Die Mauer der Trauer, ein Denkmal in Moskau, das an die Opfer des Sowjetsystems erinnert, wird als Denkmal für Nawalny umfunktioniert.
AFP/ALEXANDER NEMENOV

Nach wie vor gedenken die Menschen in vielen Städten Russlands Alexej Nawalnys. Und nach wie vor geht die Polizei mit Härte gegen Demonstranten vor, die einfach nur an improvisierten Gedenkstätten protestieren und Blumen niederlegen wollen. So wurde etwa in Nowosibirsk eine junge Frau festgenommen. Auf ihrem Plakat stand: "Nawalny bedeutet Freiheit. Putin bedeutet Morde", berichtet der Telegram-Kanal "Koalition von Nowosibirsk 2020".

Seit Freitag gab es rund 400 Festnahmen in mehr als 30 russischen Städten. Allein in Sankt Petersburg ordneten die Gerichte gegen 199 Menschen Arrest oder Geldstrafen an – laut den Gerichtsprotokollen Strafen wegen Störung der öffentlichen Ordnung nach unerlaubten Versammlungen auf einem öffentlichen Platz. Dafür drohen in Russland Geldstrafen bis zu 20.000 Rubel, umgerechnet rund 200 Euro, Pflichtarbeitsstunden oder bis zu 15 Tage Arrest. 154 Menschen kamen in Sankt Petersburg in den Arrest, die meisten für mehrere Tage. Auch in Moskau wurden Menschen für ihre Trauer um Alexej Nawalny bestraft.

Rätselraten geht weiter

Inzwischen geht das Rätselraten um seinen Tod weiter. Zusammen mit Anwälten war Nawalnys Mutter Ljudmila Nawalnaja eigens ins eisige Sibirien gereist, ins Straflager "Polarwolf" – dorthin, wo Nawalny gestorben war. Sie wollte ihren Sohn sehen, doch es ist nach wie vor unklar, wo sich Nawalnys sterbliche Überreste befinden. Am Montagmorgen seien Ljudmila Nawalnaja und die Anwälte nicht in die Leichenhalle in der nordrussischen Stadt Salechard gelassen worden, teilte Nawalnys Sprecherin Kira Jarmysch im Nachrichtenportal X (vormals Twitter) mit.

"Im Ermittlungskomitee wurde der Mutter und den Anwälten gesagt, dass die Untersuchung des Todes Nawalnys verlängert wurde. Wie lange sie noch dauert, ist nicht bekannt", so Jarmysch. "Die Gründe des Todes sind immer noch 'nicht festgestellt'." Angehörige und das Team Nawalnys fordern seit Tagen die Herausgabe der sterblichen Überreste. Zehntausende in Russland schlossen sich in einer Petition inzwischen dieser Forderung an.

Ljudmila Nawalnaja, Nawalnys Mutter, wurde auch am Montag nicht zu den sterblichen Überresten ihres Sohnes vorgelassen.
REUTERS/MAXIM SHEMETOV

Russlands Präsident Wladimir Putin hat sich bislang nicht zum Tod von Alexej Nawalny geäußert. "Die gemäß der russischen Gesetzgebung vorgesehenen Maßnahmen werden durchgeführt", zitiert die Nachrichtenagentur Interfax Dmitri Peskow, seinen Sprecher. "Bisher wurden die Ergebnisse dieser Untersuchung nicht veröffentlicht und sind tatsächlich unbekannt", so Peskow weiter. Die Übergabe von Nawalnys Leiche falle nicht in die Zuständigkeit des Kreml.

Russische Opposition im Exil

Inzwischen richten sich die Blicke vieler auf Julija Nawalnaja, seine Witwe, und Nawalnys Tochter Darja. Sie könnten die neuen Galionsfiguren der russischen Opposition im Exil werden. "Es gibt nichts Stärkeres in der Welt als Mutter und Tochter, die wegen des Todes von Mann und Vater gegen das System kämpfen", schreibt etwa die bekannte russische Frauenrechtlerin Aljona Popowa auf Instagram. Und die Politologin Tatjana Stanowaja meint, "Julija Nawalnaja wird eine politische Figur werden, ob sie das will oder nicht. Ihren Worten kommen jetzt besondere Bedeutung und Gewicht innerhalb der oppositionellen Umgebung zu."

"Ich werde die Sache von Alexej Nawalny fortsetzen, kämpfen um unser Land. Ich rufe euch auf, an meiner Seite zu stehen", verkündete Julija Nawalnaja in einer emotionalen Videobotschaft auf Youtube. Am Montag war sie zum EU-Außenministertreffen in Brüssel eingeladen. Erstmals seit dem Tod ihres Mannes hatte Nawalnaja auf Instagram einen Beitrag veröffentlicht, ein Foto, auf dem Nawalny sie liebkoste. Tausende Menschen sprachen in Kommentaren Julija Nawalnaja Mut zu und wünschten ihr Kraft.

Gegen Ungerechtigkeit und Korruption

Nawalnys 23-jährige Tochter Darja tritt ebenfalls immer wieder öffentlich auf, nimmt stellvertretend für ihren Vater internationale Auszeichnungen entgegen. So auch 2021 den "Sacharow-Preis für geistige Freiheit des Europäischen Parlaments". In ihrer Rede sagte Nawalnys Tochter: "Als ich meinem Vater schrieb und ihn fragte: 'Was genau soll ich in der Rede aus deiner Sicht sagen?', antwortete er: 'Sag, dass niemand es wagen kann, Russland mit dem Regime von Putin gleichzusetzen. Russland ist ein Teil von Europa. (…) Wir streben nach einem Europa der Ideen, das die Menschenrechte, die Demokratie und die Integrität feiert.'"

Julija Nawalnaja sagt, Putin habe ihr den liebsten und wertvollsten Menschen genommen, die Hälfte ihrer Seele und ihres Herzens. Mit der anderen Hälfte wolle sie nun wie ihr Mann gegen Ungerechtigkeit und Korruption und für ein freies Russland kämpfen. Und sie sagt auch: "Ich habe keine Angst." (Jo Angerer aus Moskau, 19.2.2024)

Julija Nawalnaja war am Montag in Brüssel und wurde von Josep Borrell, Hoher Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, empfangen.
Julija Nawalnaja war am Montag in Brüssel und wurde von Josep Borrell, dem Hohen Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, empfangen.
AFP/POOL/YVES HERMAN