Plastikflaschen
Die Recyclingquote bei Kunststoff hat sich in den vergangenen 20 Jahren verdoppelt. Fachleuten zufolge bleibt dabei aber immer noch sehr viel Luft nach oben.
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9100 Millionen Tonnen. Das ist die Menge an Kunststoff, die weltweit von 1985 bis 2019 produziert worden ist. Recycelt wurden davon laut OECD-Bericht "Plastic Outlook" aus dem Jahre 2022 bislang nur Mengen im einstelligen Prozentbereich. Zwar habe sich die weltweite Recyclingqoute in den vergangenen 20 Jahren von drei auf sechs Prozent verdoppelt, heißt es im OECD-Bericht weiter. Doch ein Wermutstropfen bleibt: Denn der gegenwärtige Kunststoff-Lebenszyklus sei noch weit entfernt von einer Kreislaufwirtschaft. Noch würden "Single Use" und lineare Geschäftsmodelle vorherrschen. Drei Viertel der weltweiten Jahresproduktion, die derzeit bei 400 Millionen Tonnen liegt, landen Jahr für Jahr im Müll, werden deponiert, verbrannt oder gelangen illegal in die Umwelt, einschließlich Flüsse und Weltmeere.

Das soll sich jetzt ändern. Unter verschiedenen Überschriften wird in vielen Ländern der Welt, darunter Japan, Kanada, aber auch China und die USA, die Einführung zirkulärer Wirtschaftsmodelle für die Kunststoffindustrie diskutiert. Führend dabei will die Europäische Union sein, in der die Kreislaufwirtschaft Teil des Green Deal ist. Nach mehrjährigen Vorarbeiten hat nun auch Plastics Europe, die Interessenvertretung der europäischen Kunststoffindustrie, ihre Roadmap präsentiert, mit der sie eine klimaneutrale Kunststoff-Kreislaufwirtschaft einführen will.

Plastik als kostbares Gut

Kann Plastik öko werden? Fast. "Das Vorhaben ist ambitioniert, aber machbar", sagt Christian Paulik, Leiter des Instituts für Chemische Technologie Organischer Stoffe an der Johannes-Kepler-Universität Linz. Der Chemiker arbeitete 15 Jahre beim Kunststoffhersteller Borealis, betrieb Grundlagenforschung für das österreichische Kompetenzzentrum für elektrochemische Oberflächentechnologie (CEST) und ist Scientific Director der Competence Center CHASE GmbH, die Teil der COMET-Kompetenzzentren ist. Dort forscht er intensiv an effizienzsteigernden Methoden der Kunststoffproduktion durch Digitalisierung und im Recycling. Paulik sieht Chancen und Risiken: "Technologisch gibt es viel Luft nach oben. Aber da sind alle Player gefordert, und Zusammenarbeit ist auf vielen Ebenen notwendig."

Angesprochen und für gut befunden werden in der europäischen Roadmap jedenfalls so gut wie alle Themen, die eine Kreislaufwirtschaft unterstützen: hohe Recyclingraten, bessere Sortieranlagen, Einführung neuer Pfand- und Mehrwegsysteme, Schließen von Abflüssen im Stoffkreislauf und nicht zuletzt die Defossilisierung der gesamten Kunststoff-Wertschöpfungskette.

Betont wird aber auch die Bedeutung neuer zirkulärer Geschäftsmodelle, die etwa das Prinzip "Leihen statt kaufen" unterstützen, ähnlich wie beispielsweise Carsharing. Um den Plastikkreislauf zu schließen, ist auch ein Umdenken in der Abfallwirtschaft vonnöten. So sei die Politik aufgerufen, nicht nur die Deponierung, sondern auch die thermische Verwertung von Kunststoffen europaweit wenn schon nicht zu verbieten, so doch erheblich zu verteuern. In Zukunft sollen Müllverbrennungsanlagen daher ins Europäische Emissionshandelssystem eingebunden werden – und CO2-Zertifikate fürs "Heizen mit Plastik" kaufen müssen. Rezyklierter Kunststoff soll in Zukunft jedenfalls ein heißbegehrtes, stark nachgefragtes und damit wertvolles Gut werden. Viel zu kostbar, um noch verfeuert zu werden.

