Israels Premier Benjamin Netanjahu hat weiteren Verhandlungen über die Freilassung von Geiseln mit der Hamas vorerst eine Absage erteilt. Wie zahlreiche internationale Medien berichten, soll der Regierungschef die Reise einer Delegation in die ägyptische Hauptstadt Kairo blockieren. Dort wird über einen möglichen Deal für eine Waffenruhe in Gaza im Gegenzug für Freilassung von Geiseln verhandelt. Bis zu Beginn dieser Woche waren auch die Chefs des US- und des israelischen Auslandsgeheimdienstes CIA und Mossad dabei, was die Hoffnung auf ein Abkommen nährte.

Truppen im Krankenhaus

Die Hamas will im Gegenzug für eine Freilassung der Geiseln nicht nur eine hohe Zahl an Strafgefangenen und Administrativhäftlingen aus israelischen Gefängnissen freipressen, sondern auch einen dauerhaften Waffenstillstand – der ihr auch selbst als Organisation das Überleben ermöglichen würde. Das will Netanjahu nicht akzeptieren. Verhandelt werde erst wieder, wenn die Hamas annehmbarere Forderungen stelle, ließ er wissen.

Rauch über Rafah: Derzeit sind es noch vereinzelte Angriffe auf konkrete Ziele. Doch bald könnte die große Bodenoffensive Israels bevorstehen.
AFP/SAID KHATIB

In Abwesenheit eines Deals plant Israel laut Netanjahu weiter eine Offensive auf die Stadt Rafah, wo sich rund 1,5 Millionen aus anderen Teilen des Gazastreifens Geflüchtete aufhalten. Vorerst bleibt es bei kleineren Kommandoaktionen, auch in anderen Teilen von Gaza. So stürmten Spezialeinheiten der israelischen Armee am Donnerstag das Nasser-Krankenhaus in der Stadt Khan Younis, ebenfalls im Süden des Küstenstreifens. Man suche dort nach Leichen von Menschen, die beim Terrormassaker der Hamas in israelischen Städten und Orten am 7. Oktober 2023 verschleppt worden waren.

"Keine Terrorgruppe"

Für den Fall einer Offensive auf die Stadt Rafah warnen Hilfsorganisationen vor schwerwiegenden Folgen für die nun dort lebenden Menschen. Der UN-Nothilfekoordinator Martin Griffiths teilte in der Nacht via X (vormals Twitter) mit, er fürchte "ein Gemetzel an den Menschen in Gaza". Schon jetzt hätten diese Menschen "wenig zu essen, kaum Zugang zu medizinischer Versorgung" und keinen Ort, an dem sie sicher sein oder schlafen könnten. Philippe Lazzarini, Chef des UN-Palästinenserhilfswerks UNRWA fragte rhetorisch, wohin die Menschen aus Rafah noch flüchten sollten. Auf der einen Seite der Stadt sei die streng abgesperrte Grenze zu Ägypten, auf der anderen der Kriegsschauplatz des restlichen Gazastreifens. Berichte über angeblich geplante Zeltstädte für die Menschen kommentiere er vorerst nicht weiter.

UN chief: Gaza the 'worst humanitarian crisis' he's seen | Israel-Hamas
Sky News

Beide UN-Organisationen stehen aber auch in der Kritik. Die UNRWA hat Ende Jänner Teile ihrer Finanzierung verloren, nachdem Israel schwerwiegende Vorwürfe gegen einige ihrer Mitarbeiter erhoben hatte. Griffiths hingegen geriet für ein Interview bei Sky News in heftige Kritik, in dem er über die Möglichkeiten sprach, Bewegungen wie der Hamas die Unterstützung zu entziehen. Er habe in seiner Karriere oft mit Terror- und Widerstandsgruppen zu tun gehabt, sagte er, und es sei sehr schwierig, solchen Gruppen ohne eine politische Lösung der dahinterliegenden Probleme die Popularität zu nehmen. "Hamas ist keine Terrorgruppe, sondern eine politische Bewegung", fügte der UN-Beamte hinzu – womit er die Sicht der Uno wiedergab. Israels Außenminister Israel Katz teilte via X mit, Griffiths solle sich schämen.

Zugleich spitzt sich einmal mehr auch die Situation an der Grenze zwischen Israel und dem Libanon zu, von dessen Gebiet aus die von Iran unterstützte Schiitenmiliz Hisbollah operiert. Diese beschießt Israel seit Beginn des Krieges in Gaza regelmäßig mit Raketen, um so nach eigenen Aussagen israelische Militärkapazitäten außerhalb des Küstenstreifens zu binden. Israel hat deshalb Städte in dem Gebiet evakuieren müssen, die Gefahr einer größeren Eskalation ist weiter aufrecht. Nachdem am Mittwoch bei einem Hisbollah-Raketenangriff eine 20-jährige Soldatin auf einer Militärbasis in Safed, Nordisrael, getötet worden war, beschoss Israel am Mittwochabend nach eigenen Angaben Hisbollah-Stellungen im Libanon. Wie das Nabih-Berri-Krankenhaus in Nabatieh im Süden des Landes mitteilte, wurden dabei mindestens zehn Menschen getötet, darunter mehrere Kinder. Die Hisbollah kündigte dafür Vergeltung an. (Manuel Escher, 15.2.2024)