Verkehrssicherheit ist nicht das Erste, was einem einfällt, wenn man an die Straßen Indiens denkt. Hier gilt das Recht des Stärkeren, der sich am geschicktesten durch das Chaos schlängelt. Die Fahrzeuge sind alt und wacklig, dafür aber schnell unterwegs und häufig bunt bemalt. "Horn OK", steht auf manchen. Hupe, dann kommst du durch.

Dennoch hat sich, weniger sichtbar, auch ein zweiter, professionalisierter Sektor im indischen Transportwesen entwickelt. Er entstand, nachdem rund um die Jahrtausendende immer mehr westliche Unternehmen begannen, Niederlassungen in Indien zu eröffnen. Konzerne wie etwa Shell und Monsanto brauchten ausgebildete Lkw-Fahrer, um beispielsweise Gefahrengut sicher zu transportieren. Dazu wollte die neue indische Mittelschicht gut ausgebildete Busfahrer, die ihre Kinder zur Schule bringen. Parallel mit wirtschaftlichen Veränderungen bildete sich deshalb ein hochprofessionalisiertes Transportwesen heraus.

An diesem ist ausgerechnet ein oberösterreichischer Familienbetrieb beteiligt. Die Firma Hubert Ebner Verkehrslehrmittel GmbH mit Sitz in Thalheim bei Wels bietet etwa Unterrichtsmaterialien für Fahrausbildungen an und berät staatliche Einrichtungen und Unternehmen, zumeist Großkonzerne, in Sachen Fahrsicherheit und Fahrlogistik. Bereits vor 30 Jahren expandierte Ebner nach Indien; heute beschäftigt man dort 200 Leute in mehreren Städten. Jetzt hat sich das Unternehmen ein neues Ziel gesetzt: indische Lkw-Fahrer nach Österreich zu holen. "Wir kennen den indischen Arbeitsmarkt", sagt die Geschäftsführerin Susanne Ebner. "Und zugleich wissen wir, was die österreichischen Spediteure suchen."

Vom Pflegesektor über die Gastronomie und technische Berufe und nun auch bei Lkw-Fahrern, überall herrscht Arbeitskräftemangel. Das gilt nicht nur in Österreich, sondern durchwegs für die ganze EU. Und wenn die Babyboomer-Generation der 1960er- und 1970er-Jahre in Pension geht, dann wird sich das Problem weiter verschärfen.

Ungarn und Slowakei als Konkurrenz

Arbeitskräfte aus Drittstaaten von außerhalb der EU zu gewinnen gilt als eine mögliche Lösung. "Früher haben sich österreichische Spediteure noch damit beholfen, dass sie Fahrer aus anderen EU-Ländern holten, etwa aus der Slowakei und Ungarn", erklärt Ebner. "Aber dort finden sich mittlerweile auch immer weniger, weil sie lieber im eigenen Land bleiben."

Deshalb hat die österreichische Transportwirtschaft ein Konzept aufgesetzt, eben Fahrer aus Indien. Die Ebner GmbH, die das Land kennt und Ausbildungen vor Ort anbietet, würden dabei als Vermittler fungieren und für richtig qualifizierte Interessierte sorgen.

Mangelberufe und die Folgen

Bislang allerdings klappt der Plan noch nicht. Denn: Lkw-Fahrer stehen in Österreich nicht auf der sogenannten Mangelberufsliste, auf der sich derzeit 110 Berufe finden. Steht man auf dieser Liste, hat man die Chance auf eine sogenannte Rot-Weiß-Rot-Card, die das Arbeiten in Österreich erlaubt – vorausgesetzt, man holt die dafür notwendige Ausbildung nach und hat bereits einen fixen Arbeitsvertrag mit dem künftigen Arbeitgeber in der Tasche. Beides ließe sich laut Vertretern der Transportbranche unkompliziert organisieren. Nur an der Position auf der Liste mangelt es.

Steht ein Beruf nicht auf der Liste, dann kann dessen Vertreter von außerhalb der EU zwar streng genommen ebenfalls in Österreich arbeiten. Faktisch aber scheitert es am Geld. Denn: Bei Berufen, die nicht als Mangelberufe gelten, müssen die Arbeitgeber höhere Einstiegsgehälter zahlen, als wenn sie sich auf der Liste finden. Konkret beträgt das Anfangsgehalt etwa bei Lkw-Fahrern rund 3.000 Euro brutto – ein Betrag, der deutlich sinken würde, sobald der Beruf auf die Liste kommt. "Ohne Mangelberufsliste würden die neuen Fahrer aus Indien mehr Geld bekommen als viele Angestammte, die schon länger dabei sind", sagt Ebner. "Das würde das ganze Gehaltsgefüge durcheinanderbringen." Zwar würden die indischen Fahrer durchaus auf dieses Gehalt kommen, fügt sie hinzu. "Aber eben nicht gleich am Anfang, sondern erst, wenn sie zwei oder drei Jahre gearbeitet haben."

Die Situation ist komplex. Denn es gibt durchaus auch heute bereits indische Lkw-Fahrer, die in die EU zum Arbeiten kommen. Nur gehen sie eben, wegen der besagten strengen Regeln, nicht nach Österreich – sondern etwa nach Ungarn und in die Slowakei. Die Konkurrenzfrächter im nahen Ausland werden dadurch stärker, so die Befürchtung der Branche. Österreichs Sektor hingegen bekommt zunehmend sowohl teurere Arbeitskräfte als auch weniger Geschäft zu spüren.

Laute Hupen, viel Gedrängel: Verkehrschaos in Indien, in diesem Fall in der Hauptstadt New Delhi
Lautes Hupen, viel Gedrängel: Verkehrschaos in Indien, in diesem Fall in der Hauptstadt Neu-Delhi.
IMAGO/Hindustan Times

Trotzdem wird der Versuch, Lkw-Fahrer aus Indien zu holen, vorerst scheitern. Denn der Eintrag auf der Mangelsberufsliste richtet sich schlicht danach, wie viel Stellen in einer bestimmten Branche als offen gemeldet sind. Bei Lkw-Fahrern sind es noch zu wenige, als dass die Listung infrage käme. Vorläufig wird man hochqualizierte Fahrer aus Indien also weiterhin dort sehen, wo laut gehupt und viel gedrängelt wird: in ihrem eigenen Land. (Joseph Gepp aus Bangalore, 20.2.2024)