Geflüchtete und Zelte in Rafah
In der Stadt Rafah suchen zahlreiche Palästinenserinnen und Palästinenser Zuflucht.
EPA/HAITHAM IMAD

"Die Welt muss wissen", sagte Benny Gantz am Sonntag, "und die Hamas-Führung muss wissen: Wenn die Geiseln bis zum Ramadan nicht zu Hause sind, werden die Kämpfe überall weitergehen, auch in der Region Rafah." Damit nannte Israels Ex-Armeechef und derzeit Minister im Kriegskabinett von Premier Benjamin Netanjahu ein mögliches konkretes Datum für die umstrittene Bodenoffensive auf die Stadt Rafah im äußersten Süden des Gazastreifens, in die hunderttausende Palästinenserinnen und Palästinenser geflüchtet sind. Der muslimische Fastenmonat beginnt dieses Jahr wahrscheinlich am 10. März.

Die Aussagen stehen im Widerspruch zu jenen von Premier Netanjahu von vor gut einer Woche, als er verkündete, man werde die Rafah-Offensive bereits vor dem Beginn des Fastenmonats Ramadan abgeschlossen haben. Gleichzeitig versicherte er allerdings, dass die Mission keinesfalls gestartet werde, ohne zuvor die rund 1,3 Millionen Binnenflüchtlinge in Rafah zu evakuieren.

Plan für Zeltstädte nicht bestätigt

Wohin sich die zum großen Teil bereits mehrfach vertriebene Zivilbevölkerung in Sicherheit bringen soll, bleibt aber weiter unklar. Vergangene Woche hatte das "Wall Street Journal" über Pläne Israels berichtet, Zeltstädte an der Westküste des Gazastreifens für die Zivilbevölkerung zu errichten. Ägypten wäre demnach für die Errichtung der Lager und für die Feldlazarette zuständig. Weder Israel noch Ägypten kommentierten den Bericht bisher. Gantz betonte am Sonntag, die Offensive in Rafah werde koordiniert und in Absprache mit den USA und Ägypten ausgeführt, um eine Evakuierung der Zivilbevölkerung zu ermöglichen und "die zivilen Opfer so gering wie möglich zu halten".

Israels Regierungschef Netanjahu beharrt trotz internationaler Warnungen auf einer Militäroffensive in Rafah. Erst am Wochenende bekräftigte er sein Ziel, "die Arbeit zu Ende zu bringen, um einen totalen Sieg" über die Hamas zu erringen, und fügte hinzu, die Offensive werde auch im Falle eine Vereinbarung mit der Hamas über eine Freilassung der israelischen Geiseln stattfinden. Selbst wenn ein solcher Deal erzielt werde, "werden wir in Rafah einrücken". Die Aussagen stehen nun in Kontrast zu jenen von Minister Gantz, der Kämpfe auch in Rafah ankündigte, wenn die Geiseln bis zum Ramadan nicht zurück in Israel sind.

Israels Premier Benjamin Netanjahu vor Rednerpult
Israels Premier Benjamin Netanjahu will von seinen Plänen einer Offensive in der Stadt Rafah nicht abrücken.
REUTERS/RONEN ZVULUN

Die jüngsten Verhandlungen unter Vermittlung der USA, Ägyptens und Katars um eine Waffenruhe sowie die Freilassung israelischer Geiseln aus der Gewalt der Hamas brachten zuletzt keine Ergebnisse. Die Entwicklung der vergangenen Tage sei "nicht gerade vielversprechend", hatte Katars Premier Mohammed bin Abdulrahman Al-Thani am Wochenende gesagt.

Internationale Warnungen

Die Warnungen in Richtung Israel hatten in den vergangenen Tagen und Wochen stark zugenommen, auch von den Verbündeten Deutschland und den USA. "Wir sind zutiefst besorgt über die Bodenoffensive in Rafah", sagte am Montag Steffen Hebestreit, Sprecher der deutschen Bundesregierung. Sollte es zu einer Offensive kommen, müsse Israel die Frage beantworten, wie die Zivilisten, die dort derzeit Schutz suchen, evakuiert werden sollen.

US-Präsident Joe Biden hatte bereits mehrfach einen glaubwürdigen Plan zum Schutz der palästinensischen Zivilbevölkerung in Rafah gefordert. Die G7-Außenminister warnten am Wochenende vor dramatischen Folgen einer Bodenoperation und äußerten sich "tief besorgt über die möglicherweise verheerenden Folgen einer weiteren umfassenden Militäroperation Israels in diesem Gebiet für die Zivilbevölkerung".

Auch Ägypten warnte Israel eindringlich: "Wir sehen die Möglichkeit einer israelischen Offensive in Rafah mit großer Sorge. Wir haben sehr deutlich gemacht, dass dies nicht geschehen darf", sagte der ägyptische Außenminister Sameh Shoukry der deutschen Zeitung "Welt". Eine solche Offensive würde die Zahl getöteter Zivilisten, besonders von Frauen und Kindern, weiter in die Höhe treiben. Schon jetzt seien "die Folgen der israelischen Offensive für die Zivilbevölkerung in ihrer Schwere ohne Vergleich im 21. Jahrhundert".

Katastrophale Folgen

Am Wochenende hatten auch sechs Menschenrechts- und Hilfsorganisationen in einer gemeinsamen Erklärung vor den "katastrophalen Folgen" einer Bodenoffensive auf Rafah gewarnt. "Wir sind entsetzt über die erschütternden Entwicklungen in Rafah, dem am dichtesten besiedelten Gebiet des Gazastreifens, in dem 1,5 Millionen Menschen Zuflucht suchen – über eine halbe Million davon Kinder", hieß es in der Erklärung der Organisationen Oxfam, Amnesty International (AI), Action Aid, War Child, Dänischer Flüchtlingsrat (DRC) und Handicap International.

"Wenn Israel seine geplante Bodenoffensive startet, werden Tausende von Zivilisten getötet, und es besteht die Gefahr, dass die derzeitige humanitäre Hilfe völlig zum Erliegen kommt." Sollte der Plan nicht gestoppt werden, "werden die Folgen katastrophal sein". In Rafah lebten vor Kriegsbeginn rund 280.000 Menschen, mittlerweile wird die Bevölkerung auf rund 1,5 Millionen Menschen geschätzt.

In dem gemeinsamen Statement heißt es außerdem, dass die Menschen "unter unmenschlichen Bedingungen" leben, "viele Gebiete im Gazastreifen in Schutt und Asche liegen und unbewohnbar sind" – und dass es an funktionierenden Spitälern sowie Nahrungsmitteln, sauberem Wasser, Unterkünften und sanitären Einrichtungen fehlt. (maa, 19.2.2024)