In keiner Altersgruppe steigen die Privatinsolvenzen so stark wie bei Personen unter 24
In keiner Altersgruppe steigen die Privatinsolvenzen so stark wie bei Personen unter 24. Vor allem bei jungen Frauen geht die Kurve steil nach oben.
Illustration: Armin Karner

Wer sich fragt, warum so viele junge Menschen in Österreich Schulden haben, findet Antworten beim Einkaufen. Vor dem Donauzentrum, dem größten Einkaufszentrum innerhalb der Wiener Stadtgrenzen, trifft man Bischoy B., einen freundlichen Mann mit Wuschelkopf. Wie es mit seinen Finanzen laufe? "Ich bin gerade im Minus, es müssten so 436 Euro sein", sagt der 21-Jährige verlegen. Er habe seine Ausgaben nicht im Griff, gibt er zu. Seine Gedanken beim Onlineshopping: "Ich sehe das, mir gefällt es, ich kauf es."

B. hat zwar eine Lehre zum E-Commerce-Kaufmann gemacht, dennoch gebe er zu viel Geld aus, etwa für Kleidung bei Zalando und Playstation-Spiele bei Amazon. Gerne nütze er dabei die Option "Buy now, pay later", also "Gleich kaufen, später zahlen". Die Hose, die er gerade trägt, sei auch noch nicht bezahlt. Bischoy deutet runter auf seine Beine und sagt: "79 Euro sind offen."

Der Anteil jener Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die viel mehr Geld ausgeben, als sie haben, ist 2023 deutlich gestiegen, wie Schuldenberatungen und Gläubigerschützer bestätigen. Im Gegensatz zu älteren Menschen, bei denen eine gescheiterte Selbstständigkeit, lange Arbeitslosigkeit und, insbesondere bei Frauen, eine Trennung die häufigsten Gründe für eine Privatinsolvenz sind, verschulden sich die Jungen meist durch ihren Konsum. Sie shoppen sich in die Schulden.

Video: #klarnaschulden: Die Gefahren hinter Buy-now-pay-later-Modellen.
DER STANDARD

Kein Bezug zum Geld

Die jungen Konsumentinnen und Konsumenten greifen vor allem für Kleidung, Möbel sowie Elektro- und Beautyprodukte tief ins Geldbörsel, heißt es bei der Schuldenberatung des Fonds Soziales Wien (FSW). Gerade bei Menschen unter 24 Jahren seien die Privatinsolvenzen 2023 in die Höhe geschnellt, teilt wiederum der Alpenländische Kreditorenverband mit. 192 Personen bis 23 mussten im Vorjahr ein Privatinsolvenzverfahren eröffnen, gleich viele Männer wie Frauen. Das Plus fiel bei den derart verschuldeten jungen Frauen im Vergleich zu 2022 mit 45 Prozent besonders hoch aus. Privatinsolvenzen sind freilich nur die Spitze des heimischen Schuldenbergs.

Ein häufiger Grund für Schulden sei, dass gerade junge Menschen leicht den Überblick über ihre Finanzen verlieren, erzählt Gudrun Steinmann, Leiterin der Finanzbildung in der FSW-Schuldenberatung. Denn die meisten Jungen zahlten nicht mehr mit Bargeld. "Junge Menschen haben deshalb häufig keinen Bezug mehr zu Geld. Für sie sind 100 Euro gleich viel wie 1.000 Euro, weil sie 1.000 Euro nie in der Hand hatten", sagt Steinmann. Auch Bischoy B. vor dem Wiener Donauzentrum berichtet: "Ich mag kein Bargeld. Ich zahle immer nur mit Karte, ist schneller so."

Bischoy B. vor dem Wiener Donauzentrum
Bischoy B. über das Onlineshopping: "Ich sehe das, mir gefällt es, ich kauf es."
Lukas Kapeller

Probleme auf Raten

Vor allem ein Phänomen des Onlineshoppings steht als Synonym für eine Schuldenfalle: "Buy now, pay later" (BNPL). Häufig wählen Konsumenten diese Option hierzulande über den schwedischen Zahlungsanbieter Klarna. Dessen App ist sehr elegant und sehr rosa. Sie beinhaltet etwa auch den Service, die CO2-Emissionen von Einkäufen zu vergleichen und so angeblich nachhaltiger einkaufen zu können. Weltstars wie Lady Gaga und Paris Hilton machten schon Werbung für Klarna. Mit seinem hippen Auftritt gelingt es Klarna, das harte Thema Schulden watteweich zu verpacken.

Nüchtern betrachtet bietet Klarna seinen Kunden die Möglichkeit, einzukaufen und 30 Tage später zu bezahlen. Im Zusammenspiel mit dem Versandhandel vermittelt der Stockholmer Zahlungsanbieter: Was gerade nicht leistbar ist, wird leistbar gemacht. Treibt man so nicht Scharen von jungen Menschen in Zahlungsprobleme?

