Sturms Spieler vor der Nordtribüne.
Sturm darf auf weitere Europacup-Heimspiele hoffen.
APA/ERWIN SCHERIAU

Graz – Als klar bessere Mannschaft 4:1 gewonnen, Slovan Bratislava eindeutig die Grenzen aufgezeigt und keinerlei Sperren oder Verletzungen für das Rückspiel aufgerissen: Der erfahrene Fußballfan ist geneigt anzunehmen, dass Sturm mit mehr als nur einem Bein im Achtelfinale der Conference League steht.

Es müsste freilich mit dem Teufel zugehen, dass Sturm kommenden Donnerstag im Nationalstadion von Bratislava noch einmal ins Schwimmen kommt. Aber dieser Hundling ist bei Sturms Europacup-Auftritten nie weit; man denke an das Europa-League-Scheitern in Midtjylland, man denke an das verlorene Heimspiel gegen Rakow. Und da Hochmut ohnehin der Feind des Fußballtrainers ist, sprach Sturms Christian Ilzer die Pflichtwarnung aus: "Wir können sehr viel Selbstvertrauen aus dem Spiel nehmen, aber wir sollen uns nicht in Sicherheit wiegen." Da hatte er aber schon längst festgehalten, dass ihm die Mannschaft Freude gemacht habe ("Es war richtig gut, ihr heute zuzusehen"), und so ging es an diesem Donnerstagabend vielen Menschen in Graz.

Slovan bricht nach der Pause ein

In der ersten Halbzeit schien die Partie auf ein 4:3 der unterhaltsameren Sorte zuzusteuern. Beide Teams ließen ein offenes Spiel zu, Ilzer nannte es "spektakulär für den neutralen Zuschauer". Da Ilzer der Sturm-Fan mehr am Herzen liegt als der neutrale Zuschauer, justierte er in der Pause nach. In Halbzeit zwei dominierte Sturm die Partie nach Strich und Faden. "Wir haben in der ersten Halbzeit die Basis dazu gelegt. Unser Gegner hat Tribut zollen müssen. Sie haben es nicht mehr geschafft, so schnell und gut die Räume zu schließen, das war unserem Tempo in Halbzeit eins geschuldet", sagte Ilzer.

Dank Sturms Offensivlaune blieb die Partie schlussendlich für alle nicht mit Slovan-Fanartikeln ausgestatteten Zuschauer sehenswert. Sturm ließ Ball und Gegner laufen, zeigte Tempo und Flexibilität im Spiel nach vorne; es sah einfach gut aus. Im Herbst waren gerade Partien gegen Bundesliga-Mittelständler oft krampfige 2:1-Angelegenheiten gewesen, insbesondere mit Gegnern ohne nennenswerte spielerische Ambitionen tat sich Ilzers Elf schwer. In der Wintervorbereitung war das ein "Fokusthema", bestätigte der Trainer nach dem Match auf STANDARD-Nachfrage. "Wir wollen dorthin, wo man dem Gegner wehtun kann, das ist in der Abschlusszone. Wie wir dort Wege reinfinden, war Thema." Ilzer sei aber kein Fan davon, den Fokus nur darauf zu richten: "Dann geht es nur quer, quer, quer, und gegen den Ball wird man weich."

Davon konnte gegen Slovan keine Rede sein. Die Blackies drehten Slovans Edelzanglern jede Spielfreude ab und sammelten im Mittelfeld Ballgewinne wie Panini-Pickerln. Dass Otar Kiteishvili bei der Elferszene zum 3:1 Gedankenschnelle und Abgebrühtheit bewies, sollte wirklich niemanden mehr überraschen. Auch ohne derartige Einzelleistungen schien der Treffer aber nur eine Frage der Zeit.

Überzahl

In die Karten spielte Sturm danach die Rote für Vladimir Weiss. Der 34-Jährige, der vor langer Zeit für Manchester City und die Glasgow Rangers, von 2014 bis 2020 aber nur mehr in Katar kickte, war in der 78. Minute genau zehn Minuten auf dem Platz, als er Jusuf Gazibegovic rustikal ins Leben fuhr. Trainer Vladimir Weiss Sen. nahm seinen Sohnemann in Schutz, das fällt wohl in die Kategorie Vaterpflicht: Er hätte "Vlado" nicht einwechseln sollen, da dieser Schmerzen hatte. Mag sein, dass der Sohnemann ein Freund von Umverteilung ist und Gazibegovic an den Schmerzen teilhaben lassen wollte.

