Ein Bauarbeiter geht auf einem Gerüst eines Hauses.
Die Arbeitslosigkeit am Bau steigt. Über ein Konjunkturpaket diskutiert die Regierung noch.
FrankHoermann/SVEN SIMON, via ww

Im Vorwahlkampf wird die Debatte zum Dauerbrenner. Die Kernfrage: Wie schafft man es, Arbeitslose so rasch wie möglich wieder in Arbeit zu bringen? Die ÖVP hat diese Debatte mit der Schwerpunktsetzung in ihrem Österreich-Plan neu befeuert. Österreich müsse "wirksame Maßnahmen setzen, um mehr Menschen in Beschäftigung zu bringen und die Langzeitarbeitslosigkeit zu senken", ist da festgehalten.

Ein Therapieansatz wird gleich mitgeliefert. Ein degressives, zeitabhängiges Arbeitslosengeld inklusive Absenkung der Ersatzrate von aktuell 55 Prozent des Letztgehalts auf unter 50 Prozent. Darüber hinaus würde die Kanzlerpartei die Möglichkeit, geringfügige Beschäftigung neben dem Arbeitslosengeld auszuüben, streichen. Personen ohne Erwerbsarbeit könnten dann legal nichts mehr dazuverdienen, und der Druck, rasch in den ersten Arbeitsmarkt zurückzukehren, würde steigen.

Der politisch erwünschte Nebeneffekt: Einsparungen in der Arbeitslosenversicherung, Geld, das frei würde, um die Lohnnebenkosten um 0,5 Prozent zu senken. So geht die Erzählung. Die ÖVP geht damit weiter, als es die Arbeitsmarktreform von Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP) im Jahr 2022 vorgesehen hätte. Diese sah vor, für die ersten sieben bis zehn Tage ohne Beschäftigung kein Arbeitslosengeld auszuzahlen, also per Gesetz eine Art Wartezeit zu verordnen. Danach hätte die Nettoersatzrate 70 Prozent ausgemacht, nach drei Monaten sollte sie auf 55 Prozent gesenkt werden. Die Grünen lehnten diese Wartezeit allerdings ab.

Langzeitarbeitslose im Fokus

Doch kann diese Rechnung aufgehen? Es sind vor allem Langzeitarbeitslose – also alle über einem Jahr –, auf die man abzielt. Deren Zahl blieb im Vergleich zum Vorjahr nahezu unverändert auf knapp 78.000. 2021, während der Corona-Pandemie, war sie mit über 148.000 Personen auf dem Höchststand. Mit 270 Millionen Euro zweckgebundenem Budget sollen Langzeitarbeitslose und ältere Personen vom AMS wieder jobfit gemacht werden.

Die Arbeitsmarktökonomin Andrea Weber von der Central European University (CEU) hält von einer Senkung der Nettoersatzrate wenig. Diese sei im internationalen Vergleich ohnehin niedrig, sagt sie mit Verweis auf die Rate in Deutschland von 60 Prozent. Die von einem niedrigeren Arbeitslosengeld ausgehende Anreizwirkung, eine Beschäftigung anzunehmen, sei klein und "sicher nicht ausreichend, das Steueraufkommen massiv zu erhöhen". Das sieht man beim Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) ähnlich. "Je mehr man nach unten senkt, desto stärker springt die Sozialhilfe ein, was wiederum auf Kosten der Bundesländerbudgets geht", argumentiert Wifo-Forscher Helmut Mahringer. Weber geht sogar davon aus, dass ein degressives Arbeitslosengeld "wegen des hohen Anteils an Kurzzeitarbeitslosen oder Saisonbeschäftigten eher zu einer Erhöhung der Ausgaben als zu Einsparungen führen dürfte". Ohnehin bekäme ein bedeutender Anteil der Arbeitslosengeldbezieher einen Ergänzungsbeitrag aufgrund niedrigen Arbeitslosengeldes. Für viele Arbeitslose sei die 55-Prozent-Ersatzrate bereits unter dem Ausgleichszulagen-Richtsatz.

Hinter einem Baukran sind dunkle Wolken aufgezogen.
Baukonjunktur ankurbeln, indem geplante Projekte vorgezogen werden, das rät der Experte. Davon "Investitionen zu erfinden", rät er ab.
Sascha Steinach via www.imago-im

Makroökonom Helmut Hofer vom Institut für Höhere Studien gibt in Sachen Kürzung des Arbeitslosengeldes zu bedenken, dass die hohe Inflation bereits zu einer Spreizung geführt habe. Langzeitarbeitslose spürten die Auswirkungen der massiven Teuerung längst, und die AMS-Unterstützung sei nicht valorisiert worden. Eine Inflationsanpassung würde tendenziell Langzeitarbeitslosen nützen. Mit den hohen Lohnabschlüssen im Vorjahr wiederum verändere sich die Realentwicklung des Arbeitslosengeldes.

Schlecht für Tourismus

Höhere Ersatzraten am Anfang der Arbeitslosigkeit könnten übrigens nach hinten losgehen, sie würden wohl Saisonbranchen zusetzen. Für die unter Arbeitskräftemangel leidenden Tourismusbetriebe wäre dies wohl ein harter Schlag, weil es weniger lohnen würde, als Kellnerin in Lohn und Brot zu gehen.

Es gibt eine weitere – nicht minder heikle – Stellschraube: der eingangs erwähnte Zuverdienst unterhalb der Geringfügigkeitsgrenze (518,44 Euro im Monat). Das ist eine nicht zu vernachlässigende Größe: Laut Ministerium gingen im ersten Halbjahr 2023 im Schnitt 30.431 Leistungsbezieher einer geringfügigen Beschäftigung nach, das sind knapp elf Prozent aller AMS-Leistungsbezieher. Zusammen mit dem Arbeitslosengeld haben sie damit ein auskömmliches Leben – ohne Anreiz, in Vollzeitbeschäftigung zu gehen.

Die Arbeitsmarktreform 2022 scheiterte auch an diesem Problem. Die Grünen lehnten eine Einschränkung der Zuverdienstmöglichkeiten ab, um Betroffene nicht in Armut zu treiben.

CEU-Ökonomin Weber sieht geringfügige Beschäftigung grundsätzlich kritisch – auch weil es an sozialer Absicherung (Krankenversicherung, Pensionsbeiträge) mangle und die Arbeitgeber weniger Lohnnebenkosten zahlten. Das konterkariere Maßnahmen zur Anhebung der Arbeitszeit von Frauen.

Neue Probleme

Angesichts der Rezession verlagern sich die Probleme aber ohnehin. Die Arbeitslosen am Bau werden mehr, ein Konjunkturpaket soll her. IHS-Experte Hofer rät davon ab, staatliche Investitionen "zu erfinden", um die Baukonjunktur anzukurbeln. Vernünftiger sei es, geplante Projekte vorzuziehen und Sanierungen im Sinne der Energiewende voranzutreiben. Parallel dazu müsse die Mobilität der Arbeitskräfte hin zu Zukunftsbranchen gefördert werden. "Demografisch werden wir die Arbeitskräfte brauchen. Die Energiewende kommt." (Regina Bruckner, Luise Ungerboeck, 15.2.2024)