Wird heuer die AfD den roten Teppich für rechten Protest nutzen? Nach deren Ausladung von der Berlinale muss man darauf gefasst sein.
Wird heuer die AfD den roten Teppich für rechten Protest nutzen? Nach deren Ausladung von der Berlinale muss man darauf gefasst sein.
APA/dpa/Soeren Stache

Es waren fünf harte Jahre für die scheidende Berlinale-Doppelspitze bestehend aus der kaufmännischen Leiterin Mariette Rissenbeek und dem künstlerischen Leiter Carlo Chatrian. Am 15. Februar läuten sie ihre letzte Edition ein und räumen danach, u.a. wegen des freiwilligen Rückzugs Rissenbeeks, der US-Amerikanerin Tricia Tuttle den Platz.

Vielleicht war es eine zu kurze Zeit, um sich zu profilieren. Gerade hinsichtlich der Umstände der vergangenen Jahre. Schon der Start des Leitungsduos 2020 stand unter keinem guten Stern. Ende Jänner kam damals heraus, dass Alfred Bauer, der erste Leiter des 1951 gegründeten Festivals, in der NS-Kulturpolitik eine zentrale Rolle gespielt hatte. Kurz vor Festivalbeginn wurde dann der Rechtsextremismus durch die Anschläge von Hanau gegenwärtig und die Berlinale, die immer auch ein Stück weit die Konflikte in der deutschen Gesellschaft spiegelt, begann mit einer fassungslosen Trauerbekundung.

Erst ein Skandal, dann die Pandemie

Die Ernennung des Schauspielers Jeremy Irons zum ersten Jurypräsidenten enttäuschte dann jene, die sich eine entschieden neue Ausrichtung des Festivals hinsichtlich identitätspolitischer Sensibilitäten gewünscht hätten (erst später wurde das u.a. durch die Einführung geschlechtsneutraler Schauspielpreise eingelöst). Irons hatte sich im Vorfeld abwertend zu gleichgeschlechtlicher Ehe und Abtreibung geäußert. Bei der Preisverleihung setzte er einen Preis für den umstrittenen Film DAU. Natascha durch, der wegen dubioser Entstehungsumstände empörte. Und dann stand auch schon die Pandemie vor der Tür, die die nächsten zwei Festivaljahre lähmte.

Politischer Druck

In den Pandemiejahren schlug sich das Leitungsduo zwar wacker, doch die öffentlichen Auftritte waren häufig durch Unsicherheiten gekennzeichnet. Das zeigte sich jüngst wieder in dem Hin- und Her um die Einladung von AfD-Abgeordneten zur Eröffnungsgala. Ein Kartenkontingent geht traditionell an den Berliner Senat, in dem seit 2017 auch die AfD sitzt. Aufgrund der Verschärfung der Diskussionen rund um die rechte Partei taten rund 200 Filmschaffende vergangene Woche ihren Protest gegen deren Anwesenheit kund.

Das Profil der Berlinale unter Rissenbeek und Chatrian blieb unscharf. Möglicherweise fehlte ihnen die Zeit.
Das Profil der Berlinale unter Rissenbeek und Chatrian blieb unscharf. Möglicherweise fehlte ihnen die Zeit.
REUTERS/LIESA JOHANNSSEN

Zuerst verteidigte die Festivalspitze die Einladung mit dem Argument der demokratischen Gleichstellung, schließlich rang sie sich aber doch zu einer offiziellen Ausladung durch, da zahlreiche Mitglieder der AfD den "Grundwerten der Demokratie zutiefst widersprechen" würden. Das sei ein "kulturpolitisches Infernal", konterte die Berliner AfD-Vorsitzende Kristin Brinker und deren Kultursprecher kündigte an, dass man sich davon nicht abschrecken lasse. Wie viel Aufmerksamkeit die unwillkommene Partei letztendlich am roten Teppich genießen wird, zeigt sich am Donnerstagabend. Ex-Leiter Dieter Kosslick ging 2019 noch in die Offensive: Er lud AfDler zu einem Film über das Warschauer Ghetto explizit ein.

Am Dienstag berichtete der "Hollywood Reporter" außerdem über einen offenen Brief mehrerer Berlinale-Mitarbeiter, in dem von der eigenen Leitung eine klarere Haltung bezüglich des Gazakrieges gefordert wird. Die Unterschreibenden plädieren für einen sofortigen Waffenstillstand und die Freilassung der israelischen Geiseln. Der Brief kritisiert auch die deutsche Debattenkultur, die als "limitierend" wahrgenommen werde. Vor dem Festival hatten bereits zwei Regisseure ihre Filme aus Nebensparten zurückgezogen, um sich der Protestbewegung Strike Germany anzuschließen.

Früchte am Wegesrand

Ein Problem der Berlinale ist indes nicht neu. Während sich die grantelnde Kritik einen oftmals uninspirierten Wettbewerb ansehen muss – auch Chatrian gelang es nur ansatzweise, seinen cinephilen Anspruch mit A-Festival-Glamour zu vermählen – verlocken wie bei keinem anderen großen Filmfestival die Früchte der Nebensektionen, die Großteils für den anhaltenden Publikumserfolg der Berlinale verantwortlich sind.

Das "Forum" etwa, das derzeit in ungünstiger Konkurrenz zu Chatrians Herzensprojekt, dem "Encounters"-Wettbewerb steht und gerade erst von der Österreicherin Barbara Wurm übernommen wurde; oder das "Panorama", das Josef Haders neuen Film Andrea lässt sich scheiden spielt sowie Nora Fingscheidts internationales Debüt mit Saoirse Ronan; Das "Berlinale Special" sorgt für die Starpower (etwa Kristen Stewart oder Adam Sandler); "Generation" zeigt junges Kino und die "Retrospektive" wirft einem interessanten Blick auf deutsche Kinogeschichte. Die "Perspektive Deutsches Kino" fiel heuer allerdings Sparzwängen zum Opfer.

2024: Vielversprechender Wettbewerb

Han Chang und Nina Mélo in
Han Chang und Nina Mélo in "Black Tea" von Abderrahmane Sissako.
© Olivier Marceny / Cinéfrance Studios / Archipel 35 / Dune Vision

Dafür klingt Chatrians letzter Wettbewerb vielversprechend. Gespannt darf man etwa auf Black Tea von Abderrahmane Sissako sein, der mit seiner ivorisch-chinesischen Liebesgeschichte Migration abseits des Westens in den Blick nimmt. Mit Mati Diops Restitutionsdokumentation Dahomey ist eine weitere wichtige afrikanische Stimme vertreten und der dominikanische Wettbewerbsfilm Pepe nimmt eine ungewöhnliche Perspektive ein, nämlich die eines toten Nilpferds.

Aus Österreich ringt Veronika Franz’ und Severin Fialas Folkhorror Des Teufels Bad um einen Bären, aus Frankreich etwa Bruno Dumont mit dem Science-Fiction-Film L'Empire, der übrigens die französische Schauspielerin und MeToo-Aktivistin Adèle Haenel zum Ausstieg aus der Filmbranche bewegt hat. Die Begründung: Diese sei zu sexistisch und rassistisch.

Der Eröffnungsabend am Donnerstag aber gehört – mit oder ohne AfD – Oppenheimer-Star Cillian Murphy mit der irischen Kohlearbeitergeschichte Small Things Like These. (Valerie Dirk, 14.2.2024)