Am Ende ging es plötzlich um zwei russische Geschäftsleute, ein Vorstellungsgespräch in Amsterdam und Schriftsätze, die der Anwalt von Sebastian Kurz in Georgien formuliert hat: Der Prozess gegen den türkisen Ex-Kanzler hat einige groteske Wendungen genommen.

Kommenden Freitag wird ein Urteil in der Sache erwartet. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Frei- oder Schuldspruch rechtskräftig wird, tendiert gegen null, weil zumindest eine der beiden Seiten berufen wird. Doch politisch hat die Entscheidung, die Richter Michael Radasztics zu treffen hat, eine große Symbolkraft.

Kurz sieht sich verfolgt

Kurz sieht sich ja nicht nur von seinen zahlreichen politischen Opponenten, sondern auch von der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) verfolgt, der sein Team auch einige Fehler in der Anklageschrift attestierte. Den Kernvorwurf, er habe im U-Ausschuss falsch ausgesagt, bestritt der ehemalige ÖVP-Chef vehement. Ihm seien Worte im Mund umgedreht worden, er habe korrekt über seine Rolle rund um Personalentscheidungen bei der Staatsholding Öbag ausgesagt, wiederholte er vor Gericht. Auch sein mitangeklagter früherer Kabinettschef Bernhard Bonelli blieb bei dieser Linie.

Kurz
Sebastian Kurz im Straflandesgericht Wien
Heribert Corn

Beide betonten allerdings, wie feindselig und stressig die Stimmung gewesen sei, als sie im Juni 2020 im Ibiza-U-Ausschuss befragt wurden. Sie hätten Angst gehabt, von der Opposition angezeigt zu werden – wie es letztlich ja auch passierte –, und deshalb versucht, immer wieder auf die formellen Vorgänge zu verweisen. Die da waren: Finanzminister Hartwig Löger (ÖVP) hatte die Letztentscheidung, wer Aufsichtsrat bei der Öbag wird. Und dieser Aufsichtsrat war es dann, der den Spitzen-Finanzbeamten und damaligen Kurz-Vertrauten Thomas Schmid zum Alleinvorstand der Öbag machte.

Glatz-Kremsner schied aus

Die WKStA sieht das ganz anders. Kurz und Bonelli, sprich das Kanzleramt, hätten bei der Auswahl der Öbag-Aufsichtsratsmitglieder faktisch mitentschieden. Kurz habe gewusst und unterstützt, dass Schmid Öbag-Chef wird, weil er an diesem Posten einen Verbündeten habe wissen wollen. Beides wäre per se nicht strafbar – doch Kurz hätte das den Abgeordneten im U-Ausschuss offenbaren müssen.

Keine leichte Aufgabe also für Richter Radasztics. Schon am ersten Prozesstag setzte es eine überraschende Wendung: Die mitangeklagte frühere Casinos-Managerin und ÖVP-Vizeobfrau Bettina Glatz-Kremsner gestand Fehler rund um ihre Aussagen im U-Ausschuss ein, woraufhin der Richter eine Diversion genehmigte. Das Verfahren gegen Glatz-Kremsner wurde daraufhin ausgeschieden, sie musste nicht mehr zum Prozess erscheinen.

Die Frage nach Wolf

Anders Kurz und Bonelli, die insgesamt elf Tage im Großen Schwurgerichtssaal des Straflandesgerichts verbrachten – und dort viele ehemalige Weggefährten wiedersahen. Befragt wurden unter anderem der frühere FPÖ-Regierungsverhandler Arnold Schiefer, die Ex-Finanzminister Löger und Gernot Blümel sowie Aufsichtsräte der Öbag.

Der Erkenntnisgewinn ihrer Befragungen war gering. Fast alle Personen aus dem Orbit von Kurz und Öbag gaben an, dass sich der Kanzler nicht recht eingemischt habe und dass es Löger gewesen sei, der Aufsichtsratsmitglieder ausgewählt habe. Diskrepanzen gab es lediglich rund um die Rolle des Unternehmers Siegfried Wolf, den sich Kurz als Öbag-Aufsichtsratschef gewünscht hatte. Dass Wolf es nicht wurde, sieht Kurz als Beleg für seinen mangelnden Einfluss. Aus den Befragungen war jedoch erkennbar, dass Wolf wegen seiner Verbindungen nach Russland keine Option für den Posten war.

Deutlich widersprochen hat Kurz’ Darstellung hingegen Thomas Schmid, der selbst Beschuldigter in zahlreichen Verfahren ist. Zunächst wehrte er sich als Öbag-Chef noch gegen die vielen Vorwürfe; vergangenes Jahr kam dann die Wende: Schmid wechselte den Anwalt und strebte den Kronzeugenstatus an.

Schützenhilfe aus Moskau

Vor Gericht belastete er Kurz und Bonelli schwer. Wichtige Personalentscheidungen seien von Kurz und dessen Team abgenommen worden. Und: Der Ex-Kanzler habe ihm schon lange signalisiert, dass er Schmid an der Spitze der Öbag sehen wolle.

Schmid sagte so ausgiebig aus, dass seine Befragung zwei Verhandlungstermine in Anspruch nahm.

Ein großes Problem für Kurz also, das mit einem Frontalangriff auf Schmid gelöst werden sollte – und hier wird es bizarr. Schon bei der Befragung Schmids präsentierte Otto Dietrich, Anwalt von Kurz, Schriftstücke, die Schmids Glaubwürdigkeit unterminieren sollten. Darin gaben zwei russisch-georgische Geschäftsleute an, sie hätten Schmid im Sommer 2023 für ein Ölprojekt in Georgien gewinnen wollen und mit ihm ein Vorstellungsgespräch in Amsterdam geführt. Dabei habe Schmid ihnen quasi erzählt, er verspüre Druck durch die WKStA und sage Dinge aus, die er so nicht in Erinnerung habe.

Ende Jänner wurde einer der Geschäftsmänner dann per Videoschaltung befragt; der andere sagte spontan ab. Dass Schmid gesagt habe, dass er lüge, wollte der Mann dann nicht bestätigen. Dafür gab er an, dass Kurz-Anwalt Dietrich die Schriftsätze verfasst habe.

Nun soll noch einmal Schmid befragt werden – und dann muss Richter Radasztics ein Urteil fällen. (Fabian Schmid, 17.2.2024)