In Überzahl tat sich Sturm noch leichter und sah auch noch die Dringlichkeit, den Polster für das Rückspiel auf plus drei aufzublasen. "Die Spieler waren vom Kopf immer noch im Vorwärtsgang", freute sich Ilzer. Der eingewechselte Amady Camara sorgte in der Nachspielzeit dafür, dass das Ergebnis noch besser zum gefühlten Erlebten passte: ein kleines bisschen Machtdemonstration. Der erst im November von Sturms Amateuren hochgezogene 18-Jährige hat noch keine 90 Spielminuten für die Profimannschaft gekickt, nutzte nun aber den besonderen Rahmen für sein erstes Tor.

"Er spricht weder Deutsch noch Englisch, aber er ist super integriert in der Mannschaft. Die Jungs mögen ihn richtig", sagte Ilzer über den Burschen aus Malis Hauptstadt Bamako. Exempel A: In knapp fünf Minuten Medienverhör in der Mixed Zone lächelte Otar Kiteishvili genau zweimal. Als er nach den Fans gefragt wurde, gingen die Mundwinkel erstmals ein bisschen nach oben. Beim Namen Amady Camara kam dem ruhigen Georgier ein echter Grinser aus. "Er ist ein toller Typ, im Training ist er manchmal unglaublich." Camara müsse noch viel lernen, könne aber eine große Zukunft haben. "Er ist gut im eins gegen eins, hat Tempo, ist gut mit dem Ball und versteht Spielsituationen gut. Taktisch ist er noch nicht so gut, aber er lernt noch und wird immer besser", sagte Kiteishvili.

Neonazis unter Gästefans

Ganz ohne Nebengeräusche kam der Europacup-Abend nicht aus. Wie beim letzten Heimspiel gegen einen von erlebnisorientierten Fanidioten begleiteten Klub dürfte auch diesmal wieder eine Installateurfirma benötigt werden. Vergangene Saison tobten sich Feyenoords Anhänger innenarchitektonisch in den Sanitäranlagen aus, diesmal montierten Slovans Fans immerhin "nur" einen Heizkörper und einen Toilettensitz ab.

Nach Schlusspfiff steckten die Gäste auch noch ihre überdimensionierte Choreografie in Brand, vor allem außerhalb des Stadions stellten Teile der Anhängerschaft ihren Rechtsextremismus mit "Sieg Heil"-Rufen und Hakenkreuz-Sprayereien zur Schau. Offenbar waren auch rund 50 Wiener darunter, die angesichts einer Freundschaft der extremistischen Fangruppen wohl der Austria zuzurechnen sind.

Slovans Fans im Stadion.
Im Stadion hatten sich Slovans Fans einigermaßen im Griff.
APA/ERWIN SCHERIAU

Polizei-Einsatzkommandant Willibald Gutschi sprach angesichts des Befürchteten von einem "guten Einsatzverlauf", die Polizei verzeichnete je eine Anzeige nach dem Suchtmittel- und dem Waffengesetz sowie jeweils mehrere Anzeigen nach dem Verbotsgesetz, wegen Sachbeschädigung, Körperverletzung, Brandstiftung und Verwaltungsübertretungen. Die Ermittlungen laufen noch.

Zyniker könnten scherzen, dass die Stadt Graz Sturm bei der Stadionthematik wegen solcherlei Gästen gnadenlos im Regen stehen lässt: Wenn irgendwann gar kein Europacup-Spiel mehr in der Merkur-Arena stattfinden darf, müssen sich andere Städte mit derartigen Gästehorden herumschlagen, beispielsweise sportinfrastrukturell besser aufgestellte Metropolen wie Klagenfurt, Linz oder noch einmal Linz.

Schlager gegen Rapid

Die Grazer Exekutive bereitet sich indes bereits auf den nächsten Einsatz vor. Vor der Conference League kommt nämlich die Bundesliga, und die reist am Sonntag (17 Uhr) in Gestalt von Rapid Wien nach Liebenau. Sturm-Sportdirektor Andreas Schicker wünschte sich in den Katakomben der Merkur-Arena ein weiteres "Fokusspiel": "Sturm – Rapid ist immer etwas Spezielles. Da heißt es, am Punkt da zu sein." (Martin Schauhuber, 16.2.2024)