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Als "Beatles-Zerstörerin" verschrien, als Künstlerin oft verkannt: Eine neue Ausstellung in London widmet sich dem Lebenswerk von Yoko Ono.
IMAGO/Leopold Nekula/Viennareport

Es pfeift, schrillt und knallt. Immer wieder gerät man in der eleganten neuen Ausstellung in Londons Tate Gallery of Modern Art ins Kreuzfeuer der Geräusche. Diese stammen teils aus Filmen, teils aus Audioaufnahmen. Und wer schlägt denn da mit dem Hammer auf eine Wand ein, ist etwa der Aufbau nicht rechtzeitig fertig geworden?

Doch, das ist er, die Kakophonie ist gewollt. Geräusche jeglicher Art gehören seit vielen Jahrzehnten zur Arbeit der Konzeptkünstlerin, Filmemacherin und Musikerin Yoko Ono. Man kann die atonale Musik der Tochter aus vermögender, japanisch-amerikanischer Familie vieles nennen, konventionell, gefällig, gar "schön" ist sie nicht. Aber was macht das schon? Es geht um Geistesmusik, Seelenmusik, Gedankenmusik – je nachdem, wie man den Ausstellungstitel "Music of the Mind" übersetzen will.

Die umfassende Retrospektive ist konzipiert als Ehrung, auch ein wenig Wiedergutmachung, für die knapp 91-jährige Künstlerin, der im London der 1960er-Jahre wenig Sympathie entgegengebracht wurde. In der Presse hieß sie "die Hexe", "die Drachenlady", ihr Aussehen wurde als "glanzlos" beschrieben oder gleich als "hässlich". Haltlos brach sich der Rassismus gegen eine Asiatin Bahn; hemmungslos machten sich Autorinnen ebenso wie Autoren lustig darüber, dass sich Ono der Schönheitsindustrie verweigerte, ungeschminkt auftrat, in weiten Kleidern, ihre schwarzen Haare ungebändigt tragend. "Bei Ono haben manche Kommentatoren schon immer zu viel gekriegt", glaubt Helen Barrett von der "Financial Times".

Interaktive Ausstellung

Das gilt gewiss vor allem für jene älteren Menschen, bei denen Ono bis heute gedanklich den Beinamen "Beatles-Zerstörerin" trägt. Dies war ja der Tenor der damaligen Berichterstattung: Der damals 26-jährige John Lennon sei von der ersten Begegnung an dem Einfluss der sieben Jahre älteren Frau erlegen. Zugunsten der Plastic Ono Band habe er sich den berühmten Liverpooler Pilzköpfen immer mehr entfremdet, was schließlich 1970 zum Bruch führte.

Ach, wenn künstlerische Entwicklungen nur immer so einfach wären. Der 1980 ermordete Lennon selbst kann den Unsinn nicht mehr kommentieren. Dafür hat Paul McCartney, gewiss kein Ono-Fan, längst festgestellt: Lennons Geliebte und spätere Frau hatte mit dem Bruch ebenso viel oder wenig zu tun wie das Umfeld der drei anderen. Natürlich trägt die Londoner Ausstellung auch dieser Episode im langen Leben Yoko Onos Rechnung, wird der Film eines der berühmten Bed-ins gezeigt, mit denen das Paar, keusch in Pyjamas gekleidet oder ganz nackt, für den Frieden und damit gegen Amerikas Krieg in Vietnam demonstrierte.

Viel wichtiger aber sind die frühen Werke: "Lighting Piece", ein Film von 1955, für den das Entzünden eines Streichholzes mit einer Hochgeschwindigkeitskamera aufgenommen und anschließend in normalem Tempo abgespielt wurde. "Painting to Hammer a Nail" forderte 1966 und fordert auch heute – daher die hämmernden Geräusche – die Galeriebesucher ausdrücklich dazu auf, einen Nagel in die Leinwand zu treiben und damit zur Kunst beizutragen. Das Gleiche gilt für "Shadow Piece" (1963) – eifrig malen Besucherinnen und Besucher ihren Schatten auf die Leinwand, wie es die Konzeptkünstlerin Ono vorgesehen hat.

Geistesmusik, Seelenmusik, Gedankenmusik – der Ausstellungstitel
Geistesmusik, Seelenmusik, Gedankenmusik – der Ausstellungstitel "Music of the Mind" lässt Interpretationsspielraum.
AFP/DANIEL LEAL

"Ich wollte gerade jüngeren Menschen ein Gefühl für die langfristige Entwicklung ihrer künstlerischen Persönlichkeit geben", berichtet die Kuratorin Juliet Bingham. Spielerisch, humorvoll sei Onos Werk – eine Einladung an ihr Publikum, "wirklich nachzudenken". Ausführlich zeigt die Ausstellung Onos erste künstlerische Schritte, Werke der vergangenen 40 Jahre spielen kaum eine Rolle. Dahinter steckt die Botschaft: Diese Frau war längst als formidable Performancekünstlerin etabliert, ehe sie den weltberühmten Beatle kennenlernte.

Da kommt manches, was vor 60 Jahren revolutionär gewirkt haben mag, heute ein wenig altbacken daher. Nackte Männerhintern, nackte Frauenbrüste, na ja. Aber es gibt auch atemberaubend Frisches. Für den Film "Cut Piece" (1964) kniete sich Ono in aufrechter Haltung auf die Bühne der New Yorker Carnegie Hall und forderte ihr Publikum dazu auf, ihr die Kleider vom Leib zu schneiden. Das machen Frauen und Männer mal vorsichtig, mal forsch, und immer bleibt die Miene der Künstlerin unbewegt. Erst als zuletzt ein lauter junger Mann sich nicht nur sein großes Stück Textil sichert, sondern quasi im Vorbeigehen Onos Unterrock und BH zerstört, zeigt sie eine Reaktion, bedeckt ihre Brüste mit den Händen. Ihr Gesicht spiegelt die Verletzlichkeit, das Aufbegehren, die Empörung.

Kulturelle Weltenwanderin

Der Retrospektive gelingt es, Respekt, ja Bewunderung zu schaffen für eine Avantgardekünstlerin, eine Wanderin zwischen kulturellen Welten, die ihrer Zeit voraus war. Freilich bleibt auch die Skepsis gegenüber ihren einfachen Parolen. "Peace is Power", Frieden ist Macht, steht in Großbuchstaben am Ausgang der Tate-Ausstellung. Was aber, wenn Mächtige wie Wladimir Putin sich für Krieg entscheiden? "War is over – if you want it" (der Krieg ist vorbei, wenn ihr das wollt) ließen Ono und Lennon 1969 in London und vielen anderen Städten plakatieren: Ach ja, wie schön und einfach die Welt sein könnte. "Für Frieden einzutreten ist leicht, ihn zu schaffen aber schwer", schreibt "Times"-Kritikerin Laura Freeman.

Macht nichts, glaubt ihr Kollege Waldemar Januszczak von der "Sunday Times". Yoko Onos Terrain sei genau dort angesiedelt, "im Raum zwischen Hoffnung und Realität". Vielleicht wird dieses Wechselbad der Gefühle am ehesten einer klugen, manchmal banalen, stets innovativen Künstlerin gerecht. (Sebastian Borger aus London, 14.2.2024)