Disput um Recyclingquote

Die präsentierte Kreislaufidee der Kunststoffindustrie hat aber für so manchen noch einige Schönheitsfehler: Laut Roadmap könnte die produzierte Kunststoffmenge bis 2050 zwar um elf Prozent unter das heutige Niveau gesenkt werden. Der Anteil von Kunststoffen, die aus fossilem Rohstoff, sprich Erdöl, erzeugt werden, soll aber auch nach 2050 jährlich bei 22 Millionen Tonnen oder 35 Prozent der Gesamtmenge liegen.

Kritik daran folgte umgehend: Die Mengenreduktion und die Erhöhung der Recyclingquote auf 42 Prozent könnten deutlich höher ausfallen, kritisiert etwa Deutschlands größte Umwelt-NGO Bund die Roadmap. Denn immerhin betrage der Produktionsanteil von Kunststoffverpackungen in Europa mittlerweile 40 Prozent.

Kunststoff-Recycling
Kunststoff restlos zu recyceln funktioniert Experten zufolge nicht in allen Bereichen. Die Menge an produzierten Plastikverpackungen könnte indes wesentlich einfacher reduziert werden.
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Dem Verpackungsargument kann auch Recyclingexperte Paulik einiges abgewinnen. "Viele Plastikverpackungen sind nicht notwendig, und man könnte ersatzlos auf sie verzichten." Dass Erdöl als Rohstoff damit aber generell vermieden werden könnte, hält Paulik für unplausibel. "Das würde ohne Verzicht nicht gehen." Denn trotz optimalen Recycelns – einschließlich Projekten, die Plastikmüll chemisch wieder zu Kohlenwasserstoffmolekülen aufbrechen – würden die erzielten Rezyklatmengen die benötigte Gesamtmenge nicht abdecken können.

Das hänge damit zusammen, dass viel mehr Kunststoff, etwa im Bauwesen, in Langzeitanwendungen verschwinden wird und Verluste beim Bearbeiten und Rezyklieren des Kunststoffs auch weiterhin bestehen bleiben. In einigen Bereichen, etwa bei Medizinprodukten, seien Kunststoffe zudem schwer bis gar nicht aus Rezyklat zu ersetzen: "Da gibt es strenge Qualitätsstandards", unterstreicht Paulik.

Keine Ackerfläche verbrauchen

Limitiert sei auch die Produktion von Plastik aus alternativen Quellen, etwa aus Biomasse. Im bestehenden "Food-Feed-Fuel"-Konflikt gilt die Devise: aus Abfallströmen ja, aus Ackerflächen nein. Als alternative Plastikrohstoffquelle bliebe dann noch Kohlenstoff aus Rauchgas oder direkt aus der Atmosphäre selbst, durch die sogenannte Carbon Capture Utilization (CCU). Biomasse und CCU werden in der Roadmap auch mit einem Anteil von 23 Prozent budgetiert. Mehr zu schaffen sei aus heutiger Sicht fraglich – argumentiert zumindest die Industrie.

Ihr Kompromissvorschlag: Man elektrifiziere und dekarbonisiere die fossile Produktion, in der pro Tonne Kunststoff derzeit 1,2 Tonnen CO2-Äquivalent anfallen. Damit könnte fossiles Plastik mit einer Netto-Null und damit klimaneutral erzeugt werden. Kostenpunkt der nötigen Zusatzinvestitionen: 235 Milliarden Euro. Das zähe Feilschen um öffentliche Förderungen hat schon begonnen. (Norbert Regitnig-Tillian, 21.2.2024)