Pardon, das rechte Bild von Noriaki Kasai ist nicht ganz aktuell, sondern von 2023. Und Verzeihung, das linke ist von 1989, da sprang der Japaner seine zweite Saison. Kasai, geboren am 6. Juni 1972, war 1992 Skiflug-Weltmeister, holte 17 Einzelsiege im Weltcup, elf Medaillen bei Großevents. Doch das Gold von 1992 blieb das einzige.
DER STANDARD

Gründungsjahr: Zwei emotionale Karrieren haben begonnen

Die erste Ausgabe des STANDARD ist bekanntlich am 19. Oktober 1988 erschienen. Im Gegensatz zu Noriaki Kasai war ich Gründungsmitglied. Generell hat dieser Tag in Japan nicht gerade für Furore gesorgt, aber ich bin ja kein Japaner, insofern war das durchaus emotional. Es ist eine Mär, dass Herausgeber Oscar Bronner diesen Termin gewählt hat, um über das Weltcupdebüt des damals 16-jährigen Skispringers Kasai am 17. Dezember in Sapporo berichten zu können. Es gab ja anfangs gar keine Sportseite, sondern nur beliebig ausgewählte Sportmeldungen. Das nicht nur in Japan zu vernachlässigende Ressort hieß "Vermischtes", war eine Art globaler Mistkübel.

Es ist eine schamlose Übertreibung, dass Der STANDARD die Karriere von Kasai geprägt hat. Wobei der Umkehrschluss zulässig ist. Aber es gab zumindest eine nachhaltige Begegnung. Neujahrsspringen 1993 in Garmisch, Kasai gewann es. Die Pressekonferenz geriet zum Spektakel, die Tourneeveranstalter hatten keinen Dolmetscher organisiert. Also saß Kasai auf dem Podium und schwieg runter in die Schar. Er schwieg lächelnd. Es war die Geburtsstunde der Lügenpresse, den Satz "Ich freue mich" hat Kasai nie gesagt. Der Kontakt riss dann ab. Ich gehe 2025 in Pension. Mein Weggefährte schweigt, lächelt und springt. Christian Hackl (63)

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Sportgenie: Der Cuptitel von Krems oder doch lieber D'Artagnan

Jetzt oder nie! Es wird Zeit, so richtig auf die Pauke zu hauen, alle Welt, also die werte Leserschaft, wissen zu lassen, dass sich hier niemand Geringeres als ein Sportgenie erinnert: Während andere mit vier Jahren blöd vor D’Artagnan oder dem Pumuckl saßenoder, noch blöder, im Hof Ball spielen waren, saß ich pausenlos vor dem TV-Sportprogramm oder las meinen Eltern aus dem Sportteil aller Zeitungen vor. Es fühlt sich an, als ob es heute Vormittag gewesen wäre.
Wer hat 1988 den ÖFB-Cup gewonnen? Krems, eh klar, die Einwechselspieler im Viertelfinale gefällig?
Formel-1-Weltmeister? Frag mich lieber nach allen Fahrern und ihren Rundenzeiten im GP von Mexiko.
Wow, cool, Tennis auch? Klar, ich weiß, wie viele Asse Steffi Graf mit dem zweiten Aufschlag in Wimbledon geschlagen hat. Bring it!

Goethe, auch kein intellektuelles Nackerpatzerl, soll einmal gesagt haben: "Das Erste und Letzte, was vom Genie gefordert wird, ist Wahrheitsliebe." Also noch einmal zurück zum Anfang: Mit vier Jahren saß ich vor allem blöd vor D’Artagnan oder dem Pumuckl oder war im Garten Ball spielen. Ich konnte meinen Namen noch nicht schreiben, freute mich mehr über Spaghetti zu Mittag und über ein trockenes Bett in der Früh als über Anita Wachters Kombi-Gold in Calgary. Sport war vor allem eines: unendlich nervig, weil er die Glotze belegte. Andreas Hagenauer (39)

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Maturareise: Fast könnte man über Bowie und den O-Kurti schwelgen

Schade ist, dass sich der Kasai mit seinem Weltcupdebüt so lange Zeit gelassen hat. Wäre er ein Jahr früher dran gewesen, hätte ich in Erinnerungen über das grandiose David-Bowie-Konzert im Praterstadion schwelgen können. Was bin ich da sozusagen im Stand gesprungen! Dank Ehrenrunde geht sich 1988 immerhin als mein Maturajahr aus. Maturareisen für die dann auch breite Masse gab es de facto noch nicht, wir mussten uns tatsächlich selbst etwas organisieren, haben dann halt eine verregnete Woche am Campingplatz in Faak/See verbracht.

Dorthin nicht, aber sonst oft lenkte ich als junger Besitzer eines schönen rosa Führerscheins – den Deckel hab ich heute noch – den Ford-Escort-Kombi der Eltern durch die Gegend. Sportjournalismus war ein vager Gedanke, das Interesse aber schon gegeben. 1988 brachte ja als vorletztes völlig irres Sportjahr gleich drei Großevents, Olympische Winter- wie Sommerspiele und dazu noch eine Fußball-EM.

Nicht dass es 1988 im Prater keine Konzerte gegeben hätte. Doch auf Michael Jackson und Pink Floyd hab ich verzichtet. Lieber war mir der Kurti in diversen Schutzhäusern. Das "Heimspiel" auf dem Ostbahn-XI-Platz stieg ja erst 1991. Auch darüber ließe sich schwelgen – hätte sich der Kasai nur noch drei Jahre länger Zeit gelassen. Fritz Neumann (54)

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Noch nicht in Planung: Kasai überspringt mehr als ein ganzes Leben

Ich fühle mich, so viel Persönliches sei erlaubt, wirklich nicht mehr besonders jung. Drei Jahrzehnte Leben sind auch nicht wenig. Dass Noriaki Kasai bei meiner Geburt schon fünf Jahre im Weltcup gesprungen ist, ist schlicht unpackbar. Andere hauen schon bei weniger einnehmenden Berufen nach ein paar Jahren den Hut drauf, dieser Kerl hält sich physisch und psychisch seit einer Ewigkeit auf Topniveau. Hätten Sie gewusst, dass bis 1994 auf dem Paradiskullen von Örnsköldsvik Ski-Weltcup gesprungen wurde? Kasai weiß es, er war dabei.

Spooky wird es, wenn man sich die Liste der Sportler anschaut, die seit 1988 die Welt bereichern. Robert Lewandowski, Mats Hummels, Luka Karabatic – nichts für ungut, aber diese Herren nennen wir schon seit vielen Jahren "Routiniers", was offizieller Sportjournalistensprech für "ziemlich alt" ist. Kevin Großkreutz! Der Mann ist vergangenes Wochenende im Karrierestadium "RTL American Ice Football" angekommen!

Als Kasai begann, war die Welt eine andere. Seine Konkurrenz kam aus Jugoslawien, Westdeutschland und der Sowjetunion. Salvador Dalí oder Kaiser Hirohito, immerhin seit 1926 Japans Regent, hätten live zuschauen können. Nur ich musste mich noch fünf Jahre gedulden. Martin Schauhuber (30) (16.2.2024)