Ekrem Tütüncü wollte uns im neuen Kent-Restaurant in Favoriten begrüßen, musste aber spontan in sein Lokal L'Opera im ersten Bezirk. Weil es dort zu laut ist, gehen wir weiter ins A'Frisella nahe der Kärntner Straße. Während des Gesprächs klingelt alle drei Minuten sein Handy. Tütüncü managt eine Restaurantgruppe mit rund 250 Mitarbeitern – eigentlich würde er aber gern wieder am Grill stehen.

STANDARD: Die wichtigste Frage zuerst: Döner oder Dürüm?

Tütüncü: Döner.

STANDARD: Huhn oder Kalb?

Tütüncü: Kalb.

STANDARD: Mit allem?

Tütüncü: Ohne Sauce. Echter Kebab braucht keinen Schnickschnack.

STANDARD: Scharf aber schon?

Tütüncü: Ja, scharf schon.

STANDARD: Mit der türkischen Küche assoziiert man hauptsächlich Döner Kebab. Stört Sie das eigentlich?

Tütüncü: Nein, das stört mich nicht. Der Döner ist und bleibt unsere Spezialität, obwohl wir natürlich ein sehr großes Angebot haben.

Ekrem Tütüncü in einem seiner Restaurants.
Tütüncü stieg früh in den elterlichen Betrieb ein. Seither ist die Restaurantgruppe stark gewachsen.
© Christian Fischer

STANDARD: Mittlerweile betreiben Sie unter anderem fünf Kent-Restaurants, ein Catering, zwei Italiener, das Franchise Dönermeister und ein Hotel. Begonnen hat alles mit einem kleinen Lokal am Brunnenmarkt.

Tütüncü: Mein Onkel hat das Lokal im Jahr 1990 gegründet. Später hat mein Vater in der Märzstraße eröffnet. Mein Bruder und ich sind mit 14 eingestiegen und haben das Unternehmen gemeinsam Schritt für Schritt erweitert.

STANDARD: Ihr Onkel kam in den 1970er-Jahren nach Wien und arbeitete in der Fernseherproduktion von Grundig. Nach einem Werksbesuch von Bürgermeister Helmut Zilk soll er innerhalb von drei Wochen Staatsbürgerschaft und Gemeindewohnung bekommen haben. Eine Legende?

Tütüncü: Er hat uns viel aus dieser Zeit erzählt, hütet aber sicher seine Geheimnisse (lacht). Leider ist mein Onkel 2020 verstorben, im vergangenen Jahr auch mein Vater. Die beiden haben hart gearbeitet und sind unsere Vorbilder. Im Unternehmen helfen alle der Familie mit, Schwager, Geschwister, Cousins.

STANDARD: Die Restaurants gehören unterschiedlichen Teilen der Familie. Gibt es eine einheitliche Leitung?

Tütüncü: Ein paar Lokale hat mein Bruder, ein paar ich. Cousin und Neffe sind auch dabei.

STANDARD: Da reden dann aber viele mit, oder?

Tütüncü: Die Entscheidungen treffen ich und mein Bruder Temel. Ich kümmere mich um den Gastrobereich, mein Bruder treibt die Immobilienentwicklung voran, für Kent, aber auch für Geschäftspartner.

STANDARD: Zwei Ihrer neueren Projekte sind das L'Opera und das A'Frisella im ersten Bezirk. War es ein Ziel für Sie, in die Innenstadt zu kommen?

Tütüncü: Auf jeden Fall. Das ist das Ziel jedes Gastronomen, der mit einem kleinen Kebabladen begonnen hat. Zuerst ein Restaurant, dann ein Hotel und Franchise. Ich glaube, wir sind auf einem guten Weg.

STANDARD: Sie wollen also noch größer werden?

Tütüncü: Nicht unbedingt, mittlerweile ist es für einen Familienbetrieb schon zu viel. Wir sind gerade dabei, uns besser zu strukturieren, etwa im Backoffice. Wir arbeiten außerdem an einer zentralen Produktion, die alle Restaurants beliefert.

Ein Kellner im Domenig-Haus.
Seit knapp zwei Jahren betreibt Kent ein Restaurant im bekannten Domenig-Haus in Favoriten. Dort ist "keine Wand gerade", sagt Tütüncü.
© Christian Fischer

STANDARD: Neu sind auch das Restaurant und das Hotel im Domenig-Haus in Favoriten, das Sie einmal als das "schiachste Haus in Favoriten" bezeichnet haben. Warum wollten Sie es trotzdem zum Hotel machen?

Tütüncü: Das war natürlich nicht so gemeint (lacht).Aber wenn ich das so sage, wissen die Leute sofort, um welches Haus es geht. Das Domenig ist ein schönes Haus und außergewöhnlich. Man hat keine einzige gerade Wand. Alles ist schief.

STANDARD: Das Gebäude ist denkmalgeschützt. Wie lief da die Zusammenarbeit mit der Stadt Wien?

Tütüncü: Wir mussten vieles beachten. Am Anfang hatten wir etwas anderes vor, wir durften bestimmte Farben nicht verwenden, den Lift und die Lüftungsrohre nicht austauschen. Mit dem Endergebnis bin ich jetzt aber sehr zufrieden.

STANDARD: Für neue Lokale muss man auch Arbeitskräfte finden. Da klagen derzeit viele Gastronomen.

