jedes einzelne Wort geglaubt. Mir hat dieses Buch mehrmals das Leben gerettet. Ich kann nicht erklären, wie, weil es so intim ist. Immer, wenn ich es zur Hand nehme, werde ich daran erinnert, warum ich hier bin. Im Leben geht es um Verwandlung, nicht darum, zu bekommen, zu haben und zu halten. Es geht darum, zu geben und einen Ort zu finden, wo man sich entwickeln und verwandeln kann. Deshalb kehre ich immer wieder zu diesem Buch zurück.

STANDARD: Viele Schauspielerinnen finden keine Rollen mehr, wenn sie ein bestimmtes Alter erreichen. Kennen Sie das auch?

Binoche: Das war für mich noch nie ein Problem. Es gab einige Projekte, die nicht produziert wurden. Das ist mir auch passiert, aber ich glaube nicht, dass es damit zu tun hatte. Ich hatte auch den Mut, Rollen abzulehnen, die sehr schön aussahen.

STANDARD: Suchen Sie sich Ihre Rollen sehr genau aus?

Binoche: Wenn ich ein Drehbuch lese, muss ich etwas erkennen, das ich geben kann oder das mich zu etwas zwingt, das ich nicht kenne. Ich brauche eine Reaktion, die mir sagt: "Ju, das ist was für dich." Mein Bauchgefühl oder mein Kopf oder mein Herz müssen Ja sagen.

STANDARD: Damit hat Ihre Karriere bisher recht gut geklappt.

Binoche: Wahrscheinlich gibt es irgendwo einen kleinen Stern oder einen Engel, der dafür sorgt, dass ich bekomme, was ich bekommen soll. Man kann es sich aussuchen. Aber es gibt auch ein Schicksal. Ich glaube an beides. Ich weiß nur, dass ich mein Bestes geben muss, in der verdammten Gegenwart, denn sonst ist es nur Blabla. (Marian Wilhelm, 14.2.2024)