Paula Beer als Stella Goldschlag in
Sie verströmt den Glamour alter Stars: Paula Beer als Stella Goldschlag in "Stella. Ein Leben".
©Majestic/Christian Schulz

Die Schauspielerin Paula Beer wird gerne mit Romy Schneider verglichen. Mit Filmen wie "Das finstere Tal" wurde die 28-jährige Mainzerin vor zehn Jahren bekannt, durch die Arbeit mit Christian Petzold gewann sie Herzen und Preise. Nun spielt sie Stella Goldschlag, die berüchtigte jüdische Denunziantin im Berlin der 1940er-Jahre. Deren abgründiger Glamour wurde im Roman "Stella" von Takis Würger medienwirksam ausgeschlachtet, just während der Film "Stella. Ein Leben" in Arbeit war. Beer distanziert sich vom Roman und erklärt, was sie an dieser moralisch unscharfen Figur interessierte.

STANDARD: Takis Würgers Roman "Stella" wurde von Kontroversen begleitet. Hatten Sie da nicht Vorbehalte, die Rolle Stella Goldschlags anzunehmen?

Beer: Ich habe das Filmdrehbuch in etwa zu der Zeit bekommen, als der Roman erschien. Das Drehbuch geht allerdings komplett anders mit der Figur um. Es ist faktisch genau recherchiert und sehr nah an der historischen Abfolge. Natürlich ist der Film dramaturgisch gerafft, aber er zeigt keinerlei Fiktion. Dafür zeigt er eine neue Sicht auf Täter und Opfer und – wie ich finde – wie sehr Menschen im unmenschlichen System des Nationalsozialismus gefangen waren. Von so einer Figur zu erzählen empfinde ich als bereichernd.

STANDARD: Hat Sie die moralische Unschärfe der Figur interessiert?

Beer: Wenn ich eine Rolle annehme, steht für mich an allererster Stelle ihre Entwicklung. Die 17-jährige Stella möchte Sängerin werden, wird dann aber zu einer Frau, die sich bewusst dazu entscheidet, hunderte Menschen in den Tod zu treiben. Das Absurde am Schauspielen ist ja, dass genau solche Figuren spannend sind, weil sie eine Psyche haben, die man nicht jeden Tag in einem Drehbuch liest. Dann erst kommt die Ambivalenz. Denn anhand dieser Figur taucht man emotional in die Zeit der NS-Diktatur ein und erkennt vielleicht, dass man die Frage, wie man sich selbst in dieser Situation verhalten hätte, nicht so einfach beantworten kann.

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STANDARD: Im Film stellt sich Stella Goldschlag den Nazis aber zeitweise aktiv als "Greiferin" zur Verfügung.

Beer: In Stellas Logik habe ich das als einzige Möglichkeit gesehen, selbst zu überleben und ihre Eltern zu retten. Stella hatte insgesamt, wie ich glaube, eine sehr narzisstische und labile Persönlichkeit – bei solchen Menschen ist Anerkennung extrem wichtig. Weil sie Jüdin war, wurde ihr mit 19 all das geraubt, was sie ausgemacht hat: Sie war in Gruppen das bewunderte Zentrum, sie hat sich ihre Freiheiten genommen und mit Männern gespielt. Und ihre Wirkungsmacht hat sie sich auf einem anderen Terrain wiedergeholt.

STANDARD: Hatten sie etwa Verständnis für Goldschlag?

Beer: Man kann mit Stella mitfühlen, aber ihre Taten trotzdem grausam finden. Dieser Spagat ist spannend. Als Schauspielerin kann ich mich nicht über eine Figur stellen, sonst könnte ich sie nicht aufrichtig spielen. Als Ausführende musste ich Stella also emotional folgen, aber ich hatte auch extreme Widerstände gegen ihre Grausamkeit. So wird es vielleicht auch dem Publikum gehen.

STANDARD: Stella wird als Partygirl mit Starallüren gezeigt. Sie geht aus, singt in einer Jazzband und spielt oft die Verführerin.

Beer: Stella hat Lust am Spiel. Sie braucht die Aufmerksamkeit und ist sich darüber im Klaren, wie sie wirkt. Mit ihren aufgehellten blonden Haare und den blaue Augen war sie schon in der Schule der absolute Schwarm. Darin hat sie Macht gefunden, und sie wusste sehr genau, wie dieses Spiel funktioniert.

Stella ist Jazzsängerin mit Starpotential. Beer sang die Jazz-Nummern des Films übrigens selbst.
Stella ist Jazzsängerinmit Starpotenzial. Beer sang die Jazznummern des Films übrigens selbst.
©Majestic/Christian Schulz

STANDARD: Ihre jüdische Identität hat sie aber vehement abgelehnt.

Beer: In ihrer Familie hat das Judentum keine Rolle gespielt. Deshalb war das Jüdischsein etwas, was für sie ganz viel verhindert hat, was sie aber nicht gelebt hat oder war. Sie durfte nicht mehr auf die Straße gehen, musste die Schule wechseln usw. Das Jüdischsein hat an ihr gehaftet, aber sie hat sich damit nicht identifiziert. Ich glaube, das war auch ein Grund dafür, dass sie sich am Ende ganz klar als Antisemitin bekannt hat. Das zeigt auch die Kluft zwischen Fremdzuschreibung und Selbstwahrnehmung.

STANDARD: Jüngst wurden auch Schauspieler kritisiert, die als Nichtjuden jüdische Rollen spielten. Wie denken Sie darüber?

Beer: Ich finde es wichtig, dass im Schauspiel jeder Mensch jede Rolle spielen können sollte. Am Ende geht es in der Schauspielerei darum, dass man eine Figur versteht und diese wahrhaftig darstellen kann. Mir ging es darum, Stella so aufrichtig wie möglich zu spielen und ihren Konflikt für Zuschauende erfahrbar zu machen. Meine eigene Identität muss keine Schnittmenge mit der Identität meiner Figur haben. (Valerie Dirk, 18.2.2024)