Tütüncü: Vor drei bis vier Monaten war es extrem. Wir haben schon überlegt, Lokale zuzusperren, weil wir keine Mitarbeiter finden konnten. Viele haben während der Pandemie aufgehört. Mittlerweile ist es wieder ein bisschen besser.

STANDARD: Hilft Ihnen da vielleicht auch, dass Sie in der türkischen Community gut vernetzt sind?

Tütüncü: Damit haben wir natürlich einen Vorteil, und mittlerweile hilft uns auch unsere bekannte Marke. Viele Interessenten kommen direkt zu uns. Es ist trotzdem schwierig. Manche Imbisse, die weniger Mitarbeiter brauchen, können besser bezahlen als wir.

STANDARD: Sie haben einmal für Schlagzeilen gesorgt, weil in einem Ihrer Restaurants ein Pro-Erdoğan-Event stattgefunden hat. War das rein geschäftlich, oder hat das einen politischen Hintergrund?

Tütüncü: Ich habe damals gewusst, dass es eine größere Reservierung gibt, aber nicht, wer auf der Veranstaltung spricht. Wir machen regelmäßig große Events. Angefangen beim Fastenbrechen bis hin zu koscheren Hochzeiten. Uns ist egal, wer kommt, ob es jemand von der FPÖ oder von der SPÖ ist.

STANDARD: FPÖ-Events würden Sie auch beliefern?

Tütüncü: Das haben wir sogar schon gemacht. Vor kurzem haben wir auch das Essen bei einer Veranstaltung des Woman-Magazins organisiert. Es ist schade, dass man uns wegen Caterings bestimmten Lagern zuordnet oder für Erdoğan-Fans hält. Jeder ist bei uns willkommen. Wir sagen nicht einmal, zu welchem Fußballverein wir helfen. Wir wollen neutral sein.

Ekrem Tütüncü in einem seiner Restaurants.
Künftig will der Gastronom das Familienunternehmen besser strukturieren und die Produktion zentralisieren.
© Christian Fischer

STANDARD: Sind Sie regelmäßig in der Türkei?

Tütüncü: Ich fahre immer im Sommer eine Woche mit unseren Kindern nach Trabzon, damit sie unsere Herkunftsstadt kennenlernen. Ich liebe es, dort zu sein, aber ich bin in Österreich aufgewachsen und könnte nicht in der Türkei leben.

STANDARD: Wir jammern in Österreich über die hohe Inflation, in der Türkei ist sie noch viel höher.

Tütüncü: Wenn ich nur daran denke, wird mir übel. Ich habe mich immer gewundert, wie die Gastronomen in der Türkei das schaffen. In Österreich haben wir vergangenes Jahr zum ersten Mal selbst erlebt, was eine hohe Inflation bedeutet. Wir hatten keine fixen Preise mehr, mussten die Speisekarte dreimal ändern. Das ist nicht einfach, weder für uns Gastronomen noch für die Gäste.

STANDARD: Hat sich das Konsumverhalten der Gäste geändert? Gehen sie wieder mehr zu den Dönerständen?

Tütüncü: Ja, auf alle Fälle. Streetfood ist in den letzten Jahren extrem beliebt geworden.

STANDARD: An manchen Orten in Wien hat man bis zuletzt Döner um zwei oder drei Euro bekommen. Viele Standler klagen über den hohen Preisdruck. Bekommen Sie das auch mit?

Tütüncü: Wir haben uns an diesem Preiskampf nie beteiligt. Wir hatten immer unsere eigenen Preise und unsere eigene Qualität. Aber ich habe das natürlich mitbekommen. Ich weiß nicht, wie diese Preise machbar waren. Ich weiß auch nicht, was da im Döner drin ist, ob Wasser oder Knochen dabei sind.

STANDARD: Kann man bei solchen Preisen bedenkenlos Kebab essen?

Tütüncü: Ja, ich gehe auch ab und zu zu solchen Ständen. Es gibt natürlich Richtlinien und Kontrollen.

STANDARD: Gegen die Lebensmittelpolizei und die Finanzpolizei gibt es manchmal den Vorwurf, sie würden bei Dönerständen gezielt und besonders genau hinsehen. Haben Sie auch diesen Eindruck?

Tütüncü: Die gehen sicher auch zu anderen. Dass sie absichtlich vor allem Dönerstände ins Visier nehmen, glaube ich nicht. Aber es gibt sicher einige Stände, die mit dem Fleisch unhygienisch arbeiten.

STANDARD: Apropos Fleisch, immer mehr Menschen essen vegan oder vegetarisch. Steigt bei Ihnen die Nachfrage danach? Mussten Sie die Karte verändern?

Tütüncü: Wir hatten Glück, weil wir unbewusst schon immer viele vegetarische Gerichte auf der Karte hatten. Unsere Vorspeisen sind alle vegetarisch. Bei veganen Gerichten ist es ein bisschen schwieriger, dazu kommt jetzt Bio. Die Karte wird ständig bearbeitet.

STANDARD: Beim Dönermeister bieten Sie auch Fleischersatz aus Seitan an. Geht das gut?

Tütüncü: Wir sind zufrieden, aber es ist sicher nicht das Hauptprodukt.

STANDARD: Schmeckt Ihnen das, oder bleiben Sie beim Kalb?

Tütüncü: (lacht) Ich bleibe beim Kalb. (Jakob Pflügl, 18.2.2024)