Klarna widerspricht Kritik

Klarna behauptet, es prüfe die Bonität seiner Kunden sorgfältig. Bevor das Unternehmen eine neue Kreditentscheidung treffe, "prüfen wir eine Reihe verschiedener Datenquellen, dazu gehören die bisherige Nutzung unserer Produkte, Informationen von Wirtschaftsauskunfteien und manchmal offene Bankdaten", heißt es in einer Antwort an den STANDARD. Durch verbessertes "Underwriting", also Risikoabschätzung, und häufigere Erinnerungen habe man in den vergangenen zwei Jahren zudem den Anteil der Rechnungen, die an ein Inkassobüro übergeben werden, in Österreich von knapp 2,3 Prozent auf rund ein Prozent* reduzieren können.

In absoluten Zahlen bedeutet ein Prozent oder ein halbes Prozent aller Transaktionen wohl trotzdem, dass sich viele Menschen mit der BNPL-Zahlungsform von Klarna, Paypal und anderen Anbietern verschulden. "Ich sehe schon einen Zusammenhang zwischen BNPL und der Verschuldung vieler junger Menschen", betont Schuldenexpertin Steinmann.

Hinzu kommen noch zwei simple Gründe, warum Privatinsolvenzen und Schulden im vergangenen Jahr zugenommen haben: Die Leute haben wegen der Inflation weniger finanziellen Spielraum. Und Österreich verzeichnet mit rund 50 Prozent einen hohen Anteil variabel verzinster Kredite – das fiel vielen auf den Kopf.

Sara N. kauft gerne Mode und Beautyprodukte
Sara N. kauft gerne Mode und Beautyprodukte: "Bei Klarna bin ich schon gesperrt."
Lukas Kapeller

Kleidung, Schminke, Tschick

Vor dem Donauzentrum erzählt auch Sara N., dass sie durch das BNPL-Prinzip anfällig sei, sich zu verschulden. Zweimal sei sie schon von Mahnungen überrascht worden, weil sie Rechnungen übersehen habe. "Wenn ich etwas Schönes sehe, denke ich mir, ich brauch das." Ihre größten Ausgaben? "Kleidung, Schminke, Tschick. Ich gehe auch gern essen", sagt der 18-jährige Lehrling. Die Hälfte ihres 900-Euro-Lehrlingsgehalts überweise sie am Monatsanfang an ihre Mutter – ein Sicherheitsmechanismus. Die restlichen 450 Euro bekomme sie immer am 15. "Meine Mutter weiß, dass ich nicht mit Geld umgehen kann", sagt Sara N.

Was in vielen Gesprächen mit jungen Erwachsenen auffällt: Der Wunsch, sich etwas zu leisten und gönnen, ist groß – oft größer als das Budget. Der deutsche Jugendforscher Kilian Hampel erkennt eine Generation, die geprägt sei von Corona-Pandemie, Klimakrise, Ukrainekrieg und Inflation: "Die jungen Menschen leben in einem Krisenmodus. Es überwiegt das Gefühl, dass das Leben in naher Zukunft nicht mehr so gut sein könnte und dass man keine hohe Rente bekommen wird. Daher wollen die Jungen stärker als frühere Generationen im Hier und Jetzt leben."

Außerdem wirkten heute auch die sozialen Medien stark aufs Konsumverhalten, sagt Hampel. Junge Menschen hätten sich früher auch schon verglichen und Geld für Statussymbole ausgegeben. "Heute entstehen Statussymbole aber nicht nur durch den inneren Freundeskreis, sondern auch weil sie im Internet viral gehen. Man kann sich so an Statussymbole gewöhnen, die in das persönliche Umfeld noch gar nicht vorgedrungen sind", sagt er.

EU schärft nach

Die Politik versucht, den allzu komfortablen Onlinekauf an neue Bedingungen zu knüpfen. Im Oktober haben die EU-Länder eine neue Verbraucherkreditrichtlinie gebilligt: Kreditinformationen müssen künftig verständlicher dargestellt werden, die Vorschriften für Werbung werden strenger. Auch Kleinkredite unter 200 Euro sowie BNPL-Käufe sind in die Richtlinie aufgenommen worden.

Die Umsetzung der Richtlinie werde zwischen den zuständigen Ministerien gerade "genauestens akkordiert, um eine ideale Implementierung der Maßnahmen zu gewährleisten", heißt es auf Nachfrage aus dem Finanzministerium. Allerdings wird das wohl noch dauern. Die überarbeitete Verbraucherkreditrichtlinie ist bis zum 20. November 2025 in österreichisches Recht umzusetzen. Und bis die Verschärfungen in Kraft treten, hat Österreich noch Zeit bis 20. November 2026.

Bereits 2021 hat die Regierung jedenfalls die Nationale Finanzbildungsstrategie ins Leben gerufen, weil sie fehlendes Finanzwissen in der Bevölkerung erkannte. Bischoy B. erzählt, er habe inzwischen einen eigenen Plan entwickelt, wie er online keine Schulden mehr machen will. "Ich werde die Produkte zuerst in den Warenkorb legen. Wenn am Ende des Monats noch Geld übrig ist, kauf ich's mir", sagt er. An ein Leben im Minus wolle er sich nicht gewöhnen. (Lukas Kapeller, 25.2.2024)