Auch in der Hofburg gibt es Stiegenhäuser, sie sind aber wohl edler als der Tatort eines am Landesgericht für Strafsachen Wien verhandelten Vorfalls.
APA / GEORG HOCHMUTH

Wien – Sehr gesprächig ist der 55-jährige Angeklagte vor Richter Lisa Hammer jetzt nicht. Der unbescholtene Arbeiter soll in der Nacht des 23. Dezember zu tief in ein sehr großes Glas geschaut haben, hatte er doch rund 2,6 Promille im Blut, als er heimkam. Also nicht in die eheliche Wohnung, er begleitete in der Nacht vor dem Heiligen Abend eine Bekannte zu deren Wohnstätte. Im Erdgeschoß war das Paar ungebührlich laut, ein Nachbar bat sie, leiser zu sein. Die Reaktion des Angeklagten: Er ging in die Wohnung seiner Bekannten ein Stockwerk darüber, holte ein Brotmesser und versuchte sein Gegenüber zu stechen. Aus Sicht der Staatsanwältin also eine versuchte schwere Körperverletzung.

Bei der Polizei hatte Herr S. noch versucht, den Vorfall herunterzuspielen, und gesagt, er wisse nicht, woher der Gegner die leichte Schnittverletzung an der Hand hatte. Vor Gericht bekennt er sich nun umfassend schuldig, gibt aber vor, nicht mehr recht viel zu wissen. "Wieso haben Sie das gemacht?", interessiert die Richterin. "Ned nochdocht, in dem Sinn", kann der Österreicher nur antworten. Warum der das Messer geholt habe? "Kurzschlussreaktion, keine Ahnung", gibt der Angeklagte nur knapp zu Protokoll. "Der Zeuge hat auch gesagt, Sie hätten zu ihm 'Du bist Ausländer, was willst du, ich bin Österreicher!' gesagt. Stimmt das?" S. kann es nicht ausschließen. Alkoholproblem habe er keines, versichert er auf die Frage der Staatsanwältin.

Nächtliche Ruhestörung

Verletzt wurde damals ein 49-jähriger indischer Staatsbürger. "Ich bin von der Arbeit nach Hause gekommen und wollte mir etwas zu essen machen", erinnert er sich. "Ich habe zwei Gläser Whisky getrunken und wollte gerade zu kochen beginnen, als es draußen sehr laut wurde. Ich hatte Angst, dass meine Frau und die Kinder aufwachen, habe die Tür geöffnet und gesagt, sie sollen ein bisschen leiser sein", lässt der Zeuge übersetzen. Daraufhin sei der Ausländersatz gefallen, den der Jüngere mit "Okay, ich bin Ausländer, aber befolge du bitte das Gesetz und gehe in deine Wohnung, wenn du schreien willst" quittierte.

S. habe dem Zeugen darauf gesagt, er solle warten, sei nach oben gegangen und habe das Messer geholt. "Als er herkam, hat er zwei Stichbewegungen in meine Richtung gemacht", schildert der bedrohte Nachbar. Er sei zurückgewichen, beim dritten Versuch habe er dann die Hand des Angreifers fixiert und ins Messer gegriffen, wodurch er sich leicht verletzte. "Er hat es aber nicht herausgezogen, sonst wäre die Verletzung schwerer", sagt der Zeuge. Dann habe er den Betrunkenen weggestoßen, worauf der zu Sturz kam. "Ich habe meiner Frau gesagt, sie soll die Polizei rufen, der Herr wollte dann weg, ich habe ihn auf dem Boden fixiert", beschreibt der Zeuge den weiteren Ablauf.

Entschuldigung beim Verletzten

Schmerzengeld will er keines, der Angeklagte bittet Richterin Hammer, sich entschuldigen zu dürfen. "Entschuldigung", sagt er zerknirscht zum Verletzten. Der Zeuge akzeptiert das, hat aber noch einen ergänzenden Rat: "Ich respektiere Österreich, ich habe sehr viele Nachbarn, die Österreicher sind. Und Sie sollten vielleicht auch Ausländer respektieren", sagt er zum 55-Jährigen.

Die Richterin sieht die Möglichkeit einer Diversion gegeben und erklärt dem Angeklagten sowie dem Publikum, darunter Fabiana Kamath, die beim STANDARD derzeit die berufspraktischen Tage für Schülerinnen absolviert, das Wesen dieser Maßnahme. Wenn S. 1.600 Euro zahlt, könne das Verfahren eingestellt werden, was für ihn den Vorteil hätte, dass er nicht vorbestraft sei.

Grundsätzlich ist der Angeklagte dazu bereit, allerdings verdiene er als Alleinverdiener nur 1.950 Euro netto. "Können Sie das auf einmal zahlen?", will Hammer also von ihm wissen. "Nein", bescheidet S. kurz angebunden. Erst im Juni komme das Urlaubsgeld, bis dahin könne er nur Ratenzahlung à 300 Euro anbieten. Da auch die Staatsanwältin keine Einwände hat, wird die Diversion beschlossen. "Dann schauen Sie, dass das in Zukunft nicht mehr passiert! Bisher haben Sie es ja auch geschafft", gibt ihm die Richterin noch mit auf den Weg. (Michael Möseneder, 17.2.2024)