Roberto Savianos
Roberto Savianos "Falcone" ist ein Pageturner. Der Autor steht seit Jahren unter Polizeischutz.
IMAGO/Thierry Breton

Am 25. Mai 1992 war der Richter Giovanni Falcone mit seiner Frau unterwegs zu ihrem Wochenendhaus, als sein Auto in Sizilien von einer Bombe zerrissen wurde. Die Cosa Nostra hatte 500 Kilo Sprengstoff unter der Straße deponiert und gezündet, als Falcones Konvoi drüberfuhr. Falcone und seine Frau starben, dazu drei Leibwächter in einem zweiten Fahrzeug. Schon lange hatte Falcone auf der Todesliste gestanden: Anfang der 1980er hatte er eine Sonderkommission zur Bekämpfung der Mafia aufgebaut, ab 1986 in einem fast zwei Jahre dauernden Prozess gegen 400 Mafiosi viele von ihnen hinter Gitter gebracht und der Mafiabekämpfung eine neue Struktur verpasst. Sein Tod rüttelte Italien auf.

Nun erzählt Roberto Saviano in seinem neuen Buch davon. Wie schon Gomorrha basiert Falcone auf akribischen Recherchen. Zur Erinnerung: 1979 in Neapel geboren, hatte der Journalist für seinen 2006 erschienenen Erstling jahrelang undercover im Umfeld der Mafia recherchiert und beschrieben, wie diese von Drogen über Giftmüll bis Zement viele Wirtschaftsbereiche Italiens infiltriert hat. Das Buch wurde ein Bestseller, seit Erscheinen steht der Autor unter Polizeischutz und wechselt laufend seine geheimen Wohnorte – und legt mit Falcone einen packenden Roman vor, der sich von 1982 bis zum Tod des Helden erstreckt.

Dass Falcone ein Held ist, sowohl menschlich wie professionell lupenrein, daran zweifelt man nach den 500 Seiten nicht. Daran, dass er dicke Bretter zu bohren hatte, ebenso wenig. "Ist es denn wirklich nötig, dass sich das Heute vom Gestern unterscheidet?", fragt sich der Direktor der Sparkasse in Palermo, als ihn die Nachricht des damaligen Ermittlungsrichters Falcone erreicht, er habe ihm "unverzüglich vollständige Listen sämtlicher Umtauschgeschäfte ausländischer Währungen vorzulegen".

Auch seine Kollegen haben solche Schreiben erhalten. Es ist der Beginn von Falcones dem Motto "Follow the money" folgenden Ermittlungssystem, das die Mafia als ein Netzwerk wahrnimmt. Es ist ein gewaltiges Panorama ihrer Knotenpunkte, das Saviano darlegt. Auf engstem Raum entwickelt er seine Szenen, die Professionelles und Privates, die Seite der Mafiosi und ihrer Jäger gleichermaßen anvisieren. Kurze Kapitel erlauben schnelle Wechsel und Facettenreichtum. Da ist Emanuele Adamita, der "König des Drogenhandels zwischen New York und Sizilien", der 1979 die Strategie ändern muss, Pakete aus Palermo an falsche Adressen in New York zu schicken, wo sie im Flughafenlager stranden. Die Polizei hat das durchschaut. Ein Kapitel reicht, und man versteht das Business.

Nägel essende Angeklagte

Da ist Tommaso "Don Masino" Buscetta, der 1980 vor anderen Mafiaclans nach Brasilien geflüchtet ist ("es heißt, er habe sich einer Gesichtsoperation unterzogen und mit einem Eingriff an den Stimmbändern sogar seine Stimme verändern lassen") und ein paar Jahre später Falcone Einblick in das Vokabular und die Organisation der Cosa Nostra geben soll. Auch die Leser sind danach klüger.

Da sind junge, idealistische und verliebte Richter und Ermittler, die am Anfang eines Kapitels morgens mit flauem Magen und einer beunruhigten Ehefrau neben sich aufwachen und nach Verlassen der Wohnung in ihrem Wagen von Kugeln durchlöchert werden. Was bedeutet es für Falcone, ständig unter Polizeischutz zu stehen? Keine Kinder zu wollen, weil sie sowieso zu Waisen würden?

Saviano beschreibt einen Umbruch. "Die Mafia tötet keine Richter" gilt nicht mehr. Gefüge, in denen Banker und Mafiaoberhäupter Cousins sind, werden von der Polizei gesprengt. Neofaschistische Parteien werben um die Unterstützung der Mafia zum Putsch. Angeklagte essen Nägel, um Urteile zu verzögern, und Falcone macht Karriere – gegen politischen und medialen Widerstand.

Die Mafia lässt Saviano seit 20 Jahren nicht los. In Das Gegenteil von Tod beschrieb er die Situation junger Sizilianer bei der Polizei und dem Militär, um sich der Mafia zu entziehen, griff er in Der Kampf geht weiter den ausgehöhlten Rechtsstaat auf, erzählte in Der Clan der Kinder und Die Lebenshungrigen von Jugendbanden. Saviano kann trotz der historischen Dimension famos mit kleinen Details lebendige Figuren in vielen Stimmungslagen zeichnen, Spannung aufbauen und halten. Informativ und mitreißend, ist Falcone ein echter Pageturner.