In
In "Andrea lässt sich scheiden" spielt Josef Hader nur die Nebenrolle. Im Fokus steht Birgit Minichmayr als Landpolizistin, der das Schicksal übel mitspielt.
(c) Darryl Oswald/wega film

Sieben Jahre nach seiner Satire Wilde Maus bringt der Kabarettist und Schauspieler Josef Hader erneut einen Spielfilm von und mit ihm ins Kino. In Andrea lässt sich scheiden wird einer Provinzpolizistin (Birgit Minichmayr) vom Schicksal übel mitgespielt: Auf eine schwierige Trennung folgt ein Autounfall mit Fahrerflucht, der die hochgesteckten Karrierepläne gefährdet. Der schusselige Religionslehrer Franz (Josef Hader) wird zu Unrecht als Verursacher verdächtigt – ein Drama um Vertuschung, Schuld und Reue entspinnt sich. Der Film hat dieses Wochenende auf der Berlinale Premiere, STANDARD-Kinopremieren finden am 22. 2. in Wien und am 23. 2. in Salzburg statt.

STANDARD: "Andrea lässt sich scheiden" ist ein für Ihre Verhältnisse ungewöhnlich schwerer, trister Film geworden. War das intendiert, oder zeigt sich so etwas erst in der Umsetzung?

Hader: Na ja, trist für meine Verhältnisse. Das ist aber immer noch ganz lustig, finde ich. Die Herausforderung, der ich mich stellen wollte, war: Es sollte im Film am Anfang etwas ganz Tragisches passieren, und dann schaut man, welche Art von Komödie sich noch ausgeht.

STANDARD: Ist sich noch eine ausgegangen? Im Fall Ihres letzten Films "Wilde Maus" konnte man noch von Tragikomödie sprechen, das Komödiantische ist diesmal aber nur in Spurenelementen vorhanden.

Hader: Eigentlich habe ich versucht, den Begriff Tragikomödie einmal wirklich ernst zu nehmen. Bei den meisten sogenannten Tragikomödien ist nämlich die Tragödie nur in Spurenelementen vorhanden. Das Drama wird oft wie Dekoration verwendet, und das Publikum weiß ohnehin, dass alles gut ausgeht. Ich wollte einen Humor finden, der das Drama nicht wegnimmt.

STANDARD: Und Sie glauben nicht, dass Leute, die sich eine klassische Hader-Satire erwarten, überrascht oder enttäuscht sein könnten?

Hader: Das ist ja mein Kerngeschäft, dass ich möglichst interessant nicht die Erwartungen erfülle, die die Leute aufgrund des letzten Projekts haben. Seit es mich als Künstler gibt, bin ich ein Überraschungsei. Ich mache auch immer Kabarettprogramme, die ganz anders sind als das vorherige. In Testvorstellungen haben wir bemerkt, dass das Publikum sehrwohl lacht, aber es ist ein erstauntes Lachen. Sie wundern sich während des Lachens, dass man über so etwas lachen kann.

STANDARD: Gibt es beim Publikum auch eine unterschiedliche Stadt-Land-Wahrnehmung?

Hader: Leute, die vom Land stammen, freuen sich über die vielen kleinen Details, die sie wiedererkennen. Es gibt bei uns ja in erster Linie eher denunzierende Filme übers Land: Da ist einerseits Kitsch und Klischee wie beim Bergdoktor oder ein Arthouse-Kino, das auf das Land ein bisschen herabschaut, mit einem sozusagen kolonialen Blick, wie auf einen fremden Volksstamm.

STANDARD: Sie kennen das Genre Landkrimi gut. Ihr Film wirkt wie die realistischere Fassung davon. Die "Täterin" ist hier selbst Opfer äußerer Umstände. Ist es ein Antilandkrimi?

Hader: Das Genre Landkrimi war für mich überhaupt nicht relevant, bis auf eine Ausnahme: Die Frau mit einem Schuh von Michael Glawogger. Ich fand die Bilder großartig, so bin ich zu meinem Kameramann Carsten Thiele gekommen. Es geht in dem Film ja nicht um die Aufklärung eines Verbrechens, es geht um blöde Zufälle und um Schicksal.

STANDARD: Die Wahl des Drehorts fiel auf niederösterreichische Asphaltdörfer: flach, grau, sehr leise ...

Hader: ... bei "leise" muss ich widersprechen. Es gibt das aggressive Insektensummen der Wiesen am Vormittag oder die fast schon schmerzhaft lauten Grillen in der Nacht, die klingen wie die Zikaden in einem Italowestern. Und die Dörfer sind die Straßendörfer des Weinviertels, die für mich immer ein bisserl ausschauen wie Westernstädte. Das hat alles eine herbe Schönheit. Im Donautal oder im Grenzraum Nieder- und Oberösterreich, wo ich aufgewachsen bin, kann man sich vielleicht besser erholen, aber in einem Film schaut das viele Grün nicht so schön aus wie eine Landschaft mit viel Horizont und Himmel.

