Der Gemeindebau (Symbolbild) ist eine Errungenschaft des Roten Wien, die mitunter dünnen Wände können aber zu Reibereien zwischen den Parteien führen.
Heribert Corn

Wien – Wie auch jüngere Menschen dank Wolfgang Ambros und Josef "Joesi" Prokopetz wissen, waren Hausmeisterinnen einst Respektspersonen, die durch wenige Sätze auch einen Lynchmob schmähstad machen konnten. So wie Schaffner gibt es heutzutage kaum mehr Hausmeister, sie heißen mittlerweile Hausbetreuer und haben nicht mehr ganz die Contenance früherer Zeiten, wie das Gerichtsverfahren gegen Herrn B. zeigt.

Der Unbescholtene muss sich wegen gefährlicher Drohung und versuchter Körperverletzung vor Richter Mathias Funk verantworten. Der Tatort am 7. April des Vorjahres: der Gemeindebau, für den er als Hausbetreuer ebenso zuständig ist. Genauer: der Eingangsbereich zur Wohnung seiner 56-jährigen Nachbarin. Der Bosnier soll damals den Freund der Frau verbal bedroht haben, wirft ihm Staatsanwältin Bettina Sommer vor, außerdem sei auch ein versuchter Fußtritt vom Opfer gefilmt worden.

"Ich kann mich nicht schuldig bekennen, da ich nicht weiß, was passiert ist. Ich war alkoholisiert", bedauert der ohne Verteidiger erschienene Angeklagte. Zehn Bier und 20 Spritzer will er an diesem Freitag davor getrunken haben, ehe er gegen Mitternacht nach Hause kam. "Ist das ein normaler Tag für Sie?", wundert Funk sich. "Nein, nur am Wochenende", versichert B. eilig. "Jedes Wochenende?", fasst der Richter nach. "Nein, nicht so viel normal."

Unbekannter "dunkler Mann"

Schließlich fasst der zum vierten Mal vor Gericht sitzende Mann – 2014 und 2018 endeten Verfahren mit einer Diversion, einmal mit einem Freispruch – seine vorhandenen Erinnerungen zusammen. Er sei aus dem Lift ausgestiegen, ein paar Stufen hinaufgestiegen und sei plötzlich einem ihm unbekannten "dunklen Mann" gegenübergestanden, lässt er übersetzen. Er habe gefragt, was der Fremde hier mache, ist B. überzeugt, dann habe seine Nachbarin die Tür geöffnet und ihn mit ihrem Mobiltelefon zu filmen begonnen. "Ich habe gefragt, warum sie filmt!", behauptet der Angeklagte, schlussendlich habe er der Nachbarin ihr Handy weggenommen und zu Boden geworfen.

"Wie ist Ihr Verhältnis zur Nachbarin? Gab es da öfter Streit?", interessiert den Richter, der daraufhin den Hintergrund aus Sicht des Angeklagten hört. "Ich muss jeden Tag um 4.30 Uhr aufstehen und um 5.30 Uhr zu arbeiten beginnen", verrät dieser. Seine Nachtruhe werde aber gestört, denn: "Dort in der Wohnung passieren einige Dinge. Sie beginnen zwischen eins und zwei Uhr in der Früh das Bett zu verschieben!", übersetzt die Dolmetscherin. Funk kann mit dem Begriff nichts anfangen und will Details wissen. "Es ist mir peinlich ...", weicht B. daraufhin aus. "Peinlich – wir sind hier beim Strafgericht", entgegnet der junge Richter abgebrüht. Derart ermuntert, nimmt sich der Angeklagte kein Blatt vor den Mund: "Sie haben Sex, sie schreit, es ist sehr laut!", beschwert B. sich.

Das Handyvideo, das daraufhin vorgespielt wird, zeigt die Situation etwas anders. Man sieht den offensichtlich sturzbetrunkenen Angeklagten, der schwankend vor der geöffneten Tür der Nachbarswohnung steht und Schimpftiraden und Drohungen loslässt. "Bist tot! Ich Russland! Rossija!", grölt er beispielsweise wahrheitswidrig, oder auch: "Arschloch bist du! Ich fick dir!", während der Angesprochene ganz ruhig und sachlich fragt, was eigentlich los sei, und ihn auffordert, einfach nach Hause zu gehen.

Rauer Umgangston im Bau

B. kommt der Aufforderung nicht nach, sondern versucht in Richtung des Gegenübers zu treten, verliert aber einbeinig sofort das Gleichgewicht, ehe er schließlich das Handy wegnimmt. "Ist das immer so?", interessiert der Richter sich für den nachbarschaftlichen Umgangston unter den Hausparteien. "Vielleicht an diesem Tag. Sonst red ich ganz normal", versichert der Angeklagte. Und hält fest: "Ich habe zur Nachbarin nichts gesagt, nur zu dem Mann, den ich nicht kannte."

Der Bedrohte ist nicht mehr auffindbar, dafür kann die Nachbarin ihre Eindrücke als Zeugin wiedergeben. Sie bittet darum, in Abwesenheit des Angeklagten einvernommen zu werden, da sie noch immer Angst vor ihm habe. "Mein Ex war auch gewalttätig, es ist ein ähnlicher Typ", begründet die Ungarin. Ihre Version klingt gänzlich anders: Sie sei mit ihrem damaligen Partner zwischen 23.30 Uhr und Mitternacht in der Küche zusammengesessen und habe zu Abend gegessen. Plötzlich habe jemand laut an der Wohnungstüre gepocht. Ihr Freund habe nachgesehen, es sei der Nachbar gewesen, der ansatzlos zu schreien und zu schimpfen begonnen habe.

Eineinhalb Minuten dauernde Aufnahme

Sie selbst habe nur kurz einen Blick auf die Situation geworfen und sei wieder in die Küche gegangen. "Hatte Ihr Freund Angst vor dem Nachbarn?", will Funk von der Zeugin wissen. "Er hatte wahrscheinlich Sorge um mich", sagt die 56-Jährige. "Aber hatte er Angst? So groß kann die nicht gewesen sein, er hat ja eineinhalb Minuten gefilmt und ist ganz ruhig geblieben", fragt der Richter nach. Die Zeugin kann das nicht beantworten.

Anklägerin Sommer sieht die Delikte erfüllt und fordert eine tat- und schuldangemessene Bestrafung, B. sagt in seinem Schlusswort, dass ihm der Vorfall leidtue, und bittet um Entschuldigung, da er betrunken gewesen sei. "Dass man betrunken ist, ist nie eine Entschuldigung, da muss man ja vorher etwas bewusst machen", erklärt der Richter dem Angeklagten in der Urteilsbegründung für den nicht rechtskräftigen Freispruch. "Dass Sie den Vorsatz hatten, den anderen über den Moment hinaus in Furcht und Unruhe zu versetzen, kann das Gericht in dieser Situation aber nicht erkennen", meint Funk. Auch einen Verletzungsvorsatz kann er nicht erkennen, da der Tritt auch ein Ausfallschritt sein könnte. "Strafrechtlich ist das aus meiner Sicht nichts, moralisch und sozial aber natürlich höchst verwerflich. Das müssen Sie aber mit sich selbst ausmachen." (Michael Möseneder, 20.2.2024)