KinoCheck

STANDARD: Es fällt irgendwann der Satz: "Die Frauen ziang weg, und die Maunna wean immer komischer." Wollten Sie auch vom demografisch ausdünnenden Land erzählen?

Hader: Der Satz war ursprünglich gar nicht im Drehbuch, der war improvisiert, und jetzt macht er sich vielleicht ein wenig zu wichtig. Es gibt so Dinge bei einem Film, die schauen vielleicht ausgedacht aus, sind aber mehr während der Arbeit entstanden. Der Zwiebelkreisverkehr im Film zum Beispiel war eher als kleiner Witz gedacht, inzwischen halten ihn manche sogar für eine Metapher. Mich stört das nicht, alle dürfen interpretieren, wie sie möchten. Dass in wirtschaftlich abgehängten Gegenden Frauen wegziehen und Männer zurückbleiben, stimmt aber sicher, von Brandenburg übers Weinviertel bis Nebraska, das ist keine Neuigkeit.

STANDARD: In vielen Ländern zeigt sich aber generell ein wachsender Gender-Gap: Junge Frauen wählen häufiger linksliberal, ziehen zum Studium in die Stadt und kommen selten zurück, Männer tendieren zum Gegenteil und radikalisieren sich nach rechts.

Hader: Ich glaube, dass dieser Stadt-Land-Gegensatz teilweise auch etwas konstruiert ist. Natürlich ist der Liberalismus historisch mit der Stadt verknüpft, es gibt nicht umsonst seit dem Mittelalter den Satz "Stadtluft macht frei"; aber derzeit wird das etwas übertrieben. So als würden sich bewaffnete Milizen aus Stadt und Land gegenüberstehen und bald losschlagen. Es gibt ja auch Leute aus Stadt und Land, die dieselben Ansichten und Interessen haben. Stadt – Land, Ausländer – Inländer, das sind ein bisschen Nebelgranaten, weil der wahre Interessengegensatz ist eigentlich der zwischen armen und reichen Leuten.

STANDARD: Ihr Film zeigt mehrere Männerfiguren, die unfähig sind, Trennungen zu verarbeiten. Einem davon hilft eine Therapie: Ihr Plädoyer für mehr Männergesundheit?

Hader: In der Kunst geht es mir nicht um Lösungsvorschläge. Ich wollte einfach Männerfiguren zeigen, die nicht das Klischee von Stärke bedienen. Wenn ich ein Drehbuch schreibe, dann denke ich überhaupt nicht an Meta-Themen, sondern ganz banal an eine gute Geschichte. Bei Wilde Maus wollte ich das städtische Bobomilieu bespiegeln, jetzt geht’s um die Menschen auf dem Land.

STANDARD: Der Film ist also auch kein Anti-Autofahrer-Film, als den ihn sicherlich viele sehen werden?

Hader: Nein, leider steckt schon wieder keine These dahinter. Mir geht’s um den blöden Zufall, der uns seit der griechischen Tragödie in vielen Dramen begegnet. Ständig kommt irgendjemand zu spät oder zu früh – mit fatalen Folgen. Menschen geraten in Streit wegen einer Nichtigkeit, erschlagen sich, es kommt raus, es sind Vater und Sohn. Oder ein Mann bringt sich um, weil die Frau tot ist, sie hat aber nur geschlafen und bringt sich jetzt auch um, weil der Mann tot ist. Das spiegelt eben unseren Erfahrungsschatz wider. Weil wir mehr Schicksalsschläge durch blöde Zufälle erleiden als durch die Taten von Bösewichten. Und auf dem Land passiert sowas eben oft mit einem Auto.

STANDARD: Ein bisschen zieht sich das Thema Auto, und wie man es auch nicht unter Kontrolle haben kann, durch ihre Filme, siehe "Indien" oder "Wilde Maus". Sie haben erst spät den Führerschein gemacht. Verarbeiten Sie ein Trauma?

Hader: Als Kind vom Land lernt man das Autofahren in meiner Generation ja zunächst ohne Schein irgendwo auf einem Güterweg, wo die Polizei nicht hinkommt. Das war also nicht das Problem. Was mir vor dem Führerschein Angst gemacht hat, war der Stadtverkehr. Und mittlerweile nehme ich lieber den Zug, ich kann so gut arbeiten im Speisewagen, wie in einem rollenden Kaffeehaus. (Stefan Weiss, 17.